Freitag, 29. März 2024

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Alfred Holighaus über die 50. Hofer Filmtage
"In Hof funktioniert noch alles ohne roten Teppich"

"Klein sein - das ist eine Qualität", sagt Alfred Holighaus vom Kuratoren-Team der Hofer Filmtage im DLF mit Blick auf den Ruf des kleinen Festivals. Und das sei nicht der einzige Grund, warum namhafte Regisseure so gerne in den im Norden Bayerns kommen. Dort versammle sich die Filmfamilie auch, um über Filme zu streiten.

Alfred Holighaus im Corso-Gespräch mit Sigrid Fischer | 25.10.2016
    Alfred Holighaus im Anzug und mit Fliege beim einem Empfang Deutschen Filmballs 2016.
    Raus aus der VIP-Lounge, rein in den Kinosaal: Co-Kurator Alfred Holighaus (DPA / Ursula Düren)
    Sigrid Fischer: Alt und Jung zusammenbringen und so filmische Zukunft gestalten, gemeinsam Filme schauen, Erfahrungen austauschen und feiern. Auf den Hofer Filmtagen geht das alles auch ohne rote Teppiche. Die Spur des Festivals führt trotzdem bis nach Hollywood mit Regisseuren wie Werner Herzog, Volker Schlöndorff, Wolfgang Petersen, Wim Wenders, Tom Tykwer, die dort ihre ersten Arbeiten präsentierten, wie auch Doris Dörrie, Caroline Link, Dominik Graf oder Detlef Buck.
    Das Festival war das Lebenswerk von Heinz Badewitz, selbst in Hof geboren. Und ohne ihn kann man es sich kaum vorstellen, aber es wird nach seinem Tod weitergehen, da sind sich alle einig. Und im Filmkalender sind sie auch schon eingetragen: Die 51. Hofer Filmtage 2017. Jetzt aber erst mal die 50. Feiern. Alfred Holighaus aus dem dreiköpfigen Kuratorenteam. Schönen guten Tag nach Hof.
    Was sehen sie, wenn sie aus dem Fenster schauen. Sind schon alle da?
    Alfred Holighaus: Also, wenn ich aus dem Fenster schaue, dann sehe ich nur graue Wolken und einen Betonbau. Das ist nicht die Aussicht, auf die man sich freut, wenn man an Hof denkt. Ich habe allerdings, weil ich vorhin auch kurz in der Stadt war, auch schon ein paar Regisseure getroffen.
    "Man kann es als Mekka bezeichnen"
    Fischer: Diese kleine 45.000-Seelen-Stadt verwandelt sich jetzt in ein Mekka. Die Filmfamilie trifft sich, oder?
    Holighaus: Das kann man so sagen. Man kann es als Mekka bezeichnen, man kann auch sagen, es ist wie Weihnachten, wo die Familie zusammenkommt. Streit inklusive. Hier wird auch gerne über Filme gestritten, auch wenn hier eine sehr, sehr freundliche und freundschaftliche Atmosphäre herrscht. Ganz besonders schön ist, dass das alles ohne roten Teppich funktioniert.
    Fischer: Ist man dann vielleicht auch Gnädiger den Filmen gegenüber? Sie sagten es wird schon auch gestritten.
    Holighaus: Nein, das ist eben gar nicht. Das ist das Besondere. Ich glaube auch das Vermächtnis von Heinz Badewitz. Er ist ein sehr, sehr freundlicher, verbindlicher Mensch gewesen. Ein großer Menschenfreund und ein großer Filmfreund, aber auch jemand der gesagt hat, wenn ihm etwas nicht gepasst hat. Dieses Klima hat er durchaus hier erzeugt. Es sind auch viele Filme richtig kräftig durchgefallen.
    Aber: Das gehört zu den Erinnerungen, die bei manchen Leuten, denen das passiert ist, verklärt werden. Weil sie sich im Prinzip in dieser Stadt und bei diesem Festival so wohlgefühlt haben.
    "Heinz Badewitz hat es 100-prozentig geprägt"
    Fischer: Dieser Jahrgang ist nun ein besonderer, denn es ist nun auch ein Abschied nehmen vom ganz unerwartet verstorbenen Heinz Badewitz. Das Festival ist natürlich logischerweise auf ihn zugeschnitten gewesen. Wird man das in der Zukunft irgendwie neu erfinden müssen, so wie man das Pina-Bausch-Theater ohne Pina Bausch auch nicht einfach so weiter betreiben kann?
    Holighaus: Neuerfinden ist glaube ich zu viel. Ich glaube, es ist gar nicht notwendig. Weil: Es ist tatsächlich eine Erfindung von Heinz Badewitz gewesen. Und dadurch 100-prozentig geprägt. Aber dadurch ist auch etwas da, auch wenn der Mensch und das Gefühl und das Herz jetzt im Augenblick fehlt. Es gibt doch so ein konzeptionelles Gerüst, was glaube ich auch bleiben kann.
    Wie es gefüllt wird, diese Lücke, die wir in diesem Jahr zum ersten Mal spüren. Wenn sie da ist, wie die gefüllt werden soll, das kann man glaube ich erst überlegen, wenn das Festival zünde ist. Wenn man weiß, wie es geht oder, wie es nicht geht.
    Fischer: Sie sind ja Berlinale-Dimensionen durchaus gewöhnt. Sie haben die Sektion "Perspektive Deutsches Kino" gegründet und lange geleitet. In Hof gibt es ein Budget von 400.000 Euro, ungefähr. Damit kommt man nicht so weit. Wie hat Badewitz das geschafft, damit immer wieder ein interessantes Festival aufzustellen.
    Holighaus: Das finde ich eine ganz, ganz großartige Frage, weil diese Frage wird immer nicht gestellt. Auch wenn über andere Festivals gesprochen wird. Das Budget ist wirklich geringer. Es muss viel über eine andere Form der Attraktion ausgeglichen werden. Die Leute müssen sagen: Wir kommen, wir zahlen auch mal was selbst, was auch nicht selbstverständlich ist bei anderen Festivals. Da werden auch gerne mal Leute eingeladen, auch großzügig eingeladen. Das kann Hof sich alles nicht leisten. Da müssen die Leute Lust haben zu kommen. Und diese Lust zu wecken, das ist eigentlich das, was ihm gelungen ist. Und das ist was ihm gelungen ist und dadurch konnte das Budget auch ein bisschen geringer bleiben.
    Eine verlässliche Tradition
    Fischer: Also: Werner Herzog, zahlt sein Hotelzimmer selbst, so etwas.
    Holighaus: Der bleibt nur eine Nacht, also ich glaube das zahlt er jetzt nicht selbst. Aber er kriegt keinen Flug aus Hollywood hierher bezahlt, das jetzt nicht.
    Fischer: Was kann so ein kleines Festival noch, was so ein großes Schiff, wie die Berlinale oder viele andere, nicht kann?
    Holighaus: Ja. Klein sein. Das ist eine Qualität. Die man finden, erfinden und füllen muss. Diese komplette Reduktion, dass man hier ins Kino geht. Die Menschen treffen, die die Filme machen und die Filme gucken, dass dazwischen auch nichts ist. Dass es keine VIP-Lounge gibt, dass sie am Ende sogar gegeneinander Fußball spielen und sich vielleicht gar mal auf die Knochen treten, das gibt es sonst in dieser Form nirgends. Das ist dieses Festival eben. Und auch mit einer verlässlichen Tradition. Also man weiß auch, wenn man hierher kommt, das wird keine Enttäuschung. Es gibt einzelne Sachen, die man anders erwartet hätte, aber es gibt keine Enttäuschungen.
    Fischer: Die Hofer Filmtage sind ja auch 68er-Kind. Sie waren damals noch ein bisschen zu jung, aber Heinz Badewitz hat immer erzählt, die "langhaarigen Affen", also er unter anderem, die konnten damals ihre Filme in Münchener Kinos nicht zeigen. Und dann hatte er diese Idee: "Ach, ich kenne in Hof da so ein Kino, und so weiter."
    Holighaus: So war das tatsächlich. Und es ist auch verrückt. Weil, Heinz Badewitz, ist in Hof geboren, dann auch Ehrenbürger der Stadt geworden. Aber er hat, bevor das Festival hier los ging 1967, schon mehrere Jahre in München gelebt und gearbeitet und hat dann tatsächlich aus der Not, dass in München kein Kino die verrückten Kurzfilme spielen wollte, einen alten Kumpel hier reaktiviert. Dann hat er sich mit seiner alten Jazz-Band getroffen, die hatten auch eine Kneipe, wo das dann alles losging.
    Provokation ist heute schwieriger geworden
    Fischer: Aber ich frage mich: Wo sind die denn alle heute? Deren Filme so provozieren, dass die keiner sonst mehr zeigen will. Findet man die in Hof noch?
    Holighaus: Ich könnte mir vorstellen, dass es das eine oder andere gibt, das provoziert, aber wir leben natürlich in einer anderen Zeit. Damals gab es eine Generation von Künstlern, die tatsächlich provoziert hat. Das ist schwieriger geworden, in unseren Zeiten. Und man kann es auch nicht einfach eins zu eins übertragen und sagen: "Wir wollen wieder 68 haben". Das kriegen sie einfach nicht hin, dafür haben sich einfach zu viele Dinge verändert.
    Fischer: Nein, aber ein bisschen Provokation bräuchte man im deutschen Kino schon. Immerhin gibt es den Heinz-Badewitz-Preis jetzt zum ersten mal. Für ein Erstlingswerk. Vielleicht schafft der das, vielleicht so etwas anzuschieben.
