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Allein mit ihm

Rund 80 Einsiedler gibt es derzeit in Deutschland – und das Interesse an dieser Lebens- und Existenzform wächst. Doch so manche Neulinge, die sich auf den Weg in die Stille begeben, brechen schon nach wenigen Wochen ab. Sie unterschätzen die Abgeschiedenheit.

Von Isa Hoffinger | 01.04.2013
    "Du starker Gott, der diese Welt, im Innersten zusammenhält, du Angelpunkt, der unbewegt, den Wandel aller Zeiten trägt. Geht unser Erdentag zu End, schenk Leben, das kein Ende kennt, für uns Dank Jesu Todesleid, ins Licht der ewigen Herrlichkeit."

    Es ist drei Uhr am Nachmittag. In einer kleinen, dunklen Kapelle steht Bruder Jakobus vor einer brennenden Kerze und betet das Stundengebet, die Non.

    "Vom frühen Morgen bis zur Nacht hofft meine Seele auf den Herrn. Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir, Herr, höre meine Stimme. Wende dein Ohr mir zu, achte auf mein lautes Flehen."

    Während seine Mitbrüder in diesem Augenblick in der Klosterkirche Beuron gemeinsam Psalmen singen, ist Jakobus Kaffanke wie immer allein. Die Einsamkeit hat er selbst gewählt. Der Benediktinermönch ist Eremit. Die Sankt-Wendelins-Kapelle gehört zu seiner Klause. Sie befindet sich auf dem Ramsberg, einem 650 Meter hohen Hügel mitten im Wald, im Linzgau am Bodensee. Vor dem Eingang hängen tibetische Klangschalen, ein Gong - und ein Simandron.

    "Einsiedler sind Menschen, die in Einfachheit und Armut leben, und da hat man keine teuren Glocken, sondern eben nur ein Holzbrett und einen Hammer. Und die Zeichen zum Gottesdienst, die gibt man dann durch solche Schläge, in einem bestimmten Rhythmus. "

    Jakobus Kaffanke ist 64 Jahre alt. Ein freundlicher Mann mit Glatze, blauen Augen und einem fürsorglichen Lächeln. Er trägt das Ordensgewand der Benediktiner, den schwarzen Habit, knöchellang. Darunter einen braunen Pullover, eine graue Hose und bequeme Wanderschuhe.

    "Mein geistlicher Weg hat begonnen, als ich 25 war, ich hab Jura studiert damals, in Heidelberg, und aufgrund von einer Lebenskrise im studentischen Bereich bin ich in so einen Neuanfang gekommen, war dann öfter in Meditationskursen im Kloster Beuron, hab dort zum ersten Mal Mönche gesehen und konnte mir vorstellen, dass ich auch so was mache. Aber ich hab dann noch fast zehn Jahre gebraucht, um zur Wirklichkeit überzugehen – und in der Zwischenzeit hab ich dann von Jura umgeschwenkt – zuerst auf Philosophie, dann auf Theologie, hab dann ein Diplom in Theologie gemacht und dann, ein Jahr nach dem Examen, bin ich eingetreten."

    Zehn Jahre lebte Bruder Jakobus im Kloster Beuron. Immer wieder fragte er sich, ob das Leben in Gemeinschaft das Richtige für ihn sei. Er beschäftigte sich mit Antonius dem Großen, der im dritten Jahrhundert als Sohn reicher Christen geboren wurde und der als junger Mann in die Wüste zog, wo er über 20 Jahre lang lebte. Antonius´ Askese gilt als Vorbild für alle monastischen Formen. Überliefert ist sein Leben durch die Vita Antonii, eine Schrift des alexandrinischen Erzbischofs Athanasius:

    "Es waren noch keine sechs Monate seit dem Tode seiner Eltern vergangen, da ging er zur Kirche; er hielt Einkehr in sich und überlegte, wie die Apostel alles verließen und dem Heiland nachfolgten. In solchen Gedanken betrat er das Gotteshaus, und es fügte sich, dass gerade das Evangelium vorgelesen wurde, und er hörte, wie der Herr zum Reichen sprach: 'Wenn du vollkommen werden willst, wohlan, verkaufe all deine Habe, gib den Erlös den Armen, komm und folge mir nach, und du wirst einen Schatz im Himmel haben.' Dem Antonius aber war es, wie wenn ihm von Gott die Erinnerung an diese Heiligen geworden sei und als ob um seinetwillen jene Lesung der Schriftstelle geschehen; er ging sogleich aus der Kirche und schenkte seine Besitzungen, die er von den Vorfahren hatte, den Einwohnern des heimatlichen Ortes."

