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"Alle scheuen die Schwierigkeiten und die Risiken"

Die Diskussion um eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik wird zwar europaweit geführt, doch die Staatslenker scheuen vor einer konkreten Umsetzung zurück. Der Politikwissenschaftler Josef Janning sieht die Ursache in der dafür notwendigen Änderung der europäischen Verträge.

Josef Janning im Gespräch mit Peter Kapern | 08.09.2011
    Peter Kapern: Der EU-Sprech, der Slang der Eurokraten, klingt wenig attraktiv, und das gilt selbst für Begriffe, die die Europäische Union, ihr Gesicht, ihr Funktionieren und letztlich ihre Zukunft gravierend beeinflussen. Ein solcher Begriff, der gleichermaßen unattraktiv klingt und doch weitreichend wirkt, lautet Vertragsänderungsverfahren. Er besagt, dass die Mitglieder sich auf eine andere vertragliche Grundlage der EU verständigen, die dann von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muss. Das Ziel eines solchen Verfahrens lautet: mehr Europa. Zuerst war diese Forderung dort aufgestellt worden, wo man es am ehesten vermuten würde, im Europaparlament nämlich. Und dann äußerte sich auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in diesem Sinne und gestern dann auch Bundeskanzlerin Angela Merkel.

    O-Ton Angela Merkel: "Es zeigt sich eben in einer unglaublichen Schärfe, dass die Probleme eines Landes – und sei es eines Landes wie Griechenland, das nur zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der gesamten Euro-Zone hat – die ganze Währung in Gefahr bringen können. Und im jetzigen Lissabon-Vertrag gibt es keinen Mechanismus, um diejenigen zur Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu zwingen, die das nicht können, oder nicht wollen. Und deshalb sage ich auch, wenn wir Europa weiter denken, wenn wir sagen, wir brauchen mehr Europa, mehr richtiges Europa, zukunftsfähiges Europa, starkes Europa, dann dürfen auch Vertragsänderungen kein Tabu sein, um ein Mehr an Verbindlichkeit dafür zu erreichen, meine Damen und Herren."

    Kapern: Angela Merkel gestern in der Generaldebatte im Bundestag. – Und am Telefon bei uns ist nun der Politikwissenschaftler Josef Janning, Direktor beim Brüsseler Think Tank European Policy Center. Guten Morgen, Herr Janning.

    Josef Janning: Guten Morgen, Herr Kapern!

    Kapern: Herr Janning, vor Kurzem haben Sie der Bundesregierung in einem Vortrag eine fortgesetzte Buchhalterpolitik, einen Mangel an aktiv gestaltender Europapolitik vorgeworfen, und gestern nun hat Angela Merkel ein Vertragsänderungsverfahren verlangt. Hat Sie das jetzt mit der Bundesregierung und ihrer Europapolitik versöhnt?

    Janning: Merkel hat in der Tat eine Wende vollzogen. Sie hat Klarheit geschaffen, wo vorher der Eindruck vorherrschte, dass ihr Krisenmanagement sich auf das reaktive Handeln beschränke. Das heißt, gestern im Bundestag hat sie auf Griechenland gehauen, aber Italien gemeint, und damit eine Situation gemeint, in der sich die Staats- und Regierungschefs auch in reformierten Bedingungen immer wieder zusagen und versprechen, die Bedingungen der Währungsunion einzuhalten, es dann aber am Ende nicht schaffen. Ihre Konsequenz daraus ist nun die, die Schäuble ja auch angeregt hat, darüber nachzudenken, wie dieser Mechanismus so verstärkt werden kann, dass er für die Teilnehmer verbindlich ist und damit auch eine Verbindlichkeit hat, die im Zweifel auch für Deutschland gilt. Dazu muss man die Verträge ändern, dazu muss man wahrscheinlich Kompetenzen nach Europa, hier auf die Euro-Zone übertragen, und dazu wird es dann Ratifikationen geben. Das ist ein Schritt in Richtung mehr Integration, tieferer Integration.

    Kapern: Das klingt aber, Herr Janning, alles sehr technisch: Vertragsänderung, um die Wirtschafts- und Finanzpolitik angleichen zu können. Klingt so ein europapolitisches Aufbruchsignal?

    Janning: Na ja, Merkel ist vorsichtig. Sie hält sich die Optionen offen. Sie hat in der Rede gestern ja auch immer wieder diesen Dualismus von Solidarität auf der einen Seite und Eigenverantwortung betont. Sie hat also schon erkennen lassen, dass sie nicht einfach gewillt ist zu sagen, na ja, gut, dann brauchen wir einen europäischen Finanzminister, wir brauchen eine europäische Finanzhoheit und alle Mitgliedsstaaten müssen sich schlicht danach richten. Das ist mit Merkel wahrscheinlich nicht zu machen, sondern sie will eine Art Mittelweg. Sie will eine Verstärkung der Verbindlichkeit, ohne aber zugleich diese gesamte Thematik nach Europa abzugeben.

