Freitag, 19. April 2024

Archiv

Alltag einer Helferin
So nah wie sie kommt kaum jemand den Flüchtlingen

Den Flüchtlingen unser System zu erklären, das ist die Kernaufgabe von Christiane Beckmann. Seit einem Jahr engagiert sich die Berlinerin ehrenamtlich bei der Organisation "Moabit hilft". Dort bereitet sie die Flüchtlinge auch auf ihre Anhörung vor und schärft ihnen dabei ein, all ihre Horrorerlebnisse aus der Heimat bis ins Detail zu berichten.

Von Daniela Siebert | 31.08.2016
    "Wenn ich diese Interviewvorbereitung mache, dann muss ich an etwas ran, was sehr sehr schwer ist. Da sitzen dann Männer vor mir und weinen. Und ich muss denen klar machen, Du musst das morgen vor völlig fremden Menschen sagen. Du musst sagen, was du gesehen hast, du musst alles sagen, was dir weh tut. "
    So nah wie Christiane Beckmann kommt kaum jemand den Geflohenen in Deutschland. Die Berlinerin engagiert sich seit einem Jahr bei "Moabit hilft". Unser Gespräch findet in der Kleiderkammer der Ehrenamtlichen-Organisation statt. Links von uns im Metallregal: graue Schuhkartons, gestapelt und beschriftet: Größe 37. Rechts von uns: Prall gefüllte blaue Müllsäcke mit Winterbekleidung, die manche selbst jetzt im Hochsommer noch spenden. Im Hintergrund sortieren andere Helfer die neuesten Kleider-Gaben.
    Gegenseitiger Respekt und Augenhöhe sind Grundvoraussetzung
    Ankommen – das sei die größte Schwierigkeit für die Geflüchteten sagt Beckmann:
    "Damals das Ankommen, sich zu registrieren, einen weiteren Termin zu kriegen, das Ankommen, eine Unterkunft zu finden, das Geld zu erhalten, was einem zusteht, die ganze Zeit geht es so weiter. Nicht mehr in einer Turnhalle zu leben, das ist so mannigfaltig."
    In Blue-Jeans und kunterbuntem Sommerhemd sitzt mir die attraktive Frau gegenüber. Man spürt schnell, dass sich die resolute 50-Jährige mit der Energie und der Zuneigung einer Löwenmutter für ihre Schützlinge einsetzt. Gegenseitiger Respekt und Augenhöhe seien die Grundvoraussetzung für ihre Arbeit erzählt Christiane Beckmann.
    Bei Bedarf weist sie aber auch mit kraftvoller Bestimmtheit die Flüchtlinge zurecht. Sei es etwa, dass sie auf dem Hof vor dem Haus nicht Fußball spielen sollen, sondern auf der Wiese ein paar Meter weiter, damit nicht wieder Scheiben kaputt gehen. Oder:
    "Ich gehe mit einem pakistanischen Mann nicht anders um als mit einem deutschen Mann, das ist etwas, wo wir Frauen auch gefordert sind, wenn mir ein deutscher Mann in den Ausschnitt guckt, sage ich 'Mach mal deine Augen woanders hin', mache ich bei einem muslimischen auch, ich wüsste nicht, warum ich mich da anders verhalten sollte, muss er lernen."
    Viele Flüchtlinge vertrauen weder Polizei noch Rechtsstaat
    Zum Kern ihrer Arbeit gehört es, den Flüchtlingen unser System zu erklären. Das fängt damit an, dass die meisten von ihnen weder der Polizei noch unserem Rechtsstaat vertrauen. Erst kürzlich redete Christiane Beckmann mit Engelszungen auf Hungerstreikende ein, die damit verhindern wollten, in den Hallen des ehemaligen Flughafens Tempelhof untergebracht zu werden. Der Rechtsweg sei besser als ein Streik erklärte sie ihnen:
    "Wenn einem Geflüchteten etwas gestohlen wurde oder es gibt Schwierigkeiten in der Unterkunft, dann haben viele Angst, zur Polizei zu gehen. Denn Polizei kennen sie aus ihrer Heimat natürlich ganz anders, dann haben sie immer Angst, gehe ich zur Polizei, ist das bestimmt ein Nachteil für mein Asylverfahren, sie wissen nicht, dass bei uns die Gewalten getrennt sind."
    Auch falsche Gerüchte, die unter den Flüchtlingen kursieren, muss die Helferin immer wieder klarstellen. Etwa, dass man eine Inhaftierung in der Heimat besser verschweigen solle. Oder dass sie denken:
    "Sag nicht, dass du bei Demonstrationen mitgemacht hast, sonst denken sie nachher, du gehörst zu ISIS oder den Taliban, sag nicht, dass in deinem Dorf Taliban waren, sonst denken die vielleicht, du warst auch bei der Taliban."
    "Die Anhörung ist das Kernstück des Asylverfahrens"
    Die wichtigste Phase ist für Christiane Beckmann, wenn die Flüchtlinge ihre Einladung zum BAMF bekommen, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, um dort ihre Fluchtgründe zu erörtern:
    "Die Anhörung ist quasi das Kernstück des ganzen Asylverfahrens. In der Anhörung werden mir grob etwa 25 Fragen gestellt und ich habe darzulegen, was mein Fluchtgrund ist und was mein Grund für den Flüchtlingsstatus sein könnte oder die Asylanerkennung."
    Meist würden die Schutz-Suchenden aber gar nicht verstehen, was die Beamten dort genau von ihnen hören wollen. Zumal oft auch Traumata, Abstumpfung oder Scham verhindern, dass sie ihre persönlichen Erfahrungen und Kriegserlebnisse schildern. Christiane Beckmann macht daher immer wieder individuelle Interviewvorbereitungen mit den Menschen:
    "Wenn ich zum Beispiel aus einem Krieg komme seit vier, fünf Jahren, wo ich täglich zugebombt wurde, wo ich gesehen habe, dass Verwandte neben mir gestorben sind oder ich bin selbst aus meinem Haus ausgegraben worden, und ich komme nach Deutschland und ich werde gefragt 'Was ist der Grund ihrer Flucht?' Und ich antworte 'Bei uns ist Krieg', mit dem Satz habe ich schon zwei Fehler gemacht, es kommt daraus keine Bedrohung rüber."
    Individuelle Bedrohung oder Verfolgung muss deutlich werden
    Die individuelle persönliche Bedrohung oder Verfolgung müsse bis ins Detail deutlich werden. Deshalb will Beckmann die Menschen bewegen, auch ihre Horrorerlebnisse zu berichten. Auch nach unserem Interview steht so eine Vorbereitung auf den BAMF -Termin an. Eine junge Frau aus Syrien. Sie ist sehr schüchtern, trägt ein schwarzes Kopftuch und eine knielange Strickjacke über der Hose.
    "Sprich auf jeden Fall immer in der Ich-Form von den eigenen Erfahrungen", schärft Christiane Beckmann ihr mithilfe eines Übersetzers ein. Auch wenn sie das aus ihrer Kultur anders gewohnt sei. "Und frag' in der mehrstündigen Anhörung nach einer Pause, wenn du erschöpft bist." Die Syrerin nickt. Sie habe in der BAMF-Anhörung auch das Recht, anstelle eines Mannes auf eine Dolmetscherin zu bestehen, betont Beckmann. Denn gerade Frauen haben oft Fluchtgründe, die sie keinem Mann aus ihrem Kulturkreis anvertrauen würden.

    "Und erzähle keine Lügen in dem Interview. Das brauchst Du nicht. Wenn Du dich an etwas nicht erinnerst, dann ist das so." Man könne sich da nicht perfekt verhalten, "erzähl' einfach Deine Geschichte", so der Rat der Helferin.