    In der ägyptischen Wüste kämpfte Antonius gegen innere Dämonen.

    "Der Teufel gab ihm schmutzige Gedanken ein, Antonius verscheuchte sie durch sein Gebet; jener stachelte ihn an, er aber schirmte seinen Leib durch den Glauben. Der arme Teufel ließ sich sogar herbei, ihm nachts als Weib zu erscheinen und alles Mögliche nachzumachen, nur um den Antonius zu verführen. Dieser aber dachte an Christus und den durch ihn erlangten Adel der Seele - und erstickte die glühende Kohle seines Wahnes."

    Auch Benedikt von Nursia, Sohn eines reichen Landbesitzers und Namenspatron der Benediktiner, ließ jedes Streben nach Besitz und Karriere schon in jungen Jahren hinter sich und zog in ein schroffes Gebirge. Drei Jahre lebte er in einer Höhle im italienischen Aniotal, bevor er auf dem Monte Cassino das erste Benediktinerkloster gründete. Bei den Christen waren die Mönche angesehen. Von Bischöfen, Priestern und Diakonen wurden sie nicht immer nur geschätzt. Der Theologe Daniel Weisser von der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn promoviert über asketische Lebensweisen.

    "Zwischen kirchlichen Amtsträgern und diesen Asketen oder Eremiten gab es schon in der frühchristlichen Zeit eine gewisse Konkurrenzsituation. Noch im vierten Jahrhundert war der großkirchliche Klerus zum überwiegenden Teil verheiratet. Dieser höhere Klerus besaß von Amts wegen eine Leitungsvollmacht, eine Jurisdiktionsvollmacht, die ihm durch die Weihe verliehen wurde.

    Diese Vollmachten hatten die Asketen zwar nicht, aber sie versuchten, alleine oder in einer Gemeinschaft, diese Nachfolge-Worte Jesu umzusetzen, "Wer nicht Vater, Mutter, Kinder und so weiter verlässt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein" – und durch dieses Leben in radikaler Nachfolge waren ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit bei den einfachen Christen häufig sehr hoch. Und so traten sie in eine Konkurrenzsituation zur Amtsvollmacht, vor allem der Bischöfe. Und aus dieser Konkurrenzsituation entwickelten sich zumindest zum Teil die Anfänge des Zölibats. Denn die großkirchlichen Amtsträger übernahmen dann die Ehelosigkeit der Asketen, weil sie als glaubwürdiger und als ursprünglich christlicher angesehen wurde, als auf Christus selbst zurückgehend. "

    Was sich als radikale Hingabe bezeichnen lässt, war für Eremiten aber auch eine enorme Herausforderung.

    "Die Sprengkraft, die einer eremitischen Lebensweise innewohnt, ist ganz offensichtlich, vor allem in sozialer Hinsicht. Zum einen verlässt der Eremit seine Familie, er will sich aber auch keiner monastischen Gemeinschaft anschließen. Dass das in monastischen Kreisen zu Spannungen geführt hat, das kann man am Beispiel von Simeon, dem Säulensteher in Syrien sehen. Der hatte zunächst in einem Kloster gewohnt und hat dort aber eine solch übersteigerte Askese praktiziert, dass bald das Oberhaupt des Klosters zu ihm kam und ihn gebeten hat, das Kloster wieder zu verlassen, und zwar nicht, weil er seine Askese missbilligte, sondern weil er die Gefahr sah, dass andere, schwächere Mönche ihm nacheifern wollten und sich dabei übernahmen, sich selber körperlichen Schaden hätten zufügen können. Hier haben wir also ein konkretes Beispiel dafür, wie eremitisches Leben – Simeon geht dann in die Einsamkeit und wird zum Säulensteher – gemeinschaftssprengenden Charakter haben kann."