    Kapern: Wie müsste sie das denn den Europäern plausibel machen, denn uns ist doch allen noch in Erinnerung das letzte Vertragsänderungsverfahren, das mal begonnen hat als verfassungsgebender Prozess und dann gelandet ist als Lissabon-Vertrag. Das ist ja beinahe völlig schief gegangen. Wie müsste man es denn jetzt anfangen, um das, was die Europäische Union benötigt, an Änderungen an der Vertragsgrundlage den Europäern auch plausibel zu machen?

    Janning: Zunächst einmal muss sie, während das laufende Krisenmanagement-Geschäft weitergeht, mit ihren eigenen Leuten sowohl im Amte wie politisch scharf nachdenken. Man braucht dafür eine Idee, die nicht nur, wie Sie sagen, technisch daher kommen kann, sondern die diese Art europapolitisches Signal auch nach außen strahlen kann. Zum Zweiten muss man intensiv mit den Partnern sprechen, bevor man mit eigenen Vorschlägen an die Öffentlichkeit geht. Das heißt, es muss ein deutsch-französisches Verständnis darüber geben und es müssen aber eine Reihe anderer Euro-Staaten mit im Boot sein. Das ist das, was deutsche Europapolitik früher besonders gut gekonnt hat, auf der einen Seite mit Frankreich das Paket aushandeln, auf der anderen Seite gerade mit den kleineren Mitgliedsstaaten dafür sorgen, dass sie zustimmen können in dem Moment, wo Frankreich mit den Vorschlägen nach außen tritt.

    Kapern: Hat der Rest von Europa Lust auf mehr Europa, auf ein neues Vertragsänderungsverfahren?

    Janning: Ich glaube, alle scheuen die Schwierigkeiten und die Risiken, die damit verbunden sind. Das wird große Debatten geben, das braucht ein Ratifikationsverfahren, im Zweifel braucht es Verfassungsänderungen, möglicherweise, je nachdem wie weit man geht, sogar in der Bundesrepublik Deutschland, und ich glaube nicht, dass irgendjemand besondere Lust darauf hat. Auf der anderen Seite ist – und das ist gestern im Bundestag deutlich geworden – der Druck auf die Regierenden so groß geworden, etwas anderes zu finden als sozusagen dieser ständige Reparaturmechanismus im Nachhinein, dass sie nun bereit scheinen, diese Mühsal, ein solches Projekt zu vermitteln, auf sich zu nehmen.

    Kapern: Als damals am Lissabon-Vertrag beziehungsweise an der europäischen Verfassung gearbeitet wurde, da hatte man sich große Ziele gesetzt: Man wollte das Demokratiedefizit der EU beheben, die seltsame Rolle des Rates, der mal Legislative, mal Exekutive ist, man wollte das Parlament stärken, die Kommission stärken, Transparenz schaffen, Effizienz schaffen. Und jetzt geht es nur noch um diese doch technischen Details einer Wirtschaftsregierung. Würde das reichen als Anspruch an ein neues Vertragsänderungsverfahren?

    Janning: In dem Moment, wo sie das vermitteln und sagen, na ja, wir machen hier mit dieser Vertragsänderung den technischen Teil einer Wirtschaftsregierung, gewinnen sie natürlich keine Zustimmung, sondern abhängig davon, was jetzt Teil des Paketes ist – wenn ich ein solches Paket machen würde, hätte es einen signifikanten Schritt zu tieferer Integration -, dann wäre das gleichzeitig die Bildung einer politischen Union innerhalb der Europäischen Union, nämlich mit den Staaten, die den Euro haben, mit einer Ausstrahlung auf die gesamte EU. Das heißt, während die Euro-Staaten ihre Haushalts-, Finanz- und Wirtschafts-Steuerpolitik in einem hohen Maße zusammenlegen würden, würden sie gleichzeitig darauf drängen, dass im EU-27-Rahmen etwa das, was jetzt als europäisches Semester eingeführt worden ist, gewissermaßen die Art Koordinierung, die Abstimmung, der Report der nationalen Haushaltsplanung, ebenfalls ein höheres Maß an Verbindlichkeit hat. Das heißt, dann würde ein Projekt daraus, dann ist es ein Projekt, das, was seit den Verhandlungen am Ende der 80er-Jahre nicht erreicht worden ist, nämlich die politische Union neben die wirtschaftliche Integration zu stellen, ein erhebliches Stück vorangebracht. Es würde zwar nach einem Kern-Europa-Modell aufgebaut werden, würde aber unmittelbar auf alle anderen Staaten ausstrahlen.

    Kapern: Der Direktor des Brüsseler Think Tanks European Policy Center, Josef Janning, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Janning, danke für die Informationen und auf Wiederhören nach Brüssel.

    Janning: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.