    Holighaus: Ja, vielleicht. Der wird auf jeden Fall für Gesprächsstoff sorgen. Mehr darf ich ja noch nicht verraten. Das steht ja offiziell noch nicht fest.
    Fischer: Schauen wir mal aufs Programm, auf das 50. Vorweg die Frage: Wo finden sie all die Filme? In den Filmhochschulen vermutlich auch. Es sind gibt Einreichungen, die passieren, oder reisen sie auch manchmal durch die Welt?
    Antennen ausfahren
    Holighaus: Es ist ein bisschen von allem. Es gibt Einreichprozedere, wie bei jedem anderen Festival auch. Natürlich fährt man seine Antennen aus, weiß es wird gerade ungefähr das und das produziert. Der macht gerade einen neuen Film und so weiter. Wir werden den Gewinner von Cannes hier haben und auch den Gewinner von Venedig. Insofern spielt auch das Weltkino immer mit eine Rolle. Ich war jetzt ein paar Tage in Paris und habe mir die ganzen französischen Filme angeguckt, die in Frage kommen.
    Ansonsten geht es tatsächlich an die Filmhochschulen, weil sehr viel Nachwuchs gezeigt wird, und das sind gerade die Kurzfilme, die von den Filmhochschulen kommen.
    Fischer: Wenn ich mir das deutsche Filmprogramm angucke, inklusive Eröffnungsfilm von Chris Kraus, der ja auch schon ein Hof-Veteran ist. Dann sehe ich Regienamen wie Dominik Graf, Feo Aladag, Wim Wenders, Christian Schwochow, Sherry Hormann. Das ist nicht gerade der Nachwuchs. Wieso kommen die immer noch nach Hof?
    Holighaus: Weil es kein reines Nachwuchsfestival ist, sondern den Nachwuchs sozusagen pflegt und die Nachhaltigkeit, um diesen modernen Begriff zu bleiben. Die Leute haben tatsächlich hier angefangen und haben ihre ersten Filme gezeigt. Sie sind neugierig geblieben auf Nachwuchs und auf einander. Und die sind deswegen hier auch mit ihrem fünften, sechsten Film. Das ist auch ein Merkmal von uns.
    Fischer: Und die Sprechen auch mit dem Nachwuchs? Die sollen sich begegnen, sozusagen.
    Holighaus: Das ist hier auch unvermeidlich sich zu begegnen. Aber auch genauso gemeint.
    Aktuelles Thema Migration
    Fischer: Und das internationale Programm, da gibt es ja eine Unmenge, das ist ja unendlich.
    Holighaus: Einerseits, unendlich, auf der anderen Seite natürlich bis nach Cannes zurückgeht, das ist ein halbes Jahr her. Da sind schon viele Filme entweder auf anderen Festivals gewesen oder schon im Kino gewesen. Da macht es wenig Sinn, die zu zeigen.
    Aber: Wir haben bei einer verlässlichen Tradition jetzt auch das Glück gehabt, dass die Filme noch nicht im Kino sind und wir sie dem deutschen Publikum erstmalig zeigen können.
    Fischer: Sie haben ja auch viele Dokumentation im Programm. Ich sehe das Thema Dokumentation ist angekommen im deutschen Kino. Was bewegt deutsche, junge oder nicht junge Regisseure noch im dokumentarischen Bereich?
    Holighaus: Aktuelle Themen, Sie haben das Thema Migration angesprochen. Das wird ein Thema bei Feo Aladag in ihrem Film "Der Andere". Es gibt das Thema TTIP, internationale wirtschaftliche Verbindungen und Verschwörungen. Das ist Sherry Hormann das Thema und es gibt natürlich auch wieder Literaturverfilmungen, von Dominik Graf.
    Christian Schwochow erzählt eine ganz andere Geschichte, eine Künstlerbiografie, die natürlich auch etwas erzählt über die Veränderung der Rolle der Frau in unserer Gesellschaft. Die Vielfalt, die das Kino auch so spannend Macht.
    "Ich bin Co-Trainer der Hofer Filmtage"
    Fischer: Die man sich so wünscht. Filmemacher sind auch gute Fußballspieler, war Heinz Badewitz überzeugt. Samstag 10:30 ist der Anstoß, beim traditionellen Hofer Match, sind sie da auch dabei?
    Holighaus: Ich bin ja Co-Trainer der Hofer Filmtage. Insofern bin ich da unverzichtbar. Aber nicht auf dem Platz.
    Fischer: An der Seitenlinie. Aber unverzichtbar jetzt erst mal in diesem Interims-Kuratoren-Team, dem Sie angehören. Ja, Hof gleich "Home of Films", der ist von Wim Wenders, auch er wird dabei sein bei der 50. Ausgabe, die heute losgeht in Hof. Kurator Alfred Holighaus, viel Spaß mit diesem 50.
    Holighaus: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.