    Auch für Bruder Jakobus war es nicht leicht, seinen Erz-Abt davon zu überzeugen, dass er den eremitischen Weg gehen wollte. Gerade, weil der Benediktinerorden traditionell eine stark gemeinschaftliche Prägung hat.

    "Er war nicht begeistert und hat auch vielleicht gedacht, na ja, nach einer gewissen Zeit hat er die Nase voll oder so, und dann hat er gesagt, du kannst das machen, aber unterstützen tun wir dich da nicht, das muss dann auch der Heilige Geist umsetzen."

    Ein Jahr lebte Bruder Jakobus in den Tessiner Bergen. Dort traf er einen anderen Eremiten, der ihn auf die "Burg Ramsberg" aufmerksam machte bzw. auf das, was von der ehemaligen Ritterburg noch übrig war. Bruder Jakobus nahm sich vor, das Anwesen, das 40 Kilometer vom Kloster Beuron entfernt liegt, zu restaurieren.

    "Das ist immer die erste Prüfung, ob man da geduldig und demütig ist, also es wartet keiner drauf, dass er einem ein schön gerichtetes Haus zur Verfügung stellt, ausgestattet mit Heizung und mit einem kleinen Salär für irgendwas, das kann man sich gleich mal abschminken."

    Er gründete einen Förderverein und verhandelte mit der Stadt Überlingen über die Pacht für die mittelalterliche Anlage.

    "Also ich bin mit null Pfennig hier angekommen, und in fünf Jahren haben wir 600.000 D-Mark damals umgesetzt, das waren Denkmalgelder, Zuschüsse, Industriespenden – viel Eigenarbeit, auch von den Bauern, die mit ihren Schleppern Zug- und Spanndienste geleistet haben. Es ist ja eine schwierige Zufahrt hier – und nach knapp acht Jahren war das ganze Projekt runderneuert. Das war natürlich die Hoffnung der Stadt Überlingen, die haben uns das in Erbrecht für 60 Jahre übergeben und gesagt 'als Pacht müsst Ihr es herrichten' – und das haben wir gemacht."

    Seit genau 20 Jahren lebt Bruder Jakobus nun schon auf dem Ramsberg. Sein Haus, das hinter der Sankt-Wendelins-Kapelle steht, ist knapp hundert Meter lang, aber nur etwa 15 Meter breit. Die Decken sind niedrig, ungefähr 1,80 Meter hoch. Hinter der Diele gibt es eine schlauchartige Küche mit Herd, Kühlschrank und Spüle.

    "Seit 1720 ist das ein Bannwartshaus. Bannwart ist ein Forstaufseher gewesen, der dafür zuständig war, dass das Holz nicht aus dem Wald geklaut wurde oder dass keine Wilderei stattfand. Und 1720 ist diese Anlage nach dem 30-jährigen Krieg wiederhergerichtet worden. Die Kapelle stammt von 1450, wurde dann 1720 restauriert und neu eingeweiht."

    Bruder Jakobus richtete das Anwesen mit viel Liebe her. Draußen, an der gelb getünchten Wand des Hauses, ranken sich Kletterrosen. Davor hängen weiße Gebetsfahnen. "Kyrieleyson" steht in schwarzer Handschrift darauf. An der Haustür gibt es zwei Klingeln: alte Schellen aus einem asiatischen Kloster und ein orthodoxes Weihrauchfass mit Glöckchen.

    "In der Ostkirche hat der Priester das – oder der Diakon – und geht dann so durch die Kirche und verehrt die heiligen Bilder."

    Im verwilderten Garten steht eine Holzfigur, die ein junges Künstlerpaar geschnitzt hat. Die Skulptur heißt "Mein Weg". Bruder Jakobus gefällt der Name. Unterwegs zu sein, meint er, sei schließlich das Wesen des Christseins. Vor einigen Jahren ist er, zusammen mit Freunden, den Jakobsweg gegangen, der am Kloster Beuron vorbei führt.

