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Alexis Tsipras
Realpolitiker mit linker Rhetorik

Schon die Wirtschaftsreformen, die Griechenland umzusetzen hat, sind kaum zu managen. Jetzt muss der griechische Ministerpräsident zusätzlich die Flüchtlingskrise bewältigen. Aus dem Rebellen ist ein Realpolitiker geworden, der vor allem um seinen Machterhalt kämpft.

Von Wolfgang Landmesser | 17.03.2016
    Der griechische Ministerpräsident Tsipras spricht vor den Abgeordneten des Parlaments in Athen.
    Der griechische Ministerpräsident Tsipras spricht im Parlament in Athen (picture alliance / dpa / Orestis Panagiotou)
    Am Abend vor dem 26. Januar inszenierte Syriza noch einmal ihren Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Vor einem Jahr war er an die Macht gekommen – und hielt aus diesem Anlass eine programmatische Rede in der olympischen Taekwondo-Halle. Seine Anhänger folgten dem Aufruf, aber richtig voll wurde es nicht an diesem regnerischen Sonntag. Die Stimmung der Wahlnacht konnte Tsipras nicht wieder aufleben lassen.
    "Heute sage ich: Syriza ist nicht eine Fußnote der Geschichte. Weil Syriza eine große Volksbewegung ist, die die Welt der Arbeit und der Kultur, die Welt des Schaffens und der Innovation vertritt".
    Die Rede wirkte, als wolle sich der Ministerpräsident selbst versichern, dass er doch alles richtig gemacht hat in diesem turbulentem Jahr und unbeirrt weiter segelt auf seinem linken Kurs.
    Tsipras Rolle ist inzwischen eine ganz andere
    Die alte Rhetorik vom stolzen griechischen Volk, dessen Würde er wiederherstellen will, dringt bei Tsipras immer noch durch. Aber seine Rolle ist inzwischen eine ganz andere.
    Ein halbes Jahr verhandelten Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis über ein neues Reformprogramm. Kurz vor Abschluss der Verhandlungen kündigte der Ministerpräsident eine Volksabstimmung über die Forderungen der Geldgeber an. Obwohl ihm eine deutliche Mehrheit der Griechen folgte – und den Entwurf des Reformprogramms ablehnte: Am Ende stimmt er doch einem neuen Reformpaket zu. Nach einer langen Verhandlungsnacht erklärte er das so.
    "Wir standen vor einem Dilemma und haben die Verantwortung übernommen für ein neues Programm. Dabei konnten wir die allzu extremen Absichten der konservativen Kräfte in der Europäischen Union abwenden".
    Tatsächlich hatte er ein Paket mit Reformen unterschrieben, die er zuvor bekämpft hatte – und die er jetzt umsetzen musste.
    Nach einem weiteren Wahlsieg im September schwenkte seine Regierung langsam auf den schweren Reformkurs ein.
    Wenn Alexis Tsipras auf internationalen Parkett unterwegs ist, hört er sich weich gespült an. "Strukturreformen" – dieses Wort hätte er früher kaum in den Mund genommen; "Haushaltskonsolidierung" war dem Syriza-Vorkämpfer eher suspekt. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar, betonte er, wie wichtig beides sei.
    Der große Wurf ist dem Ministerpräsidenten bisher nicht gelungen
    "Griechenland braucht wichtige Reformen und abgesehen von einem ausgeglichenen Haushalt brauchen wir Wirtschaftswachstum. Dafür brauchen wir große Investitionen aus Europa. Die Reformen müssen dafür den institutionellen Rahmen schaffen. Es gilt Bürokratie zu beseitigen, Korruption zu bekämpfen, Verwaltung zu modernisieren".
    Internationale Berater bescheinigen Teilen seiner Regierung durchaus guten Willen, Reformen anzuschieben. Am kompliziertesten ist die Rentenreform, die in Griechenland seit Jahren verschleppt wurde. Ausgerechnet der Linke Tsipras soll es jetzt richten – und kämpft an zwei Fronten. Auf der einen Seite machen Landwirte und Freiberufler Druck, weil ihre Rentenbeiträge massiv steigen sollen. Auf der anderen Seite drängen die Geldgeber auf möglichst große Sparbeiträge für den Staatshaushalt.
    Gleichzeitig hat Tsipras mit einem zweiten Megaproblem zu kämpfen – der Flüchtlingskrise.
    "Wir sind mit einem Problem konfrontiert, das die Kräfte des Landes und der Regierung übersteigt. Gleichzeitig scheint die Europäische Union nicht in der Lage zu sein, für schwierige Themen effektive Lösungen zu finden und die Lasten gerecht zu verteilen".
    Tsipras wirkt oft gestresst und getrieben von den Ereignissen. Dann weicht er auf rhetorische Floskeln aus. Und nach wie vor neigt der griechische Ministerpräsident zu großen Worten; so drohte er wegen der einseitigen Grenzschließungen damit, EU-Beschlüsse in Brüssel zu blockieren. Hinterher passierte nicht viel. Kyriakos Mitsotakis, als neuer Chef der konservativen Nea Dimokratia, Oppositionsführer, gab sich staatsmännisch.
    "Die Drohungen mit einseitigen Aktionen, Vetos und ähnliches helfen nicht. Die Erinnerung an die dramatischen Verhandlungen im vergangenen Sommer sind noch frisch. Heute sind Seriosität, Verantwortung und vor allem ein kühler Kopf gefragt".
    Mitsotakis ist noch keine 50, war bereits Minister – und will Tsipras ablösen.
    Der große Wurf ist dem griechischen Ministerpräsidenten bisher nicht gelungen. Seine Macht dagegen hat er durch alle Krisen hindurch erfolgreich verteidigt. Aber jetzt wird es langsam eng.