Freilich ist die Vermutung naheliegend, dass die Plünderungen organisiert waren. Wenn nämlich Krieg herrscht, Strom und Wasser ausbleiben und auf den Straßen scharf geschossen wird, dann hat die Bevölkerung in der Regel anderes zu tun, als ins Museum zu gehen - vor allem ein Museum, das sie gar nicht kennt, denn den Irakern war der Besuch ihres Nationalmuseums in der Vergangenheit gar nicht ohne weiteres möglich. Es gehört wahrhaftig nicht viel kriminalistischer Scharfsinn dazu, um in den offenbar äußerst zielstrebig durchgeführten Museumsraubzügen die Handschrift von Insidern zu erkennen, die mit dem Fundus so gut vertraut waren, wie es eben nur Mitarbeiter des Museums selbst sein konnten. Ihr Chef, Museumsdirektor Donny George, wird zwar nicht müde, die Weltöffentlichkeit über den begangenen Kulturfrevel zu informieren, doch wer sich ein wenig mit der Funktionsweise der Saddam-Diktatur und der Vergangenheit des Dr. George beschäftigt, dem drängen sich zumindest ein paar Fragen auf.
Im September 1990, wenige Wochen nach dem Einmarsch der irakischen Armee in Kuwait, tauchten Experten des irakischen Nationalmuseums in Kuwait City auf und schleppten aus den dortigen Kunstsammlungen alles nach Bagdad, was sie für interessant hielten. Der größte Teil davon wurde zwar nach dem ersten Sieg der Amerikaner wieder zurückgegeben, doch 59 Spitzenstücke - darunter einige Smaragde - blieben verschwunden: genau die Sorte von Kleinigkeiten, die sich ein Führer der Baath-Partei gern in die Tasche steckt. Und mit den Führern der Baath-Partei war Donny George immer bestens liiert; ja, er rühmte sich vor zwei Jahren noch gegenüber einem ausländischen Journalisten, dass Saddam Hussein seine Berichte persönlich lese und mit Randbemerkungen versehe. Und ganz stolz war Dr. George darauf, dass im Irak für gemeinen Kunstdiebstahl die Todesstrafe verhängt wurde; wahrscheinlich ein Ergebnis seiner so aufmerksam gelesenen Berichte an den Staatschef.
Das gute Standing, das der wendige Museumschef im Westen hat, kommt daher, dass die Betreuung seiner westlichen Kollegen zu seinen hauptsächlichen Aufgaben gehörte. Betreuung im Sinne des Regimes hieß allerdings: Propaganda gegen Amerika, gegen die UNO, gegen das Embargo und gegen das Oil-for-Food-Programm. Ganz besonders erfolgreich war diese Propaganda bei einem deutschen Professor namens Walter Sommerfeld. Der Marburger Altorientalist macht als Vorsitzender der Deutsch-Irakischen Gesellschaft e.V. seit Jahren Stimmung gegen die USA und organisierte im Juni 2001 den berüchtigten "Solidaritätsflug" für den nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten und Möllemann-Freund Jamal Karsli nach Bagdad. Der deutschen Industrie hat er bei unzähligen Gelegenheiten ebendort das Parkett bereitet.
Inzwischen jedoch ist der mit dem gestürzten Regime so eng verstrickte Professor Sommerfeld eher eine persona non grata in der irakischen Hauptstadt. Kein Wunder, dass er die Lage im Land, das er soeben wieder bereiste, in den düstersten Farben malt und besonders den Kulturfrevel der Museumsplünderung anprangert. In der Süddeutschen Zeitung berichtet er voller Empörung, dass die bewaffnete zivile Wachtruppe, die das Museum vor Überfällen schützen sollte, in Todesangst das Gelände verlassen habe, das daraufhin in die Hände der Amerikaner gefallen sei. Wie weltfremd muss eigentlich eine Feuilletonredaktion sein, die weder den Hintergrund ihres Autors noch solche Formulierungen bedenklich findet: Vermutlich hätten die Amerikaner bei der Eroberung einer Stadt, in der sie noch hinter jeder Hausecke Heckenschützen zu gewärtigen hatten, einer bewaffneten zivilen Wachtruppe ganz einfach mehr kulturellen Respekt entgegenbringen sollen.
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