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"Als erster Inder gewinne ich das British Open!"

In Mumbays Armenviertel betreibt Suresh Mehboobani den Sport der oberen Zehntausend: Golf. Sein Schläger ist eine gebogene Eisenstange, der Griff ein Wasserschlauch und eine Klub-Mitgliedschaft undenkbar. Trotzdem träumt er von der großen Karriere als Profi-Golfer.

Von Leila Knüppel und Nicole Scherschun | 06.05.2013
    "”I give a shot. Focus and hit. Very tough shot, you know.”"

    Suresh Ramesh Mehboobani fixiert sein Ziel, hebt den Golfschläger und zieht durch.

    Das Eisen über dem Kopf, den Körper gestreckt, guckt er dem Ball nach. Der fliegt nicht etwa über den gepflegten Rasen eines Golfplatzes, sondern über das Wellblechdach des zweistöckigen Nachbarhauses. Irgendwo hinter Stromkabeln und Wäscheleinen ist der kleine blaue Plastikball verschwunden.

    "”Das ist eigentlich ein weiter Schuss. Aber ich habe den Ball nur leicht geschlagen, ohne richtig viel Kraft. Zurzeit sind hier einfach zu viele Menschen, die getroffen werden könnten. Aber vielleicht ist er ja im Hof drüben angekommen.""

    Mehboobanis Golf-Course liegt inmitten des Bombayer Vorortes Chembur – ein Industriegebiet mit Slumsiedlungen. Der 27-Jährige ist in dem Viertel aufgewachsen. Mit seinen zwei Schwestern, zwei Nichten und den Eltern lebt er noch immer in einem kleinen Haus mit nur zwei Zimmern. Das Geld ist knapp.

    Aufs Golfspielen möchte er trotzdem nicht verzichten. Seit 18 Jahren trainiert er. Putten, Chippen, Abschlag.

    Auf dem Rasen des altehrwürdigen Bombay Presidency Golf Club: Keine 500 Meter von Mehboobanis Slumhaus entfernt feilt Mumbais High Society am Handicap, bespricht Business-Deals und genