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Alibi-Agentur
Lügen gegen Bezahlung

Ob Ehebruch, der anstehende Besuch bei der Schwiegermutter oder Arbeitslosigkeit - manche Menschen wollen nicht alles preis geben oder gar ein Doppelleben geheim halten. Eine Agentur aus Bremen konstruiert gegen Bezahlung seit 17 Jahren Alibis für fast jede Situation.

Von Manfred Götzke | 11.11.2016
    Der Schatten einer Frau und eines Mannes, der ihr eine Rose übergibt, sind an eine Wand geworfen.
    Eine fingierte Postkarte von der vermeintlichen Geschäftsreise in Hongkong gibt es schon für zwölf Euro. (picture alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel)
    Cora Schneider sitzt in einer Filiale einer der x-beliebigen, anonymen Café-Ketten in der Innenstadt Bremens. Die Firma für die sie arbeitet, hat kein Büro. Unnötig. Ihre Kunden würden sich da ohnehin nicht blicken lassen. Zu heikel. Denn für Schneider ist das Scheinleben anderer ein Geschäft. Sie verkaufe Träume, Freiheit, Freiräume – sagt sie. Andere würden sagen: Sie verkauft Lügen. Ziemlich gute Lügen. So perfekt, dass viele bereit sind, dafür viel zu zahlen.
    "Die Idee dahinter ist, Leuten zu helfen, aus einer Notsituation raus zu helfen und eben grenzenlose Freiheit anzubieten. Die Leute rufen uns an oder schreiben uns und wir bieten die Dienstleistungen. Das ist manchmal nur ein kleiner Anruf oder ein Schreiben, manchmal schicken wir Leute hin, Schauspieler hin. Es geht um grenzenlose Freiheit. Für Jedermann."
    Jedermann, das sind oftmals Männer oder Frauen, die Ihre Partner betrügen und dann ein Alibi brauchen, wenn sie mal einen Abend oder ein Wochenende nicht zu Hause sind. Zu ihren Kunden gehören aber auch Schwule, die ihren konservativen Eltern mal ihre angebliche Freundin präsentieren müssen. Banker, die ihre Arbeitslosigkeit verheimlichen wollen. Oder immer mal wieder: die Domina vom Lande.
    "Die nicht möchte, dass das rauskommt. Das weiß dann vielleicht der Partner, aber nicht die Kinder. Oft ist das ja noch ein Problem in manchen Regionen, das dann die Kinder da gehänselt werden in der Schule oder so. Und da vermitteln wir ein Doppelleben in Form einer anderen Arbeitstelle mit Visitenkarten, Arbeitsvertrag, Gehaltsabrechnungen, alles was dazu gehört. Dann hat sie Visitenkarten, die sie in der Schule, bei Freunden hinterlassen kann. Sodass dann alle denken, die Dame arbeitet im Büro."
    Postkarten von einer vermeintlichen Geschäftsreise
    Eine fingierte Postkarte von der vermeintlichen Geschäftsreise in Hongkong gibt es schon für zwölf Euro. Der gefakte Anruf vom vermeintlichen Chef: Ab 39 Euro Und auch mit dem Auftreten als VIP wirbt die Agentur auf ihrer Seite:
    "Möchten Sie, dass Sie auf einem Event angeblich viele Leute kennen, Ihnen die Hand schütteln, ein gemeinsames Foto mit Ihnen hätten? Ab 349 Euro. Besonders gefragt bei den Kunden und ab 249 Euro zu haben: Der Besuch des guten Freundes oder der Freundin durch einen gebrieften Schauspieler:.
    "Die Frau hat noch einen zweiten Mann nebenbei und sagt, ich mach mit meiner Freundin Sonja ein Wellnesswochenende. Irgendwann muss dann die Freundin auch mal nach Hause kommen, dann fragt der Mann: Wer ist Sonja, woher kennt ihr euch. Und dann liefern wir diese Sonja, die kommt dann zum Kaffee vorbei, ist bestens vorbereitet, dann lernt man sich kennen. Und der Mann weiß, diese Sonja gibt es wirklich. Das wäre dann so eine dauerhafte Geschichte, dass diese Sonja in regelmäßigen Abständen aufkreuzt."
    "Und wenn man so eine Sonja einmal gesehen hat, dann glaubt man so was auch schon?"
    "Ja klar, da würde ja nie jemand hinter kommen, dass jetzt Ihre Frau das Ganze inszeniert hat und sich da Wochen vorbereitet hat und alles abgesprochen ist."
    17 Jahre Geschäft mit Alibis
    Schneiders Chef Stefan Eiben hat die Agentur vor 17 Jahren gegründet, er führt die Geschäfte jetzt aus Spanien, einfach weil's dort wärmer ist. Cora Schneider und ihre sieben fest angestellten Kollegen koordinieren die Alibis ihrer Kunden von zu Hause aus. In ihrem adretten, unauffälligen Business-Outfit, könnte die schlanke Frau Anfang 30 eigentlich an jedem beliebigen Schreibtisch in irgendeinem Büro sitzen. Und genau das hat sie auch – bevor ihr das viel zu langweilig wurde.
    "Ich fand die Idee einfach super und ich sehe mich da als Helfer. Es kommt auch immer ein positives Feedback."
    Ein schlechtes Gewissen hat Schneider bei all dem nicht. Sie will die Motive ihrer Kunden gar nicht hinterfragen. Die Menschen, die sich an sie wendeten, hätten schon ihre Gründe.
    "Das ist eine Dienstleistung, die Kunden sind in einer Notsituation und warum die sich jetzt noch nicht trennen oder etwas noch nicht sagen wollen, da mache ich mir keine Gedanken. Ich selbst steh' da anders zu. Für mich selbst würde ich die Alibiagentur nicht in Anspruch nehmen, weil ich das einfach nicht könnte, so ein Doppelleben zu führen oder meinen Partner anzulügen oder ihm etwas zu verheimlichen. Ich bin da ganz schlecht drin. Aber für andere ist das kein Problem."
    Ein paar Grenzen bei all der grenzenlosen Freiheit gibt es dann allerdings doch noch. Die rechtlichen. Alibis, um Straftaten zu verheimlichen, die kann man sich auch bei der Alibiagentur nicht kaufen.