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Alle Menschen sind gleich

Eigentlich hätte es in Amerika schon seit Jahrzehnten keine Sklaven mehr geben dürfen. Dieser Meinung waren jedenfalls diejenigen Amerikaner, die auf den Text der legendären Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 pochten. Der Journalist William Lloyd Garrison setzte sich mit seinem politischen Kampfblatt dem "Liberator" an die Spitze der Antisklavereibewegung.

Von Irene Meichsner | 01.01.2006
    Drei Millionen Neger-Sklaven zählte man Anfang des 19. Jahrhunderts auf den großen Baumwoll- und Tabakplantagen im Süden der Vereinigten Staaten. Der heilige Zorn konnte William Lloyd Garrison packen, wenn er daran nur dachte. Der junge Weiße aus Newburyport in Massachusetts hatte schon für verschiedene Zeitungen gearbeitet, als er in Boston mit den "Abolitionisten" in Kontakt kam, wie man die Gegner der Sklaverei damals nannte.

    "Ich werde mit Feuereifer kämpfen für die sofortige Befreiung aller Sklaven - so lange, bis die letzte Kette zerrissen und der letzte Leibeigene in die Freiheit entlassen ist."

    So schwor es Garrison im "Liberator", auf deutsch: "Der Befreier" - seinem eigenen politischen Kampfblatt, das er am 1. Januar 1831 in Boston herausbrachte.

    "Zittern sollen die Unterdrücker im Süden. Zittern sollen ihre heimlichen Helfershelfer. Zittern sollen diejenigen im Norden, die sie verteidigen. Mögen alle zittern, die den verfolgten Schwarzen feindlich gesinnt sind."

    Radikaler als alle anderen vertrat er die Sache der Abolitionisten.

    "Ich will so hart sein wie die Wahrheit und so kompromisslos wie die Gerechtigkeit. In dieser Hinsicht gedenke ich, in einer moderaten Weise weder zu denken, noch zu sprechen oder zu schreiben. Nein! Nein! Sagen Sie von mir aus einem Mann, dessen Haus brennt, er möge moderat Alarm schlagen. Sagen Sie ihm, er möge seine Frau moderat aus den Händen ihres Vergewaltigers retten - aber drängen Sie mich nicht zur Mäßigung in einem Fall wie diesem. Ich meine es ernst. Ich will mich unmissverständlich ausdrücken. Ich werde keine Nachsicht üben und keinen Millimeter zurückweichen. UND MAN WIRD AUF MICH HÖREN."

    Die Folgen bekam er alsbald zu spüren. Georgia, einer der Südstaaten, setzte 5.000 Dollar Kopfgeld auf ihn aus. Man hatte den "Liberator" mit einem Sklavenaufstand in Verbindung gebracht. In seinen besten Zeiten hatte das Blatt eine Auflage von einigen tausend Exemplaren. Es veröffentlichte, Woche für Woche, jeweils am Freitag, Auszüge aus politischen Reden und Predigten, auch Texte, in denen Sklaven selber von ihrer Lage berichteten. Und immer wieder Garrisons leidenschaftliche Appelle, im Kampf gegen die Leibeigenschaft nicht nachzulassen.

    "Ich erhebe Anklage gegen mein Vaterland wegen Beleidigung der himmlischen Majestät durch die gröbste Verhöhnung, die Menschen gegenüber jemals an den Tag gelegt worden ist."

    Probleme nüchtern zu analysieren, sei sein Ding nicht gewesen, schrieb der Amerikaner William Rogers in einer Biographie.

    "Er nahm kein Blatt vor den Mund, wenn er das Gefühl hatte, das etwas nicht richtig war. Und er forderte Veränderung. Details interessierten ihn nicht; es reichte ihm, zu wissen, dass man nach Gottes Wort zu leben versuchte."

    Garrison wurde zum Präsidenten der Amerikanischen Antisklavereigesellschaft gewählt. Einmal hätte ihn eine aufgebrachte Menschenmenge um Haaresbreite gelyncht; in einem Vortrag hatte er seinen Zuhörern "moralische Komplizenschaft" mit den Sklavenhaltern unterstellt. Umso größer sein Triumph, als das Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs im April 1865 - zumindest auf dem Papier - auch die Abschaffung der Sklaverei mit sich brachte. Bei einer Siegesfeier rief Garrison der jubelnden Menge zu:

    "Freiheit für jeden, für alle und für alle Zeiten!"

    Der "Liberator" hatte seinen Zweck erfüllt. Garrison stellte die Zeitung ein, die fast 35 Jahre lang sein persönliches Sprachrohr gewesen war. Viel Mut hatte er bewiesen und Verantwortungsgefühl - Tugenden, die in seiner Familie offenbar lebendig blieben. Als sich im August vorigen Jahres in Boston rund 150 von Garrisons Nachfahren trafen, gab die Schriftstellerin Nancy Garrison, Ehefrau eines seiner Urenkel, die Parole aus:

    "Jenseits unserer Familienfeier wollen wir öffentlich auch eine Verbindung herstellen zwischen Garrisons Vermächtnis und der Sklaverei unserer Tage - konkret: der sexuellen Versklavung im Nahen Osten und der Sklaverei im weiteren Sinne, wie man sie in den Entwicklungsländern und den Ausbeuterbetrieben Asiens praktiziert."

    William Lloyd Garrison, der 1879 in New York im Alter von 73 Jahren starb, hätte an solchen Worten ganz bestimmt seine helle Freude gehabt.