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"Alle sind sich darüber im Klaren, dass wir 2019 auf eigenen Füßen stehen müssen"

Führende Wirtschaftsinstitute fordern in einer bislang unveröffentlichten Studie offenbar ein Ende der speziellen finanziellen Förderung Ostdeutschlands. Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) widerspricht dem Vorwurf, die Wirtschaft würde nach dem Gießkannenprinzip unterstützt.

Matthias Machnig im Gespräch mit Dirk Müller | 28.02.2012
    Dirk Müller: Schluss mit der speziellen Förderung von Ostdeutschland. Darin sind sich die führenden Wirtschaftsinstitute hierzulande offenbar einig. Wie jetzt die FAZ herausgefunden hat, haben die prominenten Ökonomen in einer Studie genau das gefordert, eben ein Ende der Milliardentransfers in die fünf neuen Länder. Das Brisante dabei: Diese Studie liegt der Bundesregierung bereits seit über einem Jahr vor, ist aber nicht veröffentlicht worden - auf Druck des Kanzleramtes, wie es heißt. Die Institute sind davon überzeugt, dass die wirtschaftliche Angleichung zwischen West und Ost eine völlige Illusion ist. Der Abstand zwischen West und Ost wird danach niemals aufgehoben werden können. Ein klares Plädoyer der Wirtschaftsexperten dafür, die regionale Unterstützung der ostdeutschen Wirtschaft nach dem Gießkannenprinzip einzustellen. Stattdessen sollen die Strukturhilfen ganz Deutschland im Blick haben, also gerade auch die Problemfälle in den alten Bundesländern - nach dem Motto: Gleiches Recht für alle. Längst hätte sich in Ostdeutschland ein negativer Gewöhnungseffekt eingestellt.

    Darüber sprechen wollen wir nun mit Matthias Machnig (SPD), Wirtschaftsminister von Thüringen. Guten Morgen.

    Matthias Machnig: Guten Morgen.

    Müller: Herr Machnig, ist Ostdeutschland so etwas wie der griechische Teil der Bundesrepublik?

    Machnig: Das ist unglaublich; diese Studie sollte zunächst mal öffentlich gemacht werden, damit hier über sie öffentlich gesprochen wird. Im Übrigen: Alle Jahre wieder kommen solche Thesen auf, sie haben mit der Realität nichts zu tun, weil die Behauptung, man würde mit der Gießkanne Fördermittel verteilen, das ist lange vorbei. Wir konzentrieren uns darauf, wo wir wirklich Wachstum, Beschäftigung und Qualifizierung in den nächsten Jahren hinbekommen können, damit eben auch eine eigenständige ökonomische Entwicklung in den neuen Bundesländern möglich ist.

    Müller: Also Sie kennen diese Studie, dieses Ergebnis der Wirtschaftsexperten auch nicht?

    Machnig: Nein, liegt mir nicht vor. Wie gesagt, ich kann die Bundesregierung nur auffordern, sozusagen dies vorzulegen. Nun finde ich ja eines interessant: Man lässt eine Studie machen, stellt sie aber der allgemeinen öffentlichen Diskussion nicht zur Verfügung, weil man offensichtlich die Ergebnisse nicht mag. Ich mag sie auch nicht, aber zumindest muss man sich dann mit den Ergebnissen mal auseinandersetzen und sozusagen einiges richtigstellen.

    Müller: Also das, was wir bisher daraus zitiert haben im Rahmen unserer Möglichkeiten - die gehen ja auf einen Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zurück -, das ist für Sie alles Kokolores?

