Donnerstag, 28. März 2024

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Alphonse Daudet
Ironischer Bohémien mit dunklem Schatten

Alphonse Daudet schrieb leichtfüßige, lichtdurchflutete Prosa. Den literarischen Strömungen seiner Zeit schien er sich zu entziehen, stattdessen bot er von allem ein bisschen. Gustave Flaubert und Emile Zola schätzten ihn als charmanten und anregenden Gesprächspartner. Vor 175 Jahren wurde Alphonse Daudet geboren.

Von Maike Albath | 13.05.2015
    Undatiertes Porträt des französischen Schriftstellers Alphonse Daudet.
    Undatiertes Porträt des französischen Schriftstellers Alphonse Daudet. (AFP)
    "Kein Laut (...) Kaum hier und da der Ton einer Querpfeife, ein Brachvogel im Lavendelgestrüpp, die Schelle eines Maultiers auf der Heerstraße (...) Die ganze schöne provenzalische Landschaft rings um mich lebt nur durch das Licht. Und wie meint Ihr nun, ich könne mich zurücksehnen nach Euerem lärmenden und dunklen Paris? Mir ist so wohl in meiner Mühle!"
    Aber nein, nicht Paris, schließlich hatte Alphonse Daudet seine provenzalische Heimat gerade erst wieder entdeckt und schwelgte in der Herrlichkeit des ländlichen Lebens! "Briefe aus meiner" Mühle nannte der Schriftsteller seine zart hingetupften, verplauderten und hochironischen Geschichten, die ab 1866 in Pariser Tageszeitungen erschienen und unter den Lesern äußerst beliebt waren. Vielleicht auch deshalb, weil der Erzähler am Ende doch zu einer anderen Einsicht kommt.
    "Und ich liege krank vor Heimweh im Grase, mir ist, als sähe ich beim verklingenden Trommelschall mein ganzes Paris durch die Kiefern defilieren (...) Ah! Paris! Paris! Immer nur Paris!"
    Vor der Armut nach Paris geflohen
    Denn unter den Bohémiens der Hauptstadt hatte Alphonse Daudet seine Bestimmung gefunden. Er wurde am 13. Mai 1840 in Nîmes als Sohn eines Seidendruckers geboren und verlebte wegen des Bankrotts seines Vaters eine entbehrungsreiche Kindheit. Die Armut der Familie zwang ihn zum Schulabbruch, Alphonse schlug sich als Internatsaufseher durch und flüchtete sich 1857 schließlich zu seinem älteren Bruder nach Paris. Hier brachte er erste Prosa heraus. Drei Jahre später stellte ihn der Herzog von Morny, Minister und Halbbruder von Napoleon III., als Privatsekretär ein. Daudets Existenz war gesichert - und nebenbei konnte er schreiben und heimste Erfolge ein. 1872 wurde sein Drama "L'Arlesienne" mit der Musik von Georges Bizet uraufgeführt, das beim Publikum durchfiel. Also wandte sich Daudet wieder erzählerischen Werken zu, heiratete und ging mit Schwung einen von Cervantes inspirierten Roman über einen sympathisch-vertrottelten Provenzalen an, der eine Vorliebe für das Mützenschießen pflegte:
    "Wenn Tartarin am Sonntagabend von der Jagd heimkehrte, die durchlöcherte Mütze auf dem Gewehrlaufe, gut eingehüllt in seine baumwollenen Jacken und Westen, dann verbeugten sich die auf dem Quais der Rhône herumbummelnden Lastträger respektvollst. Dabei blickten sie auf die mächtigen gewölbten, riesenhaften Muskeln ihrer eigenen Oberarme, dann aber warfen sie einen Seitenblick auf jenen und flüsterten einander voll Bewunderung zu: ‚Der da ist aber stark! Der hat Doppelmuskeln!' Doppelmuskeln! Man denke!"
    Abendessen mit wichtigen Literaten
    Witzig, spitzbübisch, haarsträubend, so stellten sich "Die wundersamen Abenteuer des Tartarin de Tarascon" 1872 den hingerissenen Lesern dar. Alphonse Daudet knüpfte in Fortsetzungen an die Geschichte des prahlerischen Helden an, der schließlich sogar in Polynesien landete. Ihm selbst reichte Paris.
    "Zu dieser Zeit hatten wir die Idee einer monatlichen Zusammenkunft, wo sich Freunde an einem gut gedeckten Tisch treffen würden. Nichts ist so köstlich wie diese Diners unter Freunden, wo man ungezwungen plaudert, mit wachem Geist, die Ellbogen auf dem Tischtuch. Als erfahrene Leute waren wir alle Feinschmecker. Zum Beispiel gab es so viele Delikatessen wie Temperamente, so viele Rezepte wie Provinzen. Flaubert brachte normannische Butter und geschmorte Ente aus Rouen; Edmond de Goncourt, raffiniert und exotisch, verlangte Ingwerkonfitüre, Zola Seeigel und Muscheln, Turgenjew genoss seinen Kaviar."
    Allen intelligenten Gesprächen zum Trotz, kultivierte Daudet einen furchtbaren Judenhass und half 1886 sogar Édouard Drumont, dem Verfasser des antisemitischen Pamphlets "La France juive", über einen finanziellen Engpass hinweg. Während der Dreyfus-Affäre, die einen unschuldigen jüdischen Hauptmann in die Verbannung befördert hatte, schlug er sich auf die Seite der nationalistischen, antisemitischen Generäle. Alphonse Daudet starb am 16. Dezember 1897, nur vier Wochen, bevor Zola mit seinem Zeitungsartikel "J'accuse" die wahren Hintergründe der Affäre aufdecken sollte.