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"Alltagsrassismus ist ein Problem"

Jörg-Uwe Hahn (FDP) muss sich nach seinen Äußerungen über das asiatische Aussehen von Parteichef Philipp Rösler gegen Rassismusvorwürfe wehren. Hahn habe sich lediglich missverständlich ausgedrückt, meint Parteikollege Lasse Becker und beklagt gleichzeitig den Alltagsrassismus in Deutschland.

Lasse Becker im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.02.2013
    Christoph Heinemann: Wirbel um Jörg-Uwe Hahn: In einem Interview mit der "Frankfurter Neuen Presse" war der hessische FDP-Landesvorsitzende gefragt worden, ob die Debatte um den Parteivorsitzenden Philipp Rösler beendet sei. Antwort Hahn:

    "Ja, wir werden sicherlich noch eine kleine Personaldebatte bekommen über die Frage der Besetzung des FDP-Präsidiums auf Bundesebene auf dem Sonderparteitag Anfang März, also ob Herr Niebel und Herr Kubicki etwa noch mal eine Rolle spielen. Bei Philipp Rösler würde ich allerdings gerne wissen, ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren."

    Heinemann: Jörg-Uwe Hahn ist übrigens Minister für Justiz und Integration in Hessen. Am Telefon ist jetzt Lasse Becker, der Vorsitzende der Jungliberalen. Guten Morgen!

    Lasse Becker: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Becker, haben die Wählerinnen und Wähler in Deutschland ein Problem mit einem asiatisch aussehenden Vizekanzler?

    Becker: Ich glaube, nicht alle, aber schon einige. Wenn ich am Wahlkampfstand stehe und so was höre wie, wir würden euch ja wählen, wenn ihr den Chinesen abwählt, oder wir würden euch wählen, wenn da nicht der Chinese wäre, dann ist das ein Problem, was wir haben, und das gibt es auch an anderen Beispielen. Ich habe jetzt gesehen, das wurde mir auch noch mal mitgeteilt als Beispiel, dass in Leipzig das FDP-Wahlkreisbüro beschmiert wurde mit "Schmeißt den Fidschi raus", eindeutig bezogen auf Philipp Rösler. Das ist Rassismus. Und ehrlich gesagt finde ich es da auch rassistisch, wenn danach die Linke, genauso wie die Grünen, genauso wie die SPD schweigen dazu vor Ort und man jetzt so tut, als wäre irgendeine angestoßene Diskussion – mit zugegebenermaßen einer blöden Wortwahl – das eigentliche Problem. Das Problem ist der Alltagsrassismus in Deutschland, und den muss man auch mal ansprechen.

    Heinemann: Inwiefern ist die Wortwahl blöd?

    Becker: Ich glaube, es ist missverständlich. Jörg-Uwe Hahn, das sage ich als jemand, der ihn kennt, hat es gemeint – das sieht ja auch übrigens der Ausländerbeirat in Hessen so, die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte hat Herrn Hahn dafür gedankt –, er hat es so gemeint, dass er sagen wollte: Wir müssen diese Diskussion in Deutschland führen. Die hessischen Ausländerbeiräte, Herr Di Bernedetto, der Ausländerbeirats-Vorsitzende, hat klar gesagt: Wir sind dankbar für die Diskussion. Nur genau, dass es so missverständlich ist, das ist in der Tat ärgerlich. Ich würde jetzt trotzdem lieber die sachliche Diskussion führen, ehrlich gesagt, weil ich glaube, dass wir dieses Alltagsrassismusproblem in Deutschland haben und dass mir, ehrlich gesagt, auch niemand erzählen kann, dass Cem Özdemir oder Tarek Al-Wazir von den Grünen, genauso wie Politiker mit Migrationshintergrund bei SPD oder CDU, noch nie einen blöden rassistischen Spruch bekommen haben. Im Gegensatz zu den Grünen sage ich bloß: Der Rassismus ist nicht besser, wenn er gegen die FDP ist – und das regt mich an der Debatte des gestrigen Tages furchtbar auf.

    Heinemann: Herr Becker, um noch mal die Wortwahl klarzustellen: Herr Hahn hätte also besser diejenigen geißeln sollen, die so etwas schreiben, die so etwas sagen, wie Sie es eben zitiert haben, anstatt die Akzeptanz des in Vietnam geborenen Philipp Rösler infrage zu stellen?

    Becker: Ja, ganz konkret, finde ich, kann man auch die Medien an der Stelle kritisch hinterfragen. Im vergangenen Jahr durften wir in einem "Spiegel"-Interview die Frage an Philipp Rösler lesen: "Wollten Sie nicht mal deutsch aussehen?" Da stelle ich mir die Frage: Ist das Rassismus? Ich finde ja, weil ich ganz ehrlich sage: Für mich sieht Philipp Rösler genauso deutsch aus wie Sie oder ich wahrscheinlich, und das ist schon ein Problem in der Gesellschaft, genau wie irgendwelche Morgenradio-Witze über den Fidschi oder eben im Zweifelsfall auch auf der anderen Seite ein Witz abends im Fernsehen, ob denn Philipp Rösler da die Stäbchen aus der Hand fallen, schon ein Problem mit Alltagsrassismus auch in den Medien zeigen, ich da sage: Ich finde das an den Stelle nicht gut, aber da sollte jeder sein eigenes Verhalten auch kritisch hinterfragen, und diese Diskussion müsste man dann halt auch führen.

    Heinemann: Witze, wie Sie sie im Deutschlandfunk nicht hören werden.