    "Das Pilgern als geistliche Übung ist ja uralt, weil der Glaube nicht nur mit dem Kopf vollzogen wird, sondern eben mit dem ganzen Leib."

    Mit dem ganzen Leib versuche er auch, so sagt er, Christus näherzukommen. Viele Stunden am Tag verbringt er im Lotus-Sitz und bemüht sich darum, "sich hinein zu meditieren" in das "Geheimnis Gottes". Seinen Tagesablauf strukturieren die Gebetszeiten in der Kapelle. Um sechs Uhr steht er auf, zur Prim, danach verbringt er drei Stunden in der Schweigemeditation im Haus, dann kommen die restlichen kleinen Horen, die Terz um 9, die Sext um zwölf und die Non um drei.

    "In den Zwischenzeiten ist halt hier das normale Hausumtreiben, vom Einkaufen über Putzen über Kochen und so über Wäsche waschen – und dann natürlich – Schreibtisch."

    Bruder Jakobus besitzt ein Festnetz-Telefon und ein Notebook. Er schreibt Beiträge für Bücher. Gelegentlich wollen Schulklassen die Kapelle besichtigen. Manchmal gibt er Meditationskurse im Kloster Beuron. Einmal in der Woche besucht ihn ein Freund, der Psychoanalytiker ist. Gemeinsam meditieren die beiden Männer dann eine Stunde. Länger als drei Tage am Stück hatte Bruder Jakobus in den letzten zwei Jahrzehnten nie Besuch. Er sagt, dass ihn das ablenke von seinem Weg zu Gott. Dass Einsamkeit aber auch gefährlich sein kann, ist ihm durchaus bewusst.

    "Im Kloster muss man den eigenen Weg doch ein Stück weit zurückhalten. Und wenn man allein lebt, dann ist es die Möglichkeit, dass man den eigenen Charismen mehr Raum geben kann. Und das ist eine große Chance, denn das, was man kann, das kann man so zum Blühen bringen. Der eine ist eher handwerklich, der andere literarisch, der Dritte eher theologisch-wissenschaftlich. Aber auf der anderen Seite ist es eben auch eine Gefahr. Weil wenn man die geschenkte Freiheit zu einer Beliebigkeit werden lässt, dann geht der Weg verloren."

    Seit es Eremiten gibt, steht die Nachfolge Christi, die Hinwendung zum Mysterium Gottes, im Mittelpunkt dieser Lebensweise. Kirchenrechtlich war der Stand von Einsiedlern bis ins 20. Jahrhundert hinein ungeklärt. Der Theologe Daniel Weisser hat sich mit den verschiedenen Formen eremitischen Lebens befasst.

    "Nachdem der Codex Juris Canonici im Jahr 1917, das kirchliche Gesetzbuch, ein asketisches Leben nur als gemeinschaftliches Leben verstehen konnte, hat sich das Zweite Vatikanische Konzil, das in den 1960er-Jahren tagte, in einem eigenen Dokument mit der Kirche beschäftigt. Lumen Gentium, die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanums, vergleicht die verschiedenen Formen des eremitischen, aber auch des gemeinschaftlichen, monastischen Lebens mit den verschiedenen Zweigen eines einzigen Baumes. Das heißt, das Zweite Vatikanische Konzil erkennt das eremitische Leben als erlaubte Lebensform für Männer und Frauen an. Johannes Paul der Zweite hat dann 1983 ein neues, kirchliches Gesetzbuch herausgegeben, den Codex Juris Canonici, und dieser regelt den rechtlichen Status der Eremiten in der Kirche. Er unterscheidet dabei in Kanon 603 zwischen Ordenseremiten und Diözesaneremiten. Der Ordenseremit gehört dabei prinzipiell einer Gemeinschaft von Mönchen an und untersteht seinem jeweiligen Ordensoberen. Der Diözesaneremit ist dem jeweiligen Ortsbischof, dem Diözesanbischof, unterstellt und legt ihm gegenüber ein öffentliches Gelübde ab. Er wird nicht durch das Leben in einer Kloster-Gemeinschaft versorgt, sondern er verdient sich seinen eigenen Lebensunterhalt, indem er Berufen und Aufgaben nachgeht, die mit seiner Berufung als Eremit vereinbar sind. Das können etwa Küsterdienste oder Schreibarbeiten sein."

