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Algerien
Umstrittenes "sicheres Herkunftsland"

Ob die drei Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko sichere Herkunftsländer sind oder nicht, ist in Deutschland umstritten. Es ist die Armut, vor der die Leute ins Ausland flüchten, sagt Amnesty-Direktorin Hassina Oussedik. Für Rückkehrer drohe keine Gefahr. Aber Journalisten und Aktivisten gerieten zunehmend unter Druck.

Von Stefan Ehlert | 27.08.2016
    Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika.
    Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika. (imago/ITAR-TASS)
    "Ich sage Ihnen die Wahrheit: Von der Unabhängigkeit hat doch nur eine kleine Elite profitiert – es gibt keine Arbeit – wir haben gar keinen Präsidenten, der ist tot, doch es gibt einen Präsidenten."
    Sie nehmen kein Blatt vor den Mund. Lebhaft und auf offener Straße diskutieren die Menschen in Algier über die wirtschaftliche Misere, den kranken Präsidenten. Zumindest auf dieser Ebene gebe es Meinungsfreiheit, sagt Hassina Oussedik, die Direktorin von Amnesty International in Algier:
    "Es ist die Armut, vor der die Leute ins Ausland flüchten, um ein besseres Leben zu haben, sagt Amnesty-Direktorin Oussedik, aber nach ihrem Wissen werde niemand von den Behörden verfolgt, weil er das Land verlassen habe."
    Keine grundlegenden Fortschritte
    Keine Gefahr also für Rückkehrer, in diesem Sinne könne Algerien als sicheres Herkunftsland bezeichnet werden. Gleichwohl bleibe die Menschenrechtslage sehr bedenklich, mahnt Amnesty-Direktorin Oussedik. Sie kann zahlreiche aktuelle Beispiele auflisten von Menschen, die aus dubiosen Gründen festgenommen worden seien:
    "Grundlegende Fortschritte haben wir nicht gesehen: Wir stellen fest, dass bestimmte Journalisten und Menschenrechtsaktivisten wegen ihrer friedlichen Aktionen verfolgt und eingesperrt werden."
    Laut Amnesty sind öffentliche Proteste ob gegen Fracking oder die wachsende Massenarbeitslosigkeit akut mit dem Risiko verbunden, fest genommen zu werden. Über Folter und außergerichtliche Tötungen im Anti-Terrorkampf könne sie keine Angaben machen, sagt Oussedik, die zuständigen Amnesty-Rechercheure aus dem Ausland würden seit 2005 nicht ins Land gelassen:
    "Aber sie brauchen ja nur die Zeitung zu lesen, da steht, dass regelmäßig bewaffnete Gruppen von den Sicherheitskräften erschossen werden."
    Schikane und Drohungen
    Algeriens viel gelobte Pressefreiheit, wichtiges Ventil für den Unmut der Bevölkerung, wird beschnitten: Ein algerischer Blogger wurde jetzt zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er den Präsidenten verunglimpft haben soll. Zwei Fernsehchefredakteure säßen in Haft, einige Sender seien von der Antenne genommen oder gar nicht erst zugelassen worden, sagen Journalisten in Algier. Die Organisation Reporter ohne Grenzen beklagt Schikane und Drohungen. Und: Das Regime werde nervös, befindet der Redakteur der regierungskritischen Tagezeitung El Watan, Faycal Metaoui – der Spielraum der Opposition werde immer kleiner:
    "Die Machthabenden greifen auf die Unterdrückung zurück, wir sind in einer Phase der Repression, weil sie gerade die Nachfolge von Präsident Bouteflika vorbereiten, haben sie Angst vor abweichenden Stimmen, sie haben Angst vor einer Debatte, die sich dann auch noch auf die schwierige wirtschaftliche Lage erstreckt."
    Die Nervosität der Regierenden bekam auch El Watan zu spüren. Die Redaktion wollte vor Kurzem aus einer heruntergekommenen ehemaligen Kaserne in einen achtstöckigen Büro-Neubau umziehen – doch als die Umzugswagen anrollten, hatte die Polizei das neue Gebäude umstellt. Angeblich fehlten irgendwelche Genehmigungen.