    Becker: Das stimmt.

    Heinemann: Noch mal zurück zum Alltagsrassismus: In Philipp Röslers Heimatland Niedersachsen hat das, was Sie als Alltagsrassismus beschreiben, ja rund zehn Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht daran gehindert, überwiegend per Zweitstimme die FDP zu wählen.

    Becker: Das stimmt. Ich glaube auch, dass es ein relativ kleiner Anteil von Menschen ist, ich glaube nicht, dass das die Mehrheit ist, aber es ist in der Tat etwas, was in der Diskussion eine Rolle spielt und was man deshalb auch ansprechen sollte.

    Heinemann: Geht in der FDP die Debatte um Philipp Rösler jetzt von Neuem los?

    Becker: Nein. Das hat ja auch Jörg-Uwe Hahn klar gesagt. Das war in keiner Weise als irgendwie Personaldebatte gedacht. Wir haben ein Spitzenteam mit Rainer Brüderle als Spitzenmann für den Wahlkampf und mit Philipp Rösler als Parteivorsitzenden, und das ist, wenn Sie mich fragen, die beste Lösung, die wir dort haben könnten, davon bin ich heute noch genauso überzeugt wie an dem Tag, als ich im FDP-Bundesvorstand dafür meine Hand gehoben habe. Und jetzt sollten wir uns auf die Inhalte konzentrieren, weil ich auch ehrlich sage: Ich finde es schade, dass wir nicht darüber diskutieren, warum zum Beispiel Frau Roth von den Grünen mit dem iranischen Botschafter einmal abschlägt bei der Sicherheitskonferenz, laut lachend dabei – das sind für mich wesentlich inhaltlichere Fragen, über die ich auch mal gerne politisch reden würde, oder wie der europäische Haushalt jetzt wird, der am heutigen Tag diskutiert wird. Mich ärgert es, wenn wir nicht über Inhalte reden, sondern die ganze Zeit nur über irgendwelche politische Selbstbeschäftigung quer durch alle Parteien.

    Heinemann: Sie sagten gerade, keine Personaldebatte, ich darf Jörg-Uwe Hahn noch mal zitieren: "Wir werden sicherlich noch eine kleine Personaldebatte bekommen über die Frage der Besetzung des FDP-Präsidiums auf Bundesebene auf dem Sonderparteitag Anfang März, also", jetzt noch mal Zitat Hahn, "ob Herr Niebel und Herr Kubicki etwa noch mal eine Rolle spielen." Was ist das, wenn keine Personaldebatte?

    Becker: Na ja, wir werden bei dem Parteitag, das lässt sich nicht vermeiden, das sieht die Fraktion so vor, einen neuen Bundesvorstand wählen. Da muss sich Philipp Rösler, genauso übrigens wie Lasse Becker als Beisitzer im Bundesvorstand, der Wahl des Parteitags stellen. Ich finde, bei dem Parteitag dort müssen wir darüber diskutieren, das werde ich auch tun, nur da werde ich jetzt im Vorfeld nichts sagen, sondern werde es vor Ort beim Parteitag in Berlin sagen.

    Heinemann: Was wird aus Niebel und Kubicki?

    Becker: Wie gesagt, ich habe gerade gesagt, das klären wir beim Parteitag, da werden wir darüber sprechen. Ich habe da meine Vorstellungen, aber das muss nicht zwingend im Deutschlandfunk jetzt ausgeführt werden, sondern das können wir beim Parteitag in Berlin ansprechen.

    Heinemann: Herr Becker, Rainer Brüderle sieht sich dem Sexismusverdacht ausgesetzt, SPD, Grüne und Linke, das haben Sie selber geschildert, werfen Jörg-Uwe Hahn Rassismus vor. Muss man den Liberalen mal erklären, dass Freiheit auch Grenzen hat?

    Becker: Also da, muss ich sagen, finde ich die Debatte, wie Sie sie gerade aufziehen, etwas schwierig. Ich habe beim Thema Rassismus eben ja schon was gesagt, ich glaube, das wollen einige dort im linken Lager bewusst missverstehen. Ich sage auf der anderen Seite: Beim Thema Sexismus müssten Sie, was die konkrete Situation angeht, mit den Betroffenen vor Ort reden. Ich nehme bloß auch wahr, dass wir da ein gesellschaftliches Problem haben: Wenn zum Beispiel die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", ohne dass irgendjemand etwas dazu sagt, Mitglieder der Jungen Liberalen im Wahlkampf als Tittenblondinen bezeichnet, dann ist das offenster Sexismus, und wenn Sie mich fragen auch wesentlich härterer Sexismus als manche Frage der Dirndltauglichkeit, auch wenn das nicht mein Stil wäre, das gebe ich offen zu. Ich glaube, ehrlich gesagt, aber, dass die Diskussion um diese Frage Sexismus jetzt durch ist und werde deshalb auch sagen, dass wir in der Tat schauen müssen, dass wir das gesellschaftliche Problem bei beiden Feldern thematisieren, aber das hat nichts mit der FDP zu tun. Übrigens: Da habe ich auch die Rückmeldung bekommen quer durch alle Parteien, dass bei der Frage Umgang mit Frauen in der Politik alle Parteien in Deutschland, egal ob Grüne, SPD, Linke oder CDU, an manchen Stellen schwierigen Umgang haben. Und das ist, glaube ich, etwas, da sollten wir uns alle gemeinsam drum kümmern.

    Heinemann: Lasse Becker, der Vorsitzende der Jungliberalen. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Becker: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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