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Alphabetisierungskurse für Flüchtlinge
Geduldige und beharrliche Arbeit

Die geflüchteten Menschen müssen hier in Deutschland erst einmal deutsch sprechen, schreiben und lesen lernen. Für erwachsene Analphabeten ist das besonders schwierig. In speziellen Alphabetisierungskursen wird dies vermittelt. Dafür qualifizierte Deutschlehrer sind allerdings Mangelware.

Von Astrid Wulf | 27.02.2017
    Ein Alphabetisierungskurs für Flüchtlinge.
    Ein Alphabetisierungskurs für Flüchtlinge. (Deutschlandradio / Astrid Wulf)
    - "Camita. Lesen sie bitte."
    - "Sie leben in einer Wohngemeinschaft. Was brauchen Sie? Was brauchen Sie nicht? Disk..."
    - "Diskutieren Sie."
    Die acht Kursteilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen im Halbkreis, auf den Schreibtischen vor ihnen vollgeschriebene Notizblöcke und Deutschbücher. Die erwachsenen Migranten kommen unter anderem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Sie haben diesen Sprachkurs vor etwa einem Jahr unter besonders schwierigen Bedingungen angefangen, sie waren Analphabeten und konnten in ihrer Muttersprache gar nicht oder nur wenig lesen und schreiben.
    Severina Angelova nimmt auch am Kurs teil. Die Frau mit den langen, blondierten Locken lebt seit sechs Jahren in Deutschland. Die 26-Jährige gehörte in Bulgarien der türkischen Minderheit an. Sie hat als Kind nie richtig lesen und schreiben gelernt – weder auf Türkisch, noch auf Bulgarisch. Heute spricht sie etwas deutsch, antwortet im Interview jedoch lieber auf Türkisch:
    "Ich bin erst mit 12 Jahren eingeschult worden und bin dann nur zweieinhalb Jahre zur Schule gegangen. Ich habe mich geschämt, mit den kleineren Kindern lernen zu müssen und habe die Schule dann abgebrochen."
    Spezielle Qualifikation für Lehrer
    Konzentriert blickt sie auf die Tafel und schreibt die Übungssätze von Deutsch-Dozentin Sema Kul ab. Die Lehrerin mit der kleinen runden Brille ist freundlich, geduldig und sehr beharrlich. Grundvoraussetzungen, um mit Analphabeten zu arbeiten.
    "Manche haben wirklich bei null angefangen. Die sind auch in ihrer Muttersprache nicht alphabetisiert. Man braucht mehr Zeit und man muss verschiedene Lernstrategien entwickeln. Wenn jemand überhaupt nicht zur Schule gegangen ist, sind keine Strukturen vorhanden. Die muss man erst einmal schaffen."
    Auch absolute Basics wie den Umgang mit Stiften und Papier. Dann heißt es: wiederholen, wiederholen, wiederholen – in Alphabetisierungskursen geht es langsamer voran als in anderen Sprachkursen, deswegen dauern sie auch ein Drittel länger als andere Deutschkurse für Migranten.
    "Was machen Sie im Haushalt gerne, was machen Sie nicht so gerne?"
    Sieben Frauen und nur ein Mann lernen hier gemeinsam Deutsch. Ein typisches Bild für die sogenannten Alphakurse, sagt Sema Kul.
    "In Alpha-Kursen dürfen auch Männer teilnehmen, aber nichtalphabetisierte Frauen sind in der Mehrzahl. In Afghanistan, wenn man auf dem Dorf lebt, gibt es dort eben keine Schule oder Bildung hat noch nicht so einen Stellenwert – für Mädchen noch weniger.
    Lehrkräfte sind Mangelware
    Sema Kuhl hat eine Zusatzqualifikation für den Unterricht von Analphabeten. Lehrkräfte für Deutsch wie sie sind allerdings Mangelware, sagt Christina Bruhn vom Landesverband der Volkshochschulen in Schleswig-Holstein – dabei ist jeder zehnte Integrationskurs ein Alphabetisierungskurs.
    "Das Bundesamt ist dem begegnet, indem jetzt übergangsweise Lehrkräfte mit der Grundzulassung für Integrationskurse auch Alpha unterrichten dürfen. Aber eben nicht jede Flitzpiepe, die denkt, sie kann es unterrichten, nur weil sie selbst lesen und schreiben kann."
    Einerseits sollen die Migranten nicht zu lang auf einen Kurs warten müssen, andererseits sollen die Menschen von gut ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden. Christina Bruhn geht nicht davon aus, dass sich das Dilemma in naher Zukunft auflösen lässt.
    "Die Kapazitäten der Einrichtungen, die Lehrkräfte ausbilden, sind auch ausgebaut worden, aber bleiben letztlich auch begrenzt. Und die Qualifizierung geschieht ja auch nicht von heute auf morgen."
    Die gute Nachricht: Jede Migrantin und jeder Migrant bekommt irgendwann einen Platz in einem Alphabetisierungskurs wie hier in diesem Lübecker Kulturzentrum. Und nach etwas mehr als einem Jahr haben die meisten Teilnehmer hier einen großen Sprung gemacht. Viele, die bei Null angefangen haben, sind heute zum Beispiel in der Lage, ein Entschuldigungsschreiben für ihre schulpflichtigen Kinder zu schreiben – auf Deutsch.
    Am Ende des Kurses steht das Ziel, den Deutschtest für Zuwanderer bestehen. Auch, wenn erfahrungsgemäß nicht alle mit dem B1-Sprachzertifikat bestehen, ist zumindest Severina Angelova optimistisch – und hat auch schon Pläne für die Zukunft:
    "Ich möchte Friseurin werden und ich möchte meinen Führerschein machen."