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Album "Blaze Away" von Morcheeba
Kiffen,Tanzen, Sex

Die Trip-Hop-Band Morcheeba gründete sich 1995. Inzwischen sind die Briten vom Trio auf ein Duo geschrumpft. Warum - und mit welchen emotionalen und finanziellen Schwierigkeiten es verbunden war, den etablierten Bandnamen zu behalten, erläutert Sängerin Skye Edwards im Interview mit dem Dlf.

Skye Edwards im Corsogespräch mit Christoph Reimann | 26.05.2018
    Christoph Reimann: Fühlt es sich für Sie wie ein Neubeginn an, wieder als Morcheeba auf die Bühne zu treten?
    Skye Edwards: Ja, auf gewisse Weise fühlt es wie ein Neuanfang an. Von einem Comeback würde ich aber nicht sprechen. Denn Ross und ich waren auch in den vergangenen Jahren ständig auf Tour. Nur gab es ein paar Dinge abseits der Musik, die wir klären mussten. Und zwar mit Paul Godfrey, der seit 2014 nicht mehr zu Morcheeba gehört. Sein Ausstieg hatte zur Folge, dass wir einige rechtliche Fragen hinsichtlich des Bandnamens klären mussten. Währenddessen haben Ross und ich ein Album unter dem Namen Skye/Ross aufgenommen.
    Reimann: Im Jahr 2016.
    Edwards: Genau. Es ist dann im Jahr 2017 rausgekommen, im September. Wobei, Sie haben recht, es war 2016. Jedenfalls sind wir gemeinsam auf Tour gegangen, haben die Dinge im Hintergrund geklärt, und nun dürfen auch wir zwei uns Morcheeba nennen.
    Reimann: Warum wollten Sie den alten Namen zurück? Sie hätten weiterhin Skye und Ross sein können. Liegt es daran, weil Morcheeba mehr Leute erreicht, oder lässt es sich mit dem Sound erklären?
    Der Name Morcheeba hat einen großen Wiedererkennungswert
    Edwards: Nun, 22 Jahre lang hat man uns als Morcheeba bezeichnet. Ein anderer Name fühlt sich da an, wie die Umbenennung einer bekannten Marke. Eine kleine Geschichte: Als ich noch ein Kind war, gab es die Müslisorte Coco Pops. Irgendwann hat man versucht, sie in Choco Krispies umzubenennen. Das hat alle verrückt gemacht. Die Leute schrieben Beschwerdebriefe an den Hersteller Kellogg’s. Und schließlich haben sie es beim alten Namen belassen. So ähnlich ist es bei uns: Der Inhalt - meine Stimme, das Gitarrenspiel von Ross - ist immer noch derselbe. Und natürlich hat der Name Morcheeba einen großen Wiedererkennungswert. Für uns war das daher eine immens wichtige Angelegenheit.
    Reimann: Mussten Sie Paul Godfrey ausbezahlen?
    Edwards: Nein, wir mussten ihn nicht ausbezahlen, aber …
    Reimann: Denn es hieß, dass er eine Menge Geld von Ihnen gefordert hat.
    Edwards: Ja, das hat er. Aber er weiß auch, wie viel wir verdienen. Letztlich haben wir eine Lösung gefunden, mit der wir alle leben können.
    Reimann: Interessieren Sie sich dafür, was er von den neuen Songs hält? Sprechen Sie miteinander?
    Edwards: Nein, ich spreche nicht mit Paul. Und was Ross angeht … Nun ja, er ist sein Bruder. Sagen wir mal so: Ihr Verhältnis ist fragil. Aber ich glaube, dass Paul dieses Album sehr gut gefallen würde, ich glaube, es würde ihn beeindrucken.
    Reimann: Okay. Genug von Paul. Lassen Sie uns über das neue Album reden. Im ersten Song, "Never Undo", singen Sie "Let's just sing". Später folgen die Zeilen "We could be the sun down here / We could bring the fun around here". Vor dem Hintergrund des Neustarts klingt es so, als würden Sie sich selbst ein bisschen Mut zusprechen, um wieder als Morcheeba auf die Bühne zu gehen. Ist da etwas dran, oder ist das nur meine Interpretation?
    Edwards: Nein, ich mag Ihre Sichtweise. Das Schöne an Songtexten ist ja, dass man sie auf vielfältige Weise interpretieren kann. In dem Song geht es um eine Person, die mir das Leben über Jahre hinweg zur Hölle gemacht hat. Ein Albtraum! Aber anstelle eines Songs, der meine Mordgelüste ausdrückt, wollte ich ein Lied schreiben, das diese Person in den Arm nimmt und streichelt – und ihr eben kein Messer in die Eingeweide rammt.
    Reimann: Geht es da um den angesprochenen Streit?
    Edwards: Nein. Ich kann nicht verraten, um wen es geht. Nur so viel: Es ging mir darum, diese Person mit dem Song zu einem guten Menschen zu machen, nicht zu einem schlechten.
    Reimann: Das ganze Album ist ja sehr positiv und vermittelt eine gute Stimmung. In Zeiten, in denen die Welt aus den Fugen zu geraten scheint …
    Die Welt ist immer aus den Fugen
    Edwards: Aber tut sie das nicht immer? Meiner 20-jährigen Tochter versuche ich immer zu vermitteln, dass alles relativ ist. Man kann sagen, dass die Welt das absolut Letzte ist, oder man kann auf die guten Dinge schauen. Und dafür plädiere ich. Denn wenn man nur auf die schlechten Dinge guckt, wird man nur noch weitere schlechte Dinge sehen. Also versuche ich, mich auf die positiven Seiten zu konzentrieren.
