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"Alle Bürger sind Politiker und alle Politiker sind Bürger"

Das Gesprächsbuch "5 Sterne" spiegelt die Überzeugungen der Fünf-Sterne-Bewegung wieder. Es konzentriert sich dabei auf das Führungsduo Beppe Grillo, Komiker, und Roberto Casaleggio, Informatiker. Der Dramatiker Dario Fo übernimmt als Dritter die Rolle eines Stichwortgebers.

Von Henning Klüver | 24.06.2013
    Bei einem imaginären Spaziergang führen drei Personen einen Dialog: Dario Fo, Beppe Grillo und Gianroberto Casaleggio. Der 87-jährige Satiriker Dario Fo, der 1997 den Literaturnobelpreis erhalten hat, ist sicher der Bekannteste dieses Trios. Beppe Grillo, 1948 in Genua geboren, kann auf eine Karriere als populärer Komiker zurückblicken, bevor er sich politisch engagierte. Mit seinen oft lauten Wahlkampfauftritten machte er die von ihm gegründete Fünf-Sterne-Bewegung in ganz Italien aber auch im Ausland bekannt. Gianroberto Casaleggio schließlich, Mitbegründer der Bewegung, ist der Mann im Hintergrund, der von vielen als der eigentliche Kopf des Movimento 5 Stelle angesehen wird. Der 59-jährige Informatiker und Unternehmer betreibt in Mailand eine Internet-Agentur. Diese betreut unter anderem die Webseite von Beppe Grillo, mit der bislang die Bewegung gesteuert wurde. Die Texte dafür entstehen gemeinsam, wie Grillo selbst in diesem Buch unter dem Titel "5 Sterne – Über Demokratie, Italien und die Zukunft" erzählt:

    "Das Posting erfolgt jeden Tag nach fünf bis sechs Telefonaten, in denen wir das Thema auswählen. Gianroberto fasst zusammen, ich analysiere. Ich rede und rede und rede … Alles entsteht aus dem Austausch und aus dem Gespräch heraus."

    Die politische und gesellschaftliche Analyse der Fünf-Sterne-Bewegung geht vom Internet aus. Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation, so glauben Grillo und Casaleggio, können das gegenwärtige System der parlamentarischen Repräsentanz infrage stellen. Die Bürger können über das Internet einerseits direkter, schneller und umfassender über das informiert werden, was in den Parlamenten oder den Ratsversammlungen passiert. Und sie könnten andererseits über Abstimmungen im Netz direkt in Entscheidungsprozesse eingreifen. Gianroberto Casaleggio hält dabei im Gespräch über das Buch nichts davon, dass die Wähler ihre Stimmen an einen Abgeordneten delegieren, der dann frei, nur seinem Gewissen nach, entscheiden kann.

    "Wir glauben an die Funktion des Wortführers. Eine Person wird auf der Basis eines Programms als ein Wortführer für Bürger gewählt. Und der muss dieses Programm, das von den Bürgern selbst bestimmt wird, umsetzen. Es kann aber auch ein anderer an seine Stelle treten. Es gibt so keine Trennung mehr von Bürger und Politiker. Alle Bürger sind Politiker und alle Politiker sind Bürger."

    Casaleggio und Grillo sind überzeugt, dass sich die politischen Abläufe radikal verändern werden. Das repräsentative System wird nach ihrer Vorstellung von einem partizipativen ersetzt, in dem die Mittel der direkten Demokratie eine Hauptrolle spielen.

    "Die Bewegung möchte institutionelle Reformen durchsetzen. Zum Beispiel Volksabstimmungen, mit denen man Gesetze nicht nur ablehnen, sondern auch verändern kann. Außerdem wollen wird das Parlament verpflichten, sich mit Gesetzesinitiativen zu beschäftigen, die von Bürgergruppen ausgehen."

