Mittwoch, 24. April 2024

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Alexander Agricola: "A Secret Labyrinth - Ein geheimes Labyrinth"

In größerer Besetzung, aber ebenfalls ohne Instrumentalbegleitung kommt das Huelgas Ensemble unter Paul Van Nevel. Nahm der Orlando Consort in der relativ bescheidenen Kirche St. Osdag in Neustadt auf und schaffte es damit, die Musik in eine Kathedral-Atmosphäre zu stellen, so ging das Huelgas Ensemble in eine der bedeutendsten französischen Abteien, nämlich Fontevrault, und am Ende klingt alles beinahe wie aus einem guten Studio. Freilich geht es bei der CD des Huelgas Ensemble auch nicht um Musik aus den Zentren der oberitalienischen Machtkämpfe um 1400, sondern um eher spirituelle Musik aus dem Ende des fünfzehnten und vom Beginn des sechzehnten Jahrhunderts. Die wesentlichen Stationen des niederländischen Komponisten Alexander Agricola waren Italien, das französische Machtzentrum Paris und der burgundische Hof in Brüssel. Die Sony-CD des Huelgas-Ensembles trägt den etwas rätselhaften Titel "Ein geheimes Labyrinth". Tatsächlich wird damit ein wesentliches Stilelement angesprochen. Die Musik Agricolas ist viel weniger einer zwingenden Logik unterworfen, sondern folgt eher den Strukturen chaotischer Prozesse. Insofern wirkt sie heute in vielem ausgesprochen modern und der damaligen Zeit weit voraus, obwohl es eher ein konservatives, geradezu gotisches Element ist, an dem Agricola festhält und das er mit geradezu bestürzender Freiheit weiterentwickelt. Der Fortgang der Musik hält stets Überraschungen bereit. Und wo es um Schicksal und Glück geht, wie in der 6-stimmigen Kanzone "Fortuna desperata" ist das Disparate und Chaotische thematisch vorgegeben: * Musikbeispiel: Alexander Agricola - aus: "Fortuna desperata" Die neue CD des Huelgas Ensembles enthält neben drei weltlichen Chansons ausschließlich geistliche Musik von Alexander Agricola, unter anderem die "Missa Guazzabuglio" nach Modellen aus verschiedenen Meßtraditionen. Dem Kyrie nach der Messe "Je ne demande" hört man die den Rückgriff auf die französische gregorianische Tradition deutlich genug an. Agricola war ein konservativer Moderner mit jener Kühnheit, die nur den Revolutionären dieser Provenienz eigen ist, übrigens auch ein Musiker, der sich nur schwer in die Zwänge der jeweiligen Höfe einbinden ließ, wie seine zerfaserte Biographie belegt. * Musikbeispiel: Alexander Agricola - aus: "Kyrie eleison" Das war die neue Platte im Deutschlandfunk. Heute ging es um eine neue Archiv-Produktion der Deutschen Grammophon: "The Saracen and the Dove" mit dem Orlando Consort und um eine Sony-CD mit Musik von Alexander Agricola, gesungen vom Huelgas Ensemble: "Ein geheimes Labyrinth". Am Mikrofon bedankt sich Norbert Ely für Ihre Aufmerksamkeit.

Norbert Ely | 26.09.1999