    Machnig: Ja, das ist Kokolores, weil die Realität ist doch eine völlig andere: Nach wie vor haben wir in den neuen Bundesländern ein sehr hohes Maß an Arbeitslosigkeit. Nach wie vor ist es so, dass die fünf neuen Bundesländer, was die Einkommensentwicklung angeht, am Ende der Entwicklung stehen. Drittens: Wir haben es zwar geschafft, dass viele Unternehmen, auch neue Unternehmen gegründet worden sind. Allerdings sind sie häufig sozusagen verlängerte Werkbänke mit einem sehr geringen Anteil im Bereich der Forschung und Entwicklung, und das macht auch die Produktivitätslücke zu den westdeutschen Unternehmen deutlich, und gerade hier müssen wir in den nächsten Jahren massiv auch weiterhin investieren, damit dort auch Unternehmen entstehen, die einen höheren Technologieanteil in ihren Produkten haben und damit auch eine andere Lohnpolitik in den neuen Bundesländern möglich wird. Von daher gibt es genügend Aufgaben. Im Übrigen will ich an eines erinnern: Die Gelder sind rückläufig. In der nächsten Periode - ich bin gerade in Brüssel - der EU werden zum Beispiel alleine aus den EU-Strukturfonds mehr als 30 Prozent weniger zur Verfügung stehen. Alleine im Fonds für regionale Entwicklung bedeutet das minus 43 Prozent für die neuen Länder. Das sind gewaltige Einschnitte, die zunächst mal überhaupt erst mal kompensiert werden müssen.

    Müller: Aber Sie haben ja, Herr Machnig, gerade selbst hier auch für unsere Hörer die Defizite aufgezählt. Die sind substanziell, die haben sich nicht groß verändert in den vergangenen Jahren, ist jedenfalls die These der Wirtschaftsexperten. Seit 20 Jahren bekommen Sie Milliardenförderungen, 70 bis 80 Milliarden jährlich, jetzt soll es etwas weniger sein, 60 Milliarden, das ist jedenfalls nachzulesen - und immer haben Sie den Anschluss noch nicht geschafft. Warum?

    Machnig: Ja, aber zunächst mal: Womit haben wir denn begonnen? Da ist doch 20 Jahre lang eine Wirtschaft komplett zusammengebrochen, das muss man sich ja vorstellen, weil sie absolut nicht wettbewerbsfähig war. Es gab keine Infrastrukturen, in die musste zunächst mal investiert werden. Es gibt zum Beispiel nach wie vor eine Strecke, 20 Jahre nach der deutschen Einheit, zwischen München und Berlin, die auch über Erfurt geht, die wird gebaut, die wird erst 2017 fertig. Das heißt, es gibt noch Infrastrukturen, die sind noch gar nicht, obwohl sie im Zuge der Nachwendezeit geplant worden sind, realisiert. Im Übrigen: Natürlich gibt es Bewegung nach oben. Die Produktivität ist nach oben gegangen, die Arbeitslosigkeit ist rückläufig, auch in den neuen Bundesländern, auch wenn sie immer noch eine bestimmte Höhe hat. Ein Land, Thüringen, hatte im besten Jahr im letzten Monat eine Arbeitslosigkeit von 7,8 Prozent, das war in der Nähe von Nordrhein-Westfalen. Also es gibt Bewegung nach oben, dennoch gibt es weiterhin strukturelle Defizite. Wie gesagt, sehr viele Unternehmen, kleine und mittelständische Unternehmen, die zwar jetzt noch am Markt sind, aber die in ihre Forschung und Entwicklung investieren müssen. Wir müssen noch stärker investieren in unsere Leuchttürme. Eine der Boom-Regionen in den neuen Bundesländern und weit darüber hinaus ist die Stadt Jena. In allen Rankings der Wirtschaftsinstitute wird zum Beispiel Jena eine große Wachstumsperspektive in den nächsten Jahren unterstellt, weil dort gezielt in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung investiert worden ist. Und das zeigt, das geht in die richtige Richtung.

    Müller: Herr Machnig, wenn ich Sie hier unterbrechen darf. Es ist aber auch ein Kritikpunkt, ein harter Kritikpunkt der Wirtschaftsexperten, die da sagen, es gibt diese kleinteilige Wirtschaft - das haben Sie auch erwähnt -, es gibt wenig Konzernzentralen beispielsweise und insgesamt - wir müssen das ja flächendeckend in allen fünf Ländern auch betrachten - wenig export- und forschungsstarke Unternehmen. Hat man diese Entwicklung komplett verschlafen?

    Machnig: Das stimmt auch nicht, dass das so generell so ist. In der Tat: Ich kann nur Konzernzentralen einladen, in die neuen Bundesländer zu kommen. Dagegen wehre ich mich nicht. Im Übrigen: Natürlich gibt es kleine und mittelständische Unternehmen. Das ist übrigens das Erfolgsgeheimnis der deutschen Wirtschaft. Wir waren auch deswegen in der ökonomischen Krise so erfolgreich, weil es viele KMUs gab, die sehr anpassungsfähig waren. Im Übrigen: In meinem Land liegt die Exportquote bei 33 Prozent. In Deutschland insgesamt ist das noch deutlich höher, aber 33 Prozent geht inzwischen auf internationale Märkte, und natürlich haben wir nicht den Spitzenwert wie Baden-Württemberg. Baden-Württemberg gibt über drei Prozent seines BIP für Forschung und Entwicklung aus. Aber auch in Thüringen liegen wir bei 1,3 und 1,4 Prozent. Das muss in den nächsten Jahren gesteigert werden. Dazu brauchen aber gerade diese Neugründungen, diese kleinen und mittelständischen Unternehmen auch gezielte zum Beispiel Technologieförderung, und das tun wir. Aber das Gießkannenprinzip ist lange vorbei.

    Müller: Herr Machnig, können Sie das denn verstehen, dass viele im Westen, die ja auch in vielen Landesteilen, in vielen Regionen massive Probleme haben, inzwischen die Schnauze gestrichen voll haben, den Osten immer weiter mit Milliarden zu subventionieren?

    Machnig: Zunächst mal gibt es erst mal die Milliardenzahlen, die da zum Teil auch in den Raum gestellt werden, die haben mit der Realität ja nichts zu tun, weil der Eigenfinanzierungsanteil ja auch vorhanden ist, der im Osten bezahlt wird. Natürlich kann ich verstehen, es gibt auch Entwicklungsprobleme in anderen Bereichen. Ich bin ein gebürtiger Nordrhein-Westfale, ich kenne zum Beispiel auch die Situation in manchen Städten im Ruhrgebiet, das ist mir sehr wohl bewusst. Aber die Antwort darauf kann ja nicht lauten, wir fahren das für alle runter, dann wird es für niemanden besser. Das kann doch nicht die Logik sein.

    Müller: Gibt es einen Gewöhnungseffekt?

    Machnig: Nein! Alle sind darauf eingestellt, alle, auch wir. Wir fahren zum Beispiel die Haushalte jetzt in den neuen Bundesländern herunter, weil es weniger Mittel geben wird, sowohl über die regionale Wirtschaftsförderung vom Bund wie von der EU. Zweitens: Wir fahren es auch runter bei den Unternehmen. Ich achte darauf, dass die GRW, also die Gemeinschaft für Regionale Wirtschaft, eine Anschubinvestition ist und nicht wie in der Vergangenheit, da sind Unternehmen zehn-, zwölfmal gefördert worden. Das gibt es bei mir nicht mehr, sondern eine Anschubinvestition muss dort erfolgen, damit die Unternehmen dann auch eigenständige und tragfähige Konzepte auf den Weg legen. Also ich sehe dort keine Gewöhnung. Alle sind sich darüber im Klaren, dass wir 2019 auf eigenen Füßen stehen müssen, weil dann die Solidarpaktmittel und die europäischen Strukturfondsmittel deutlich geringer sind als heute, und darauf sind alle eingestellt.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Matthias Machnig (SPD), Wirtschaftsminister in Thüringen. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Machnig: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.