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Flucht aus der DDR vor 40 Jahren
Mit dem Heißluftballon in den Westen

Im September 1979 wagten zwei Familien aus Thüringen eine spektakuläre Flucht aus der DDR - mit Erfolg. Mit ihrem selbstgebauten Heißluftballon ließen sie sich vom Wind über die Grenze hinweg in den Westen tragen.

Von Otto Langels | 16.09.2019
    Die Familie Strelzyk mit einem Heißluftballon 1979, mit dem sie eine Flucht aus der DDR unternommen hatte. (16.09.79)
    Die Familie Strelzyk mit einem Heißluftballon 1979, mit dem sie eine Flucht aus der DDR unternommen hatte. (16.09.79) (dpa)
    "Wir fliegen in den Westen" "Aber was, wenn die Soldaten auf uns schießen?" "Wir müssen höher, durch die Wolken!" Ein Ausschnitt aus dem Film "Ballon" aus dem Jahr 2018. Das Drama erzählt die spektakuläre Flucht mit einem Heißluftballon über die deutsch-deutsche Grenze.
    Ende der 1970er Jahre entschlossen sich zwei Familien aus Thüringen, die DDR zu verlassen; illegal, da ihnen eine legale Ausreise verwehrt wurde. Sie empfanden das Leben in der DDR als unbefriedigend, fühlten sich gegängelt und bespitzelt. Günter Wetzel, einer der beiden Familienväter: "Ich habe von einer Verwandten eine Zeitschrift aus dem Westen geschenkt bekommen. Und da war ein Bericht drin über das Ballonfahrertreffen, das alljährlich in Albuquerque in New Mexico stattfindet. Und da habe ich gedacht, das kann doch gar nicht so schwer sein, so ein Ding zu bauen. Und die Idee habe ich dann dem Peter Strelzyk vorgestellt, und dann haben wir uns am 8. März `78 entschieden, dass wir es gemeinsam versuchen werden, mit dem Ballon in den Westen zu fahren."
    Erster Versuch misslingt
    Günter Wetzel und Peter Strelzyk waren Arbeitskollegen in einer Thüringer Kunststofffabrik, technisch begabt, aber blutige Laien im Umgang mit Heißluftballons. Monatelang beschafften sie mit ihren Ehefrauen die notwendigen Utensilien. Um nicht beim Kauf großer Stoffmengen aufzufallen, fuhren sie in über 100 Orte, um insgesamt 1.200 Quadratmeter Regenschirmseide, Zeltnylon und Taftstoff zu besorgen. Hinzu kamen Flammenwerfer, Propangasflaschen und die Materialien für eine selbstgeschweißte Plattform.
    Dann stiegen die Wetzels jedoch aus, die Strelzyks machten allein weiter und unternahmen einen ersten Versuch. Der Ballon stürzte aber kurz vor der Grenze im Sperrgebiet ab. Die zerstörte Hülle blieb zurück, woraufhin die Stasi Ermittlungen aufnahm. Am 14. August erschien ein Aufruf in der thüringischen SED-Zeitung Volkswacht: "Nach Begehen einer schweren Straftat wurden vom Täter die nachfolgend abgebildeten Gegenstände am Tatort zurückgelassen: Montagezange, Wasserpumpenzange, Länge 250 mm, Taschenmesser mit einer Klinge und kombiniertem Schraubenzieher, Barometer, goldfarbenes Gehäuse. Zweckdienliche Hinweise werden auf Wunsch vertraulich behandelt."
    Aus Angst vor einer möglichen Verhaftung stieg die Familie Wetzel wieder in das Unternehmen ein, gemeinsam nähte man eilends eine neue Ballonhülle. In der Nacht vom 15. auf den 16. September 1979 stiegen vier Erwachsene und vier Kinder im Alter von zwei bis 15 Jahren um 2.30 Uhr auf einer Lichtung bei Heinersdorf auf die gerade einmal 1,40 mal 1,40 Meter große Plattform; in der Mitte vier große Propangasflaschen, um den Brenner zu betreiben. Der Wind kam günstig aus Nordost, der Ballon gewann rasch an Höhe.
    "Ich würde sagen, dass mein Freund Günter Wetzel und ich damit beschäftigt waren, diesen Ballon zu fliegen. Er hat sich speziell um die Navigation gekümmert, und ich hab‘ mich um die Brennersysteme gekümmert, und die Frauen waren damit beschäftigt, die Kinder zu beruhigen."
    Nach knapp einer halben Stunde landete der Ballon in einem 18 Kilometer entfernten Waldstück bei Naila im bayrischen Landkreis Hof. Bis auf einige kleinere Verletzungen überstanden die Flüchtlinge das Abenteuer unversehrt. "Hätte ich vorher gewusst, was hätte passieren können, alles Mögliche, ne, bei dem nicht TÜV-geprüften Ballon, da wäre ich sicher nie eingestiegen, niemals", so Petra Wetzel. Die Einwohner von Naila waren erstaunt, wer da vor ihren Augen gewissermaßen aus dem Himmel gefallen war. Sie bewunderten den Todesmut der DDR-Flüchtlinge, denn immerhin starben von 1961 bis 1989 über 300 Menschen an der innerdeutschen Grenze.
    Spektakuläre Flucht wurde verfilmt
    "Also ich habe gedacht im ersten Moment, das ist doch fast unmöglich in der DDR so nah an der Grenze erstmal so einen Ballon aufzublasen, das dauert doch eine gewisse Zeit, bis der überhaupt in der Luft ist und über die Grenze. Also ich hätte gedacht, dass das scheitern würde." – "Der hat den Mut gehabt, da rüberzukommen. Gefahr auf sich genommen, find ich eigentlich ganz prima." "Gefährlich war’s auf jeden Fall, aber wenn man in die Freiheit will." - "Kreative Leute, habe ich gedacht." - "Finde ich klasse, Respekt, echt wahr."
    Die spektakuläre Flucht mit dem damals größten Heißluftballon Europas wurde zu einem Medienereignis und in den USA und Deutschland verfilmt. Noch im Westen setzte die Stasi Spitzel auf die "Republikflüchtlinge" an. Mitte der 1990er Jahre kehrten die Strelzyks in ihr altes Haus in Thüringen zurück, die Wetzels fanden eine neue Heimat in Bayern. Die Ballonhülle ist heute im Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg zu sehen, die Gondel im Berliner Mauermuseum am Checkpoint Charlie.