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Brexit
Nordirland hätte plötzlich eine EU-Außengrenze

Die britische Regierung reicht heute ganz offiziell ihren Austritt aus der EU in Brüssel ein. Der unübersehbare Wunsch der britischen Regierung nach einem sogenannt "harten" Brexit, ohne Binnenmarkt und Zollunion, schafft eine neue Außengrenze der EU: Zwischen der britischen Provinz Nordirland und der Republik Irland, die EU-Mitglied bleibt.

Von Martin Alioth | 29.03.2017
    Fahrzeuge passieren am 05.07.2016 die Mautstelle an der Autobahn M1 bei Drogheda, Irland.
    Nach einem so genannt "harten" Brexit würde eine neue Außengrenze der EU entstehen: zwischen der britischen Provinz Nordirland und der Republik Irland (dpa / picture alliance / Rainer Kiebat)
    Malerisch und verwildert plätschert der kleine Fluss Fane zwischen der nordirischen Grafschaft Armagh und der irischen Grafschaft Monaghan. Das wird die Grenzlinie zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union. Heute ist da bloß Natur zu sehen. Eine steile Weide führt zu einem Bungalow, der die Gullion-Berge von Südarmagh überschaut.
    Ein etwas arthritischer Labrador waltet seines Amtes. Die 73-jährige Kate zog 1972 als Braut hier ein - im schlimmsten Jahr des Nordirlandkonflikts. Was meint sie zur Aussicht auf neuerliche Grenzpfähle?
    Sie sei entsetzt - das sei ein klassischer Rückschritt in die Vergangenheit. Kate begründet ihre Empörung: "I'm horrified because I think it portrays a terrible selfishness and a great lack of concern for other nations and other people on behalf of the English."
    Nordiren hatten gegen Brexit gestimmt
    Brexit bilde den Egoismus der Engländer und ihre Geringschätzung für die Interessen anderer Nationen ab. In der Tat waren die Nordiren und die Schotten im letzten Juni bekanntlich von den Engländern überstimmt worden. Kates Mann, ein Kleinbauer, lebt Großteils von EU-Subventionen. Wird der britische Steuerzahler diese nun übernehmen?
    Das wisse niemand, aber ihr Mann sei äußerst besorgt. Kates Familie hat hier, im einst von der Irisch-Republikanischen Armee rücksichtslos regierten, blutigen Grenzland, viel durchgemacht. Und jetzt das: Am liebsten würde sie das Vereinigte Königreich verlassen.
    Inbrünstig saugt ein Kälbchen an den Fingern von Conor Casey. Mit wenig nachweisbarem Erfolg. Der 37-jährige, gelernte Bauer bewirtschaftet hundert Hektar Weideland in den Hügeln der nordirischen Grafschaft Antrim. 160 Holstein-Kühe produzieren rund anderthalb Millionen Liter Milch für ihn pro Jahr.
    Angst vor billigen Übersee-Importen
    Für nordirische Milchbauern wirft die neue Grenze Probleme auf, denn dreißig Prozent der hiesigen Milch, über 500 Millionen Liter im Jahr, werden von Molkereien in der Republik Irland verarbeitet. So schickt Casey seine Milch alle zwei Tage in die Grafschaft Sligo, in der Republik, zur größten Genossenschaft des Nordwestens, Aurivo.
    Mit neuen Zollgebühren wären seine Gewinne futsch. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb Casey gegen den Brexit gestimmt hatte. Die EU trage der Landwirtschaft besser Sorge als die britische Regierung. England importiert seit 200 Jahren Nahrungsmittel - nicht zuletzt von der Nachbarinsel. Das prägt Mentalitäten. Davor fürchtet sich Casey: In einem unabhängigen Großbritannien hätten billige Nahrungsmittel oberste Priorität. Billige Importe aus Übersee würden dann die nordirischen Landwirte aus dem Markt drängen.
    Mit gewaltiger Untertreibung schließt Casey: Die nächsten zwei Jahre, bis der Brexit rechtskräftig wird, werden gewiss interessant, meint er. Wir sind wirklich besorgt.