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''Alibabs Helfer''?

Seit einem Monat zeigt das deutsche Feuilleton seine knallharte Kriegskompetenz. Denn seit einem Monat geht es in Bagdad um Kampfeinsätze, die vom Sperrsitz der Kulturkritik aus rezensiert werden können. Es geht nicht um die Befreiung eines Landes, es geht nicht um den Sturz eines Diktators, es geht nicht um die Enttarnung von Massenvernichtungswaffen, sondern es geht im wesentlichen um den Zustand eines Museums. Nachdem so gut wie alle journalistischen Horrorprophezeiungen aus der Vorkriegszeit sang- und klanglos an der Wirklichkeit gescheitert waren, musste sich die aufgestaute Emphase der deutschen Pazifisten anderswie Bahn brechen. Ausgeblieben waren sowohl der beschworene Atomkrieg als auch der Flächenbrand der arabischen Welt, nicht einmal die Einnahme der irakischen Hauptstadt erinnerte an das Warschauer Ghetto, wie mancher gehofft hatte, der die US-Marines in der Rolle der SS sehen wollte. Als sich die Iraker dann auch noch über den Ausgang der Aktion zu freuen schienen, war die völkerrechtsfeuilletonistische Bitternis hierzulande groß.

Burkard Müller-Ullrich | 08.05.2003
    Dann aber erreichte uns die Nachricht von den Plünderungen antiker Kunstschätze, und sofort wurden wir dank jahrzehntelangem Training in der Beutekunstthematik hellwach. Es galt nicht nur, ein Verbrechen zu beklagen, sondern ein in einem von den USA angezettelten Krieg begangenes Verbrechen. Handelt es sich da nicht um ein US-Kriegsverbrechen? Auf diesem kurzen, abwegigen Gedanken beruht seither die Medienberichterstattung. Schon drei Tage nach dem Zusammenbruch des Regimes von Saddam Hussein, während noch an vielen Stellen in Bagdad gekämpft wurde, beschuldigte der ARD Kulturreport die USA, "als verantwortliche Macht im Irak der Vernichtung des Weltkulturerbes tatenlos zuzuschauen", und insinuierte im selben Beitrag, dass die Plünderer-Mafia auch eine amerikanische Adresse habe: den US-Kunsthändlerverband ACCP.

    Freilich ist die Vermutung naheliegend, dass die Plünderungen organisiert waren. Wenn nämlich Krieg herrscht, Strom und Wasser ausbleiben und auf den Straßen scharf geschossen wird, dann hat die Bevölkerung in der Regel anderes zu tun, als ins Museum zu gehen - vor allem ein Museum, das sie gar nicht kennt, denn den Irakern war der Besuch ihres Nationalmuseums in der Vergangenheit gar nicht ohne weiteres möglich. Es gehört wahrhaftig nicht viel kriminalistischer Scharfsinn dazu, um in den offenbar äußerst zielstrebig durchgeführten Museumsraubzügen die Handschrift von Insidern zu erkennen, die mit dem Fundus so gut vertraut waren, wie es eben nur Mitarbeiter des Museums selbst sein konnten. Ihr Chef, Museumsdirektor Donny George, wird zwar nicht müde, die Weltöffentlichkeit über den begangenen Kulturfrevel zu informieren, doch wer sich ein wenig mit der Funktionsweise der Saddam-Diktatur und der Vergangenheit des Dr. George beschäftigt, dem drängen sich zumindest ein paar Fragen auf.

    Im September 1990, wenige Wochen nach dem Einmarsch der irakischen Armee in Kuwait, tauchten Experten des irakischen Nationalmuseums in Kuwait City auf und schleppten aus den dortigen Kunstsammlungen alles nach Bagdad, was sie für interessant hielten. Der größte Teil davon wurde zwar nach dem ersten Sieg der Amerikaner wieder zurückgegeben, doch 59 Spitzenstücke - darunter einige Smaragde - blieben verschwunden: genau die Sorte von Kleinigkeiten, die sich ein Führer der Baath-Partei gern in die Tasche steckt. Und mit den Führern der Baath-Partei war Donny George immer bestens liiert; ja, er rühmte sich vor zwei Jahren noch gegenüber einem ausländischen Journalisten, dass Saddam Hussein seine Berichte persönlich lese und mit Randbemerkungen versehe. Und ganz stolz war Dr. George darauf, dass im Irak für gemeinen Kunstdiebstahl die Todesstrafe verhängt wurde; wahrscheinlich ein Ergebnis seiner so aufmerksam gelesenen Berichte an den Staatschef.

    Das gute Standing, das der wendige Museumschef im Westen hat, kommt daher, dass die Betreuung seiner westlichen Kollegen zu seinen hauptsächlichen Aufgaben gehörte. Betreuung im Sinne des Regimes hieß allerdings: Propaganda gegen Amerika, gegen die UNO, gegen das Embargo und gegen das Oil-for-Food-Programm. Ganz besonders erfolgreich war diese Propaganda bei einem deutschen Professor namens Walter Sommerfeld. Der Marburger Altorientalist macht als Vorsitzender der Deutsch-Irakischen Gesellschaft e.V. seit Jahren Stimmung gegen die USA und organisierte im Juni 2001 den berüchtigten "Solidaritätsflug" für den nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten und Möllemann-Freund Jamal Karsli nach Bagdad. Der deutschen Industrie hat er bei unzähligen Gelegenheiten ebendort das Parkett bereitet.

    Inzwischen jedoch ist der mit dem gestürzten Regime so eng verstrickte Professor Sommerfeld eher eine persona non grata in der irakischen Hauptstadt. Kein Wunder, dass er die Lage im Land, das er soeben wieder bereiste, in den düstersten Farben malt und besonders den Kulturfrevel der Museumsplünderung anprangert. In der Süddeutschen Zeitung berichtet er voller Empörung, dass die bewaffnete zivile Wachtruppe, die das Museum vor Überfällen schützen sollte, in Todesangst das Gelände verlassen habe, das daraufhin in die Hände der Amerikaner gefallen sei. Wie weltfremd muss eigentlich eine Feuilletonredaktion sein, die weder den Hintergrund ihres Autors noch solche Formulierungen bedenklich findet: Vermutlich hätten die Amerikaner bei der Eroberung einer Stadt, in der sie noch hinter jeder Hausecke Heckenschützen zu gewärtigen hatten, einer bewaffneten zivilen Wachtruppe ganz einfach mehr kulturellen Respekt entgegenbringen sollen.

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