    Rund 80 Einsiedler gibt es derzeit in Deutschland. Etwa 80 Prozent sind Diözesaneremiten, 20 Prozent Ordenseremiten. Nach Angaben von Eremitenvereinigungen wächst das Interesse an der Lebensform. Einige Neulinge, die sich auf den Weg in die Stille begeben, brechen aber schon nach ein paar Wochen oder Monaten wieder ab. Sie unterschätzen die Abgeschiedenheit. Oder sie schaffen es nicht, Geld zu verdienen. Auch Bruder Jakobus hatte zwischendurch Zweifel. Genau wie der Wüstenvater Antonius musste er gegen "innere Dämonen" kämpfen. Gegen schlechte Träume, Existenz- und Versagensängste.

    "Diese Angst kann ich nicht umgehen, sondern da muss ich mittendurch. Man wird älter, man merkt, man wird vergesslich, da fängt man an, 'oh, Mensch, jetzt kann ich mich daran nicht erinnern, der Beginn des Alzheimers, ich falle jetzt hier ins Nichts der Vergesslichkeit', also man kann es auch hochsteigern, wenn man allein ist, keiner bremst einen – und da muss geistliche Erfahrung her. Dass man nicht durchknallt, durchbrennt."

    Die Journalistin Ebba Hagenberg-Miliu hat mit verschiedenen Eremiten gesprochen. Sie hat auch Menschen im deutschsprachigen Raum gefunden, die ohne Beziehung zur Religion asketisch leben, als Aussteiger in der Natur. In ihrem gerade erschienenen Buch "Allein ist auch genug" berichtet sie darüber. Die erste Eremitin, die Ebba Hagenberg-Miliu traf, war Schwester Benedicta. Sie gehört zum italienischen Servitinnen-Orden und wohnt in Bonn, in der Michaelskapelle, einer historischen Klause, die etwas unterhalb des Godesburg-Gipfels liegt.

    "Ich komme also in eine Eremitage rein, sehr klein, alles sehr gedrungen, sehr einfach – und da sitzt mir eine Frau gegenüber, von der ich eher erwartet habe, dass sie jenseits jeder Wirklichkeit lebt – und es ist eine Frau, die regelrecht aus Fleisch und Blut ist. Und sie verbreitet, mit dem, wie sie ist, was sie ausstrahlt – und das hab ich eben auch bei anderen Eremiten erlebt – eine Aura, die faszinierend ist. Sie ist Schwester auf einer Intensivstation im Krankenhaus gewesen, Gemeindeschwester, also mitten im prallen Leben, und hat sich dann, in einer Situation Mitte 50, entschieden, einen ganz anderen Weg einzuschlagen, der sich aber auch schon angebahnt hatte in den Wünschen, den Träumen, den Sehnsüchten, die sie hatte – eben ganz bei sich zu sein, Stille zu leben."

    Besucher sind bei Schwester Benedicta willkommen.

    "Sie kapselt sich bewusst vom täglichen, allgemeinen Leben ab, aber andererseits lässt sie Menschen auf sich zu, die Hilfe suchen. Und dieses seelsorgerische Element, was Eremiten beherrschen, das ist, denke ich, eine Qualität, die auch sehr gut in die heutige Zeit passt."
    Bewegt haben die Autorin auch Begegnungen mit freien Eremiten.

    "Ich bin an einen ganz wunderbaren Eremiten geraten, der auf der schwäbischen Alb, auf einer schönen Wiese, in einem Schäferkarren sitzt und das seit über 30 Jahren. Das ist ein ehemaliger Chef einer Designeragentur, der irgendwann aber mal hingeschmissen hat und die Agentur seinen Angestellten übergeben hat, weil er in diesem Hamsterrad des Lebens nicht weiter funktionieren wollte. Der malt jetzt, der geht tagsüber ins Atelier in einer kleinen Örtlichkeit in einem Dorf und dann in seiner Freizeit sofort wieder in seinen Schäferkarren. Das heißt eineinhalb Meter mal zwei Meter im Quadrat, das ist seine Welt. Und der Mann ist glücklich."

