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Als die Pflanzen gebändigt wurden

Botanik.- Vor etwa 10.000 Jahren wurden aus Jägern und Sammlern allmählich sesshafte Bauern. Zu dieser Zeit fingen sie auch an, gezielt Pflanzen zu züchten. Britische Genetiker wollten nun herausfinden, wie die Domestizierung der Pflanzen deren Anpassungsfähigkeit verändert hat.

Von Michael Stang | 26.06.2012
    Mit ihren wilden Vorfahren haben heutige Getreidearten nicht mehr viel gemein. Das betrifft äußerliche Faktoren wie Aussehen, Größe, Gestalt und Blütenform, aber auch innere wie der Stärkegrad des Korns. Wie aus wilden Formen ertragreiche Pflanzen wurden, erforscht der britische Genetiker Robin Allaby von der University of Warwick in Coventry.

    "Bei der Evolution von Getreide sind wir bislang davon ausgegangen, dass die Domestikation ein unglaublich schneller Prozess war. Aber Samen aus archäologischen Hinterlassenschaften haben gezeigt, dass das nicht stimmt."

    Die ersten Bauern konnten gar nicht wissen, wie Weizen, Gerste und Hafer später einmal aussehen würden. Sie haben sie vermutlich einfach angebaut und die besten Samen für die neue Aussaat genommen. Untersucht man die heutigen Getreide, so Allaby, könne man nicht mehr auf genetischer Basis rekonstruieren, wann und wie die einzelnen Sorten domestiziert wurden.

    "Wenn wir den ganzen Domestikationsprozess analysieren und die frühen Formen sowie die halbdomestizierten Pflanzen genetisch entschlüsseln, dann können wir diese Selektionssignale vielleicht noch im Genom erkennen. Und dann sehen wir möglicherweise auch, welche Eigenschaften selektiert wurden und in welcher Geschwindigkeit dies passierte."

    Zwar wissen die britischen Forscher, wie die Wildformen aussahen und mithilfe von Simulationen können sie auch schauen, wie die einzelnen Veränderungen vonstatten gingen, auf genetischer Basis ist dies hingegen noch nicht annähernd verstanden. Der Erkenntnisgewinn erfolge nur schrittweise.

    "Zu Beginn eines Domestikationsprozesses, so wurde vermutet, gehört automatisch immer ein sogenannter Flaschenhals-Effekt. Das heißt, die Vielfalt der Pflanzen nahm stark ab, nur einige wenige überlebten und aus diesen gingen später alle Abkömmlinge hervor. Also haben wir uns die frühen Pflanzen angesehen, um zu schauen, ob es diesen Prozess gab oder die große Vielfalt erhalten blieb und nun können wir sagen, dass das Konzept des Flaschenhalses ein Mythos ist."

    Dank neuer und immer feinerer Methoden sowie großer Datenbanken, mit denen sie Pflanzengenome direkt vergleichen können, kommen die Forscher der Domestikation Schritt für Schritt auf die Spur. Erst wenn sie diese Prozesse exakt verstanden haben, lässt sich dieses Wissen möglicherweise auch für zukünftige Züchtungen neuer Pflanzen nutzen.

    "Wir werden jetzt überprüfen können, ob es tatsächlich eine konstante Rate der genetischen Änderungen gab. Das konnten wir bis vor kurzem nicht. Wir gingen davon aus, dass alle Änderungen, wie etwa die Zunahme der Samengröße, parallel vonstatten gingen, aber dem war nicht so. Das dauerte alles zum Teil Jahrtausende."

    Während bei einigen Getreidearten erst die Samen größer wurden, veränderte sich bei anderen zunächst die Blütenform, später dann der Größenwuchs oder die Anzahl der Blätter. Dies hängt auch immer von lokalen Begebenheiten ab. Als Beispiel nennt Robin Allaby die Domestikation von Gerste. Diese wurde bereits vor rund 9500 Jahren domestiziert. Vor 3000 Jahren wurde dieses Getreide dann auch in großem Stil in Nubien angebaut, dem Gebiet zu beiden Seiten des Nils südlich des ersten Nilkatarakts bei Assuan in Ägypten. Dort war es sehr trocken und es kam zu großen Veränderungen. Aus der ursprünglichen sechsreihigen Gerste wurde - durch die strenge Selektion der Bauern - eine zweireihige und zwar als Ergebnis einer lokalen Anpassung. Dies zeige, wie vielfältig und kompliziert Evolution ist - selbst bei Pflanzen, die schon seit Jahrtausenden domestiziert sind. Und damit gibt es auch ein Definitionsproblem: Ab welchem Punkt kann man eine Pflanze überhaupt als domestiziert bezeichnen?

    Das sei eine Eine-Millionen-Dollar-Frage, sagt Robin Allaby. Dass eine Pflanze domestiziert ist, könne man nur in der Summe vieler Eigenschaften ausmachen, eine exakte Linie – ab hier domestiziert - könne man da kaum ziehen. Vielleicht sei diese Frage auch nie zu beantworten.