    Reimann: Okay. Aber im Moment passiert doch so viel auf der Welt: die #MeToo-Kampagne, Trump in den USA, der Brexit in Großbritannien. Hat es Ihnen nicht auf den Nägeln gebrannt, darüber zu schreiben?
    Edwards: Nun, wir haben uns nie als politische Band verstanden. Aber ich glaube, mit der Zeile "Build a bridge rather than build a wall" im Song "Love Dub" greife ich das zumindest kurz auf. Subtil, aber tiefer will ich da nicht gehen.
    Reimann: Wir hören Dub Reggae auf dem Album, dazu sehr geradlinige Popsongs - und natürlich auch Trip-Hop. Für das Verschmelzen unterschiedlicher Genres sind Sie seit den 90ern bekannt. Nun haben Sie wieder einmal Gastmusiker eingeladen: den Rapper Roots Manuva und den Chanson-Erneuerer Benjamin Biolay. Wie kam es dazu?
    Edwards: Auf Benjamin Biolay sind wir über einen Vorschlag von Amanda gekommen, Ross' Ehefrau. Sie ist Französin. Ross und sie haben sich eines Abends darüber unterhalten, wer der nächste Serge Gainsbourg sein könnte. Und Amanda erwähnte Benjamin.
    Reimann: Tatsächlich versucht er in dem Song ja auch wie Gainsbourg zu klingen, oder?
    Edwards: Ja, glaube ich auch.
    Reimann: Und wer sind dann Sie? France Gall oder Jane Birkin?
    Edwards: Ich bin Skye Edwards, die versucht, französisch zu singen.
    Reimann: Sprechen Sie denn Französisch?
    Edwards: Nein. Ich hatte zwar ein Französischunterricht in der Schule und später an der Uni, aber für den Song hätte es nicht ausgereicht. Benjamin Biolay hat den Songtext innerhalb einer Stunde geschrieben, und ein paar Flaschen Rotwein später habe ich ihn gesungen. Immerzu haben Ross und ich gefragt, was der Text bedeutet. Und Benjamin hat uns geraten, den Song Amanda vorzuspielen und ihn uns von ihr erklären zu lassen. Das haben wir dann auch gemacht. Ihre Antwort war, dass der Text rein gar keinen Sinn ergibt.
    Reimann: Es ist Nonsens.
    Edwards: Und später meinte Benjamin, dass es sich um Poesie handelt, um Kunst. Eine Fantasie, dass Paris am Meer liegt, in den Bergen. Ich liebe das Gefühl, dass der Song vermittelt, genauso die Melodie. Und mir gefällt, dass ich auf Französisch singe.
    Reimann: Haben Sie Benjamin Biolay tatsächlich getroffen oder nur Sound-Dateien hin- und hergeschickt?
    Edwards: Nein, wir haben uns getroffen. Wir haben Kontakt zu Benjamins Leuten aufgenommen, er hatte Zeit, und schon in der Woche nach unserer Anfrage sind wir in den Zug nach Paris gestiegen. Im Studio hat Benjamin dann die ganze Zeit Joints gedreht. Aber nach sechs Flaschen Wein war der Song fertig. Bei Roots Manuva war es so, dass wir ihn backstage bei einem Festival trafen und entschieden, dass wir drei einen Song zusammen aufnehmen sollten, was wir dann in London gemacht haben. Man kann viel unabhängig voneinander erreichen, in getrennten Studios. Aber Spaß kommt in die Sache, wenn man zusammen in einem Raum ist. So haben wir es auch dieses Mal mit den Instrumentalisten gemacht.
    Reimann: Der Song, der zusammen mit Roots Manuva enstanden ist, heißt "Blaze Away", wie das gesamte Album. In dem Lied rappt Roots Manuva: "Don’t mess with my legacy!" Lassen Sie uns über das Erbe von Morcheeba sprechen. Spielen Sie zum Beispiel noch den Song "Rome Wasn't Built In A Day"?
    Edwards: Absolut!
    Ein Hit zum Hassen und Lieben zugleich
    Reimann: Und haben Sie noch Gefallen daran? Ich kann mir vorstellen, dass das schwer ist.
    Edwards: Doch, habe ich. Aber als der Song erschien, habe ich ihn gehasst. Ich habe damals unseren A&R-Manager gefragt, was er von ihm hält, und er hat einfach angefangen zu lachen. Darüber habe ich all meinen Respekt für ihn verloren. Für mich passte der Song einfach nicht zu Morcheeba. Es war schwer für mich, diesen fröhlichen Song zu singen, da ich zu dieser Zeit als andere als glücklich war und wir uns in der Band damals nicht besonders gemocht haben. Aber das war 1998, war es 1998?
    Reimann: Später, 2000.
    Edwards: Ja, im Jahr 2000 ist der Song erschienen. Aber wenn ich den Song jetzt performe und alle Leute mitsingen, dann muss ich sagen, dass ich den Song liebe. Ich kann nicht hier sitzen und mich über unseren Hit beklagen, denn er hat mich erst hier hin gebracht. Vorher haben wir kleine Club-Gigs gespielt, bei denen die Leute rumsaßen und rauchten. Und heute können wir auf großen Festivals spielen, und das Publikum tanzt zu unserer Musik. Wir haben heute so viele Möglichkeiten, können seichte und harte Songs spielen. Und die Leute können dazu kiffen, tanzen oder Sex haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.