    Aber kann man Menschen, die zwar allein, aber ohne inneren Bezug zur Religion leben, tatsächlich Eremiten nennen?

    "Die katholische Kirche wird mich jetzt schelten, und die orthodoxe wahrscheinlich auch, dass ich diese Menschen Eremiten nenne. Aber ich denke schon, dass ich in meinem Buch Parallelen herausarbeiten konnte, die frappierend sind: Wenn der Mensch sich selbst genug sein kann, wenn der Mensch kein Gegenüber braucht – jetzt würde der katholische Eremit sagen, kein Gegenüber außer Gott, und der freie Eremit wird sagen, wenn ich kein Gegenüber habe außer der Natur, der Schöpfung, und ich mir selbst genug bin, dann lebe ich eremitisch. Dann kann ich demütig sein und mich auf mich selber konzentrieren. Jeder, der sich zum Inneren seiner selbst aufmacht, ist auch auf dem Weg zu Gott."

    Ein Gottesdienst in der Wallfahrtskirche Frauenbründl. Sie steht in der Nähe des Kurortes Bad Abbach in Niederbayern. Es ist halb neun am Morgen, auf den Holzbänken knien vier Frauen und warten auf den Priester. Sie sind alle über 70, kommen aus den Dörfern in der Umgebung und freuen sich, dass mit Johannes Schuster vor knapp zwei Jahren der erste katholische Pfarrer in die Einsiedelei Frauenbründl gezogen ist.
    Der Ort wurde durch eine heilige Quelle, ein "Bründl" berühmt. Ein Unbekannter soll sich seine trüben Augen mit dem Quellwasser gewaschen haben. Sie seien klar geworden, heißt es in der Legende. Zum Dank habe er ein Marienbild an einem Baum befestigt. So kam die Quelle zu dem Namen Mariabründl oder Frauenbründl. Schon im 15. Jahrhundert zog es Pilger zu der Wasserstelle. Ab dem Jahr 1700 wohnte der ehemalige Soldat Georg Pranstetter als Einsiedler hier in einer Holzhütte. 1702 genehmigte ihm das kurfürstliche Gericht in Kelheim, eine Klause aus Stein – und 1726 auch die zugehörige Kapelle zu bauen. Das Gnadenbild, das noch heute verehrt wird, stammt aus dieser Zeit. Die Pieta, aus Lehm gefertigt, brachte Georg Pranstetter von einer Wallfahrt aus Rom mit. 1970 weihte Karl Flügel, der damalige Bischof von Regensburg, das Gotteshaus zur Kirche.

    Johannes Schuster bekommt nicht gern Besuch. Das Reden strengt ihn an. Und außerdem hat er immer viel zu tun. Nach der Messe nimmt er den Gläubigen die Beichte ab. Und dann ist er auch noch im Klausnerverein der Diözese Regensburg aktiv, der im Frauenbründl seit mehr als 300 Jahren seinen Sitz hat. Zehn Mitglieder gibt es. Anwärter mit eingerechnet.
    "Ich bin der erste Vorsitzende der Klausnervereinigung und muss mich um die ganze Administration kümmern, aber vordinglich ist natürlich: Die Gottesdienste halten. Dann, sich um das ganze Areal hier kümmern, also langweilig wird es einem hier nicht."

    Schuster ist ein zurückhaltender Mann mit grauen Haaren und einem Schnauzbart. Er trägt eine dunkelgraue Strickweste, darunter ein blaues Hemd – und Filzpantoffeln. In den 70er- und 80er-Jahren arbeitete er für die Vereinten Nationen und die Caritas als Flüchtlingshelfer und in der Leprabehandlung. In Afrika, Asien und in Südamerika. Als er aus dem Ausland zurückkam, entschied er sich, Priester zu werden und studierte Theologie. Erst 1994, mit Mitte 40, wurde er geweiht. Jetzt ist er 64 Jahre alt und offiziell im Ruhestand. Seine Klause im Frauenbründl hat zwei Stockwerke, oben befindet sich das Schlafzimmer, das Erdgeschoss führt über die Sakristei zur Kirche. Außerdem gibt es unten eine Küche und einen Wohn- und Essbereich. An den Wänden hängen Ikonen – und ein Bild von Antonius, dem Großen.

    "In Bayern ist der bekannt als der 'Schweine-Toni'. Das ist ein alter, kolorierter Kupferstich, es gab nachfolgend den Antoniter-Orden, die haben sich um die Erkrankten des Antoniusfeuer gekümmert. Und die durften, um ihre Hospitäler zu unterhalten, ihre Schweineherden in den Eichenwäldern der Städte umsonst weiden lassen – und deswegen hat Antonius der Wüstenvater dieses Schweinchen bei sich."

    In der Wohnstube der Einsiedelei stehen nur drei Möbel: ein Tisch, ein alter Bauernschrank. Und eine Kommode aus Asien. Johannes Schuster hat sie zur Priesterweihe geschenkt bekommen. Von wem will er nicht verraten. Er möchte nicht an seine Erinnerungen rühren. Daran, dass er einmal zusehen musste, wie in einem kambodschanischen Flüchtlingslager 170 Menschen starben – an einem Tag. Warum er Eremit wurde, kann er nicht erklären.

    "Im Grunde ist das ein langer Weg des Glaubens. Und eine Berufung auch. Und letztendlich kann man das nur verstehen, wenn man es selber lebt. "

    Die Journalistin Ebba Hagenberg-Miliu bewundert Eremiten. Für sie haben sie durchaus Vorbildcharakter.

    "Unsere Welt ist von Geplapper, von Getöse und von Lärm bestimmt. Ich habe die Eremiten ja auch gefragt, welchen Tipp sie mir geben können und da haben sie mir genau das gesagt: Mal schweigen. Mal den Fluss der Welt an sich vorbeiziehen lassen. Bereit sein, zu sehen, was in mir selbst ist."

    Es ist Abend geworden im Linzgau. Eine kühle Brise bewegt das Windspiel im Garten der Klause Sankt Benedikt. Bruder Jakobus schürt ein Feuer in einem gusseisernen Schwedenofen.

    "Entweder bläst man rein, bis man schwindelig wird oder man nimmt ebenso einen Blasebalg – und für mich ist das jetzt kein Accessoire vom Flohmarkt oder so, sondern das ist für mich ganz wichtig, dass mein Feuer hier funktioniert."

    Wenn es draußen dunkel wird und das Holz im Ofen knistert, fühlt sich Bruder Jakobus immer besonders wohl. Einen Fernseher hat er nicht, aber viele Bücher – und eine Stereoanlage.

    "Das hier ist meine Lieblingsmusik – das löst bei mir Glückshormone aus, da geht mir einfach das Herz auf und ich bin zufrieden."

    Jakobus Kaffanke liebt Kultur, er ist belesen – und alles andere als weltfremd. Sein Bruder arbeitet als Jurist in einem internationalen Konzern. Obwohl sich die Lebensweisen der beiden Brüder stark voneinander unterscheiden, verstehen sie sich gut. Bruder Jakobus ist ein weiser Ratgeber. Zu ihm kommen immer wieder Männer und Frauen, die ihren Weg verloren haben, die in einer Lebenskrise sind. Er meditiert dann mit ihnen – und versucht, ihnen einen Anstoß für eine neue Richtung zu geben. Danach lässt er sie wieder ziehen. Seine Hauptaufgabe, sagt er, sei eine andere.

    "Sein Wort ist Licht und Wahrheit, es leuchtet mir auf all meinen Wegen"


    "Das Projekt heißt "Allein mit ihm". Und die Aufgabe der Einsiedler ist, alle Bilder, die ich von Gott habe, alle Vorstellungen, zu lassen – und dass ich immer weiter gehe, weiter gehe, in dieses Geheimnis hinein."