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"Als einen demokratischen Politiker könnte man ihn nur schwer bezeichnen"

Mit knappem, aber betrugsfreien Vorsprung hat der pro-russische Viktor Janukowitsch die Wahl in der Ukraine für sich entschieden. Das Land bleibt gespalten, sagt Jurij Durkot - und noch ist nicht sicher, ob Janukowitschs Koalition bis zur Regierungsübernahme stabil bleibt.

09.02.2010
    Friedbert Meurer: Die Ukraine hat am Sonntag gewählt und nächster Regierungschef wird der Mann, der 2004 noch Gegenspieler der orangenen Revolution war. Viktor Janukowitsch kommt laut amtlichem Endergebnis auf fast 49 Prozent der Stimmen, seine Gegnerin Julia Timoschenko erzielte nur etwa 45 bis 46 Prozent. Die Frau mit dem berühmten Haarkranz protestiert, bei den Wahlen sei gefälscht worden, aber die OSZE sagt, ganz im Gegenteil, der Urnengang sei "vorbildlich demokratisch gewesen". Den Reformern war es offenbar nicht gelungen, die wirtschaftliche Situation des Landes zu verbessern, dafür ist sie abgestraft worden. Deswegen hat mein Kollege Tobias Armbrüster gestern Abend den ukrainischen Publizisten Jurij Durkot in Lemberg zunächst gefragt, ob der Sieg von Janukowitsch sogar eine gute Nachricht für die Ukraine sei.

    Jurij Durkot: Viele haben das mit gemischten Gefühlen wahrgenommen. Das Problem von Janukowitsch ist, dass er und seine Partei sich nicht klar von den Wahlfälschungen im Jahr 2004 distanziert haben, und es mag sein, dass Janukowitsch eine viel liberalere und bessere Wirtschaftspolitik machen kann als Timoschenko, doch als einen demokratischen Politiker könnte man ihn nur schwer bezeichnen.

    Tobias Armbrüster: Nun liegt ja kaum ein Staat in Europa so sehr am Boden wie die Ukraine, wirtschaftlich am Boden vor allem. Kann er das Land wieder aufrichten?

    Durkot: Das wird auf jeden Fall eine schwierige Aufgabe für ihn sein. Es ist im Moment noch überhaupt nicht klar, ob er sich durchsetzt und auch nach dem Gewinn der Präsidentschaftswahlen schnell seine eigene Regierung bilden kann. Die Regierung Timoschenko muss im Moment nicht zurücktreten laut ukrainischer Verfassung und im Moment ist die Situation im Parlament auch nicht klar. Timoschenko verfügt im Moment zusammen mit den Koalitionspartnern über eine labile Mehrheit. Im ukrainischen Parlament ist es vorher aber schon öfter dazu gekommen, dass die Mehrheiten gewechselt wurden.

    Armbrüster: Heißt das, wir erleben da so eine Art Patt-Situation?

    Durkot: Das ist gut möglich. In der ukrainischen Politik gab es schon seit Jahren Blockaden und im Grunde genommen nach 2004 haben wir immer wieder diese Blockaden erlebt. Es ist auch gut möglich, dass diese Blockaden sich in einer anderen Form weiter fortsetzen. Das Problem des Landes und dieses Chaos, das in der Ukraine seit Jahren herrscht, ist, dass beide politischen Lager annähernd gleich stark sind und zusammen nur schwer Kompromisse finden. Dieses Gleichgewicht sorgt zwar für eine gewisse Vielfalt und eine Demokratie in der Ukraine, allerdings hemmt das die Entwicklung des Landes.

    Armbrüster: Wir haben ja auch jetzt im Wahlkampf häufiger gehört, dass das Land nach wie vor geteilt ist in einen eher pro-russischen Osten und einen eher pro-europäischen Westen. Ist Viktor Janukowitsch ein Mann, der diese Gräben möglicherweise überbrücken kann?

    Durkot: Das glaube ich nicht. Allerdings würde ich die beiden Landesteile nicht unbedingt als pro-russisch oder pro-westlich bezeichnen. Diese Trennlinien sind viel vielfältiger und komplizierter und es wäre viel zu einfach, das auf diese beiden Charakteristika einzugrenzen. Auf jeden Fall, wie die Wahlen 2010 gezeigt haben, bleiben diese Unterschiede zwischen den beiden Landesteilen groß genug. Sowohl 2004 als auch 2010 haben die jeweiligen Politiker in ihren Heimatregionen sozusagen eine überwältigende Mehrheit der Stimmen bekommen. Timoschenko hat in Galizien in der West-Ukraine knapp 90 Prozent der Stimmen bekommen, Janukowitsch hat wiederum in Donbass 90 Prozent bekommen. Daran hat sich seit 2004 kaum etwas geändert und auch die Trennlinie, die quer durch die Ukraine von Nordost nach Südwest verläuft, die hat sich auch seit 2004 keinen Zentimeter verschoben.

    Armbrüster: Und Sie sehen auch keine Anzeichen dafür, dass sich das unter Janukowitsch ändern könnte?

    Durkot: Ich sehe im Moment keine Anzeichen dafür. Auf jeden Fall ist der Unterschied zu dem Jahr 2004, dass die Menschen im anderen Teil der Ukraine den Wahlsieg von Janukowitsch akzeptiert haben, aber das war auch zu erwarten, nachdem die Wahlen nach allgemeiner Einschätzung frei und demokratisch waren, und das ist auch die gute Nachricht für die Ukraine.

    Armbrüster: Nun hat sich ja die Ukraine in den letzten Jahren versucht, stärker Richtung Westen, auch Richtung EU und NATO zu orientieren. Könnte sich das unter Janukowitsch jetzt schlagartig ändern?

    Durkot: Das wird sich nicht schlagartig ändern. Janukowitsch will mit Sicherheit eine vorsichtige Politik der Zusammenarbeit mit der EU, vielleicht auch mit der NATO fortsetzen. Er wird mit Sicherheit Akzente etwas anders setzen in der Außenpolitik, aber eine schlagartige Wende in Richtung Russland erwarte ich von ihm und von seinem Team auch nicht.

    Armbrüster: Aber die Streitereien ums russische Erdgas in jedem Winter, die dürften doch vorbei sein, oder?

    Durkot: Die Streitereien um das russische Gas waren schon in diesem Jahr nicht mehr da. Zwar gab es immer wieder Diskussionen darum, ob die Ukraine beziehungsweise Naftogaz als staatliches Unternehmen und Importeur des russischen Erdgases seine Rechnungen rechtzeitig bezahlen kann, aber nachdem Julia Timoschenko mit dem russischen Premier Wladimir Putin im Januar 2009 die neuen Gasverträge unterzeichnet hat, 2010 bekommt die Ukraine das russische Gas bereits zu dem Marktpreis, hat es auch keine größeren Probleme gegeben. Diese Probleme sind wohl in der Zukunft auch nicht unbedingt zu erwarten.

    Meurer: Nach den Wahlen in der Ukraine. Tobias Armbrüster sprach mit dem ukrainischen Publizisten Jurij Durkot.