    In dem Buch werden im Plauderton einzelne Aspekte der gegenwärtigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Krise angesprochen, sowie Themen der Bewegung angetippt, ohne dass man sie jedoch vertiefen würde. Dafür verweist man wieder auf die Internetseiten des Movimento 5 Stelle. Beppe Grillo über den Umgang mit Kritikern:

    "Hör mal, wenn ich jemandem vom Fernsehen oder von der Presse unser Programm erkläre, schaut er mich meistens fragend an und sagt: »Ja gut, aber wo ist das Programm?« Du antwortest ihm: »Wir wollen den Bürgern politische Instrumente an die Hand geben (...).« Die Antwort: »Ja, das weiß ich, aber was sagt euer Programm?« Also rede ich weiter: »Man muss die Börse reformieren, die Ämterhäufung abschaffen,
    Schachtelbeteiligungen auflösen …«. Starrer Blick: »O.k., gut, aber das Programm?« Also spreche ich über die Finanzkrise, die Abschaffung der Provinzen, die Wahlkampfkostenerstattung, die finanziellen Zuwendungen an Tageszeitungen …« Einwand: »Gut, aber was tut ihr, um den Arbeitsmarkt zu beleben?« »Wir ersetzen Erdöl durch erneuerbare Energien. Dadurch schaffen wir unter anderem neue Arbeitsplätze in der stagnierenden Bauwirtschaft und in der Landwirtschaft, die heutzutage Millionenschäden verursacht. Gleichzeitig muss man kleine und mittlere Betriebe steuerlich entlasten …« Es ist hoffnungslos. Du kannst ihnen stundenlange Vorträge halten, es kommt immer derselbe Sermon: »Ihr habt kein Programm, ihr wollt nur alles niedermachen. «Was soll man solchen Idioten noch sagen?"


    Was Europa angeht, möchte die Fünf-Sterne-Bewegung eine Volksabstimmung über den Euro initiieren. Vorausgehen müsste innerhalb der Bevölkerung eine ausführliche Debatte über das Pro und Kontra der Zugehörigkeit zur Währungsunion. Doch drücken sich die Autoren um eine klare inhaltliche Aussage herum, ob Italien die Eurozone verlassen soll oder nicht. Wichtig ist ihnen hier allein der Weg zur Entscheidung. Bietet so der politische Ansatz der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung ein Modell über die Landesgrenzen hinaus? Was könnte man anderswo daraus lernen? Gianroberto Casaleggio:

    "Lernen ist ein etwas übertriebener Begriff. Wir möchten niemandem etwas beibringen. Aber ich glaube, dass die direkte Demokratie ein Trend ist, der auch in anderen Ländern auftauchen kann. Vielleicht mit anderen Mitteln, als wir sie in der Fünf-Sterne-Bewegung verfolgen. Doch den Bürger näher an die Entscheidungen zu führen, die ihn direkt betreffen, ist ein historischer Trend, der sich mit der Zeit durchsetzen wird."

    Das Buch will Zeugnis ablegen von dem, was in Italien passiert. Es ist parteiisch in einem doppelten Sinne. Es spiegelt Überzeugungen der Fünf-Sterne-Bewegung wieder und konzentriert sich dabei in einem leichten, vielleicht zu oberflächlich geführten Dialog auf das Führungsduo Beppe Grillo und Roberto Casaleggio. Dario Fo übernimmt als Dritter im Bunde nicht viel mehr als die Rolle eines sympathisierenden Stichwortgebers. Die internen Debatten, welche die Fünf-Sterne-Bewegung in diesen Tagen an den Rand einer Spaltung gebracht haben, können natürlich in dem Text keine Rolle spielen, der vor gut einem Jahr entstanden ist. Allerdings lässt sich aus in der Art, wie die Gründungsväter im Buch reden, ein gewisser Autoritätsanspruch heraushören, der von der Basis gerade demokratisch infrage gestellt wird.

    Beppe Grillo, Gianroberto Casaleggio, Dario Fo: "5 Sterne. Über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas",
    Aus dem Italienischen von Christine Ammann, Walter Kögler und Antje Peter
    Tropen Verlag, 240 Seiten, 16,95 Euro, ISBN: 978-3-608-50324-1.