Freitag, 29. März 2024

Archiv


Allein im Flüchtlingsansturm

Nach den Flüchtlingsdramen vor Lampedusa und den Kanaren betonen spanische Politiker die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit. Doch die Aktion Frontex zur gemeinsamen Überwachung der Außengrenzen im Mittelmeer kommt kaum voran. In Spanien wächst die Enttäuschung über die Untätigkeit Europas. Hans-Günter Kellner berichtet.

21.08.2006
    Der Bagger im Hafen von Los Cristianos auf Teneriffa hat viel zu tun. Mit seiner kräftigen Schaufel zermalmt er die großen Holzboote, in denen die afrikanischen Armutsflüchtlinge seit Monaten Kurs auf die Kanarischen Inseln nehmen. Dort wächst der Unmut bei der Bevölkerung - hatte sie doch große Hoffnungen auf die Unterstützung der Europäischen Union bei der Eindämmung des Flüchtlingsstroms gesetzt. Doch die Mitgliedstaaten der Union, die sich an dem europäischen Grenzschutzprogramm Frontex beteiligen wollen, haben ihr Versprechen trotz vollmundiger Ankündigungen bis heute nicht eingelöst. Eduardo Lobo, Comandante der spanischen Küstenwache und Koordinator dieser EU-Einheiten, erklärt vor einer Karte Afrikas, was eigentlich vereinbart war:

    "Wir schicken zwei spanische Patrouillenboote an die Küsten Mauretaniens. Sie werden gemeinsam mit der mauretanischen Polizei arbeiten. Eine italienische Fregatte wird im Norden Senegals die Gewässer nach Flüchtlingsboote absuchen, im Süden ein Schiff Senegals. Ein portugiesisches Schiff wird an den Küsten der Kapverdischen Inseln patrouillieren."

    Zudem sollen Flugzeuge aus Italien und Finnland das Meer aus der Luft überwachen. Doch auch sie sind bisher nicht eingetroffen, schlechtes Wetter hält sie auf. Frontex gibt es auf den Kanaren bis heute nicht. Immer wieder betonen spanische Politiker, Spanien alleine könne das Problem der Migrationsströme nicht lösen. Zwar arbeitet das Land seit letztem Jahr noch intensiver mit Marokko zusammen, weshalb in der von Marokko kontrollierten Westsahara kaum noch Boote ablegen. Doch nun kommen die Menschen über Mauretanien, den Senegal und die Kapverdischen Inseln. Die Fahrten über das Meer dauern immer länger und werden immer gefährlicher. Consuelo Rumi, spanische Staatssekretärin für Migrationsfragen, beklagte sich am Wochenende:

    "Europa muss verstehen, dass diese Leute nicht nach Spanien kommen, sondern nach Europa. Es wäre wünschenswert, wenn Europa darauf etwas schneller reagieren würde. Bisher bewegt man sich dort nur sehr langsam. Ich spreche ausdrücklich nicht von der legalen Migration, die wir begrüßen und benötigen. Aber das Phänomen der illegalen Einwanderung erfordert eine schnelle und effiziente Reaktion."

    Deutschland will sich mit zwei Polizeibeamten an Frontex beteiligen. Sie sollen helfen, die Herkunftsländer der Migranten festzustellen. Mit Befremden ist in Madrid der Vorwurf der Bundesregierung aufgenommen worden, dass Spanien die Migranten nach 40 Tagen Haft auf den Kanaren aufs spanische Festland fliege. Spanien sende damit das Signal an alle Auswanderungswilligen in Afrika, dass jeder, der es auf die Kanaren schaffe, auch das europäische Festland erreiche. Spaniens Staatssekretärin Consuelo Rumi weist diesen Vorwurf zurück:

    "Diese Flüchtlinge erhalten einen Ausweisungsbescheid. Auch wenn die 40 Tage Abschiebehaft vorbei sind, können sie jederzeit abgeschoben werden. Sobald die Regierung in der Lage ist, diese Menschen auszuweisen, wird sie es auch tun."

    Doch so weit kommt es selten. Denn die Behörden müssen oft mit dem entsprechenden Herkunftsland zähe Verhandlungen führen, wenn sie einen Armutsflüchtling abschieben wollen - und dies, obwohl es mittlerweile mit vielen afrikanischen Staaten entsprechende Abkommen gibt. Jüngst verpflichtete sich Spanien gegenüber Mali sogar, Rückflüge von Migranten geheim zu halten – die dortige Regierung will sich bei der eigenen Bevölkerung nicht unbeliebt machen, weil sie Ausweisungen aus Europa ermöglicht. Die spanische Regierung betont unterdessen, was sie bereits unternommen habe - so wurde erst unlängst ein Afrika-Plan zur Bekämpfung der Fluchtursachen verabschiedet und eine Verdoppelung der Entwicklungshilfe angekündigt. Europa solle nun diesem Beispiel folgen, fordert Madrid, mehr noch: Die EU müsse die Forderung vieler afrikanischer Staaten erfüllen und legale Einwanderung aus Afrika ermöglichen. In diesem Sinne äußert sich auch der kanarische Ministerpräsident Adán Martín. Er trifft sich regelmäßig mit Regierungsvertretern aus westafrikanischen Staaten.

    "Diese Länder wollen die illegale Auswanderung nach Europa durch eine legale ersetzen. Dann hätten sie weiterhin die Deviseneinkünfte ihrer in Europa lebenden Bürger, aber diese Tragödien auf dem Meer gäbe es nicht mehr. Die Leute könnten zum Urlaub nach Hause fahren, oder würden nach einigen Jahren mit ihrem Ersparten zurückkehren. Europa muss sich entscheiden, ob das möglich sein soll. Europa muss Kontingente für Einwanderer schaffen und Afrika muss dabei Vorrang haben."