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Alles raus statt rein

Astronomie.- Schwarze Löcher gelten als kosmische Monster, die alles verschlingen, was ihnen zu nahe kommt. Es geht nur hinein, nichts kommt wieder raus. Seit fast einem halben Jahrhundert wissen die Physiker aber ebenfalls, dass es auch das genaue Gegenteil geben müsste: Weiße Löcher.

Von Dirk Lorenzen | 09.11.2010
    Schwarze Löcher sind schon ungewöhnlich genug, doch Germain Rousseaux mag es noch etwas exotischer. Der Physiker an der Universität von Nizza beschäftigt sich mit Weißen Löchern.

    Für ihn ist ein Weißes Loch eine Art Schwarzes Loch, das rückwärts läuft: Es fliegt alles heraus und nichts dringt ein. Ein Weißes Loch ist also nicht dunkel – es muss strahlend hell sein. Die Existenz Schwarzer wie Weißer Löcher sagt die einsteinsche Allgemeine Relativitätstheorie voraus. Doch während die Astronomen im Kosmos viele mögliche Schwarze Löcher beobachtet haben, hat man Weiße Löcher noch nicht entdeckt. Germain Rousseaux und seine Kollegen nähern sich diesen Objekten daher experimentell – und das ganz ohne großen Aufwand.

    "Man nimmt ein leeres Aquarium, ein Rohr und eine Pumpe. Als Flüssigkeit nehmen wir Silikonöl. Aus dem Rohr lässt man den Ölstrahl senkrecht auf den Boden des Aquariums laufen. Das Öl strömt in alle Richtungen davon und bildet einen Ring um den zentralen Ort herum. Das sieht man auch beim Wasserhahn im Küchenwaschbecken. Dieser Ring ähnelt dem Rand eines Weißen Lochs, denn wir haben jetzt gezeigt, dass Wellen von außen ihn nicht überwinden können. Wir haben unser Experiment mit Hightechkameras et cetera recht aufwendig durchgeführt. Aber im Prinzip kann das jeder zu Hause machen."

    Öl im Aquarium: Was wie ein Aprilscherz klingt, hat große wissenschaftliche Bedeutung. Weltweit sind etwa zehn Arbeitsgruppen mit solchen Experimenten beschäftigt. Die Physiker haben das Strömungsverhalten im Innern des Rings genau untersucht und dabei viele Parallelen zu den erwarteten Phänomenen in Weißen Löchern entdeckt. Der Ring stellt für Wellen im Öl ein ebenso unüberwindliches Hindernis dar wie der Rand eines Weißen Lochs für Lichtwellen.

    "Wir sprechen von analoger Gravitation. Das Strömungsmuster im Aquarium dient uns als Modell für die Vorgänge in der Nähe Weißer Löcher. Wir untersuchen bei unseren Experimenten, was genau am Rand des Weißen Lochs in unserem Modell passiert. Eines der großen Ziele dabei ist, etwas Ähnliches wie Hawking-Strahlung zu beobachten."

    Nach Stephen Hawking müsste der unüberwindlich erscheinende Rand eines Weißen oder auch Schwarzen Lochs aufgrund quantenmechanischer Effekte doch ein klein wenig durchlässig sein. Demnach müsste ein Weißes Loch doch etwas Strahlung verschlucken, so wie Hawking bei Schwarzen Löchern im All ein minimales Leuchten vorhersagt.

    "Die Hawking-Strahlung ist aber so schwach, dass sie in heutigen Teleskopen nicht zu sehen ist. Dabei hätte sie fundamentale Bedeutung für die ganze Physik. Sie hängt von vier Naturkonstanten ab, unter anderem der Lichtgeschwindigkeit. Das letzte Mal gab es eine ähnliche Vorhersage, die von drei Naturkonstanten abhing, bei der Planckschen Strahlung vor gut 100 Jahren. Als diese dann beobachtet wurde, folgte daraus die Entwicklung der Quantenphysik. Was würde wohl auf die Entdeckung der Hawking-Strahlung folgen? Das beschäftigt derzeit viele Leute."

    Die Physiker hoffen, bei ihren Flüssigkeitsexperimenten etwas zu entdecken, was im Modell der Hawking-Strahlung ähnelt. Das wäre keine echte Entdeckung der Strahlung, könnte aber helfen, genauer abzuschätzen, wo und wie sich diese exotische Strahlung im Weltall beobachten ließe. Lohn der Mühe wäre womöglich eine weitere Revolution der Physik. Dafür gießen Germain Rousseaux und seine Kollegen weiter Öl ins Aquarium.