Samstag, 20. April 2024


Alltags-Mythen

Mythologisierung des Alltags - so lautete die Vorgabe für die lyrix-Teilnehmer im August.

04.09.2008
    Zu unserem - zugegebenermaßen recht anspruchsvollen - Leitmotiv im August haben uns sehr unterschiedliche Zusendungen erreicht. Neben nachdenklichen und sensiblen Beobachtungen haben auch einige sehr humorvolle Ideen ihren Weg in das Reich der Mythen geschafft. Sechs Gedichte haben die Jury besonders überzeugt.

    Im September lautet das Leitmotiv: Spiel des Lebens.

    Hier die fünf Monatsgedichte aus dem "Mythischen August". Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch an die Verfasserinnen und Verfasser:

    Gaia

    Gerade aufgewacht, noch müde,
    räkelt sie sich, herzhaft gähnend.
    Eine zarte rosa Decke,
    nunmehr gelb durchbrochen,
    wird zurückgeschlagen.
    Waghalsig - wie immer -
    steht sie mit dem Linken auf,
    um gleich zu straucheln -
    wär sie nicht so müde, würd sie lachen.
    Ihr blaues Kleid mit
    grünen Flächen, braunen Sprenkeln,
    schwarz und weiß bestickt,
    streift sie über.
    Ich muss es waschen, denkt sie,
    überall sind graue, zwischen ihnen
    rote Flecken.
    Während dessen klingelt es:
    Leise tönt die warme Stimme,
    doch sie gähnt genervt und überhörts.
    Lieber krabbelt sie zurück ins Bett,
    zieht zurück die himmelblaue Decke,
    überlässt sie ganz sich selbst.


    (David Grigowski aus Kleve, Gesamtschule Mittelkreis, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache deutsch)


    Glasbodenboot

    Alarm! Alarm!
    Rot glimmt das Meer
    Eindringling!
    Die Fischgarde schwärmt aus

    Ein Stein schluppt zur Seite
    Der schwarze Kampfseestern
    Geht in Position
    Gleitet mit Wellen
    An ein Boot
    Ploppt ans Glas

    Ein wabbel Zacken winkt.

    Trötenfisch: Signal!
    Matjes stopft Korallkanone
    Peng! Peng! Peng!
    Seeigelgeschoss

    Donnern!
    Boot beult aus.
    Ein wabbel Zacken winkt
    Lachsfilet
    Spuckt Steine hoch

    Donnern!
    Boot beult aus.

    Welle: 3
    Marschierend Seepferdchenkrieger
    - Zwei Haie schwimmen
    Kopfschüttelnd vorbei -


    (Lisa Marie Jende aus Kamen, Pestalozzi-Gymnasium Unna, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache deutsch)


    Der Eimer

    Löchrig, verrostet, verstaubt, verdreckt, Ja ganz kaputt steht er im Gras.
    Das Wasser des Frühlingsregens bedeckt
    Seine rostige Haut, wie eine dunkle Schicht Glas.

    Der Henkel ab, der Boden raus,
    Verbeult, verdellt, wie getreten sieht er aus.
    Vergessen, liegengelassen in der Vergangenheit, Erliegt er der Vergänglichkeit.

    Doch im Innern ganz verborgen,
    Erwacht zu neuem Leben,
    Ein Löwenzahn an diesem Morgen.

    So geschützt, behütet und bewacht,
    Wächst er ohne Sorgen,
    Ja Eimer, gib du gut auf ihn Acht.


    (Laura Thiel aus Mühlheim-Kärlich, Igs Koblenz, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache deutsch)


    Rausch

    kleines Fenster
    zwischen grauen Gängen ins Nichts
    denen wir täglich folgen
    kleines Fenster zum Abgrund
    in Flaschenaufzügen
    Entkommen
    in eine Welt die aufrichtige Menschen
    in Würmer verwandelt die auf dem Boden kriechen
    die sich wie Heißluftballons
    mit Rauch aufpumpen, zünden,
    über der Erde schweben
    die mit roten Augen wie wilde Tiere
    selbstvergessen tanzen
    wie Pan
    bis die Klarheit des Morgens den Zauber raubt
    und die Nacht uns erscheint wie ein Traum


    (Theresa Pleitner aus Blaubeuren, Seminar Blaubeuren, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache deutsch)


    Das Meer und sein Lied

    Erinnerungen schwappen mit der Flut
    an den Strand:

    Die im Meer versinkende Sonne
    spendet letztes Licht.
    Der Korb, in dem wir sitzen,
    war gestreift,
    blauweiß,
    das weiß ich noch.

    Doch kann ich mich nicht erinnern,
    wann die Vorstellung begann.

    Und die Möwen werden zu Tänzern,
    das Meeresrauschen spielt sein trauriges Lied, streift die Saiten der Wellen.

    Dann wechselt der Wind die Richtung.
    Der Barde, den wir tief im Horizont
    vermuten
    wird leiser
    und verstummt.

    Wir applaudieren,

    und
    erwachen schließlich
    langsam
    aus dem Bann der See


    (anonym)



    Kategorie: Außer Konkurrenz

    Die Gedichte in dieser Kategorie haben der Jury sehr gut gefallen, die Verfasser gehörten aber bereits zweimal zu den Monatsgewinnern.

    Morgen-GRAUEN

    Es ist noch früh am Morgen,
    da kommt er angerannt.
    Lustlos, müde, frierend
    steh' ich am Strassenrand.

    Von weitem hör ich ihn schon
    angriffslustig brüllen,
    sein Atem, heiss und giftig,
    versucht, mich einzuhüllen.

    Mit seinen Augen mich fixierend
    bleibt er schnaufend vor mir steh'n;
    ich dreh' mich um und will nach Haus'
    da drängt er mich, zu ihm zu geh'n.

    Um mich zu verschlingen
    öffnet hungrig er den Schlund!
    Und bringt mich in die Schule,
    wie Orpheus in den Untergrund.

    So kostet wohl der Blick zurück
    noch immer eines jeden Glück.


    (Julia Frick aus Lambsheim, Johann-Sebastian-Bach-Gymnasium Mannheim, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache deutsch)