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Alle unter einem Dach

Seit 1993 ist Polygamie - das Zusammenleben eines Mannes mit mehreren Frauen und deren Kindern - in Frankreich verboten. Schätzungen zufolge leben aber noch 30.000 schwarzafrikanische Familien in polygamen Haushalten. Im Süden von Paris läuft ein Pilotprojekt, um solche Großfamilien aufzusplitten. Suzanne Krause berichtet.

12.10.2006
    Kany Tandia schaut mal wieder auf einen Sprung bei den Mitarbeitern des Vereins "Nouveaux Pas" - "Neue Schritte", vorbei. Der residiert in einer bescheidenen Dreizimmer-Wohnung mitten in Les Ulis. Hier fand die 43-Jährige aus Mali tatkräftige Unterstützung auf dem Weg in ein neues Leben. 1987 kam sie nach Frankreich, zu ihrem Gatten, als zweite Ehefrau im polygamen Haushalt, berichtet Kany Tadia:

    "In Afrika ist es Alltag, dass ein Mann mit mehreren Frauen zusammenlebt. Aber da hat auch jede Frau ihre eigene Hütte. In Frankreich ist das anders. Ich habe zwei Kinder, die erste Ehefrau hat sieben, das macht neun Kinder. Und wir alle lebten in einer Fünfzimmer-Wohnung zusammen. Die Wohnung war völlig überfüllt, es gab nie Ruhe und man konnte nicht richtig schlafen.

    Alle haben sich immer wieder gezankt, die Kinder untereinander, wir Frauen. Und zudem ist die Polygamie in Frankreich verboten. Deshalb habe ich mich im letzten Jahr von meinem Mann getrennt und bin mit meinen beiden Töchtern in eine Dreizimmer-Wohnung weggezogen. Jetzt haben wir Ruhe, wir können gut schlafen, die Kinder können ungestört ihre Hausaufgaben machen und alles ist viel besser."

    Als der Verein "Nouveaux Pas" seine Arbeit aufnahm, lebten zwölf solcher polygamer Großfamilien in Les Ulis. Mittlerweile hat die Organisation schon drei Ehefrauen erfolgreich in die "decohabitation" begleitet. "Decohabitation" bezeichnet das Gegenteil von Zusammenleben, erklärt Vereinsmitarbeiterin Djenabou Camara:

    "Als erstes stellen wir für die Frau einen Antrag auf eine Sozialwohnung. Das ist das dringendste Problem. Dann klären wir, ob die Frau wirklich gewillt ist, ihren Mann zu verlassen. Und anschließend versuchen wir, ihren Gatten davon zu überzeugen, dass es für alle das Beste ist, wenn seine Frau das Heim verlässt. Das ist nicht immer einfach, aber es klappt, wenn die Frauen es wirklich wollen."

    Der Verein hat mit der Präfektur und den Sozialdiensten ein spezielles Protokoll zur "decohabitation" ausgearbeitet, das beide Ehepartner unterschreiben müssen. Darüber hinaus sind die Vereinsmitarbeiter Ansprechpartner für alle Alltagsprobleme: Sie begleiten die Frau bei Behördengängen, bei der Eröffnung eines eigenen Bankkontos, sie vermitteln ihr einen Alphabetisierungskurs und helfen bei der Jobsuche. Vereinsgründer Jean-Marie Ballo stammt selbst aus einem polygamen Haushalt:

    "Diese persönliche Erfahrung hat mich gelehrt: es gibt keinen glücklichen polygamen Haushalt. Weder in Afrika noch im Westen, in den Industrieländern. Denn da ist die Polygamie zudem gesetzlich verboten."

    In Frankreich wurde die Polygamie 1993 verboten. Gesetzlich ist die Lage klar, gesellschaftlich hingegen noch ein Tabuthema, bestätigt Soziologin Isabelle Gillette-Faye, die sich seit langen Jahren um Einwandererfrauen kümmert:

    "Die Polygamie ist ein heikles Thema in Frankreich, denn hier ist das schlechte Gewissen sehr ausgeprägt. Im Rahmen der Politik der Familienzusammenführung hat man knapp zehn Jahre lang polygame Haushalte erlaubt. Und nun ist sie verboten und die Aufenthaltserlaubnis hängt direkt davon ab, dass solche Großfamilien sich trennen. Doch es fehlt vehement an Sozialwohnungen und so geht nichts mehr voran."

    Ballo verlangt empfindliche Strafen für polygame Ehepaare. Ein Wunsch, mit dem er massiv aneckt. Viele Franzosen fürchten, ein solches Vorgehen sei Rassismus, sei unzulässige Einmischung in die traditionelle Kultur der Einwanderer. Quatsch, kontert Ballo. Und verweist darauf, anders als in Afrika gebe es in Europa keine Entschuldigung für polygame Haushalte.

    "Die afrikanischen Männer leiden nicht, so wie es ihre Frauen und ihre Kinder tun. Alles, was sie interessiert, sind ihre egoistischen Privilegien. Sie schlafen mit mehreren Frauen, um viele Kinder zu zeugen, für die sie dann viel Kindergeld kassieren.

    Mit dem Geld bauen sie schöne Häuser in der afrikanischen Heimat, um allen zu beweisen, dass sie es in Europa zu etwas gebracht haben. Das lockt dann andere, es ihrem Beispiel nachzutun. Aber man muss doch endlich einmal sagen, wie die Wirklichkeit aussieht, dass das Leben in Europa alles andere als leicht ist. Da stehen doch das Leben und das Glück von Menschen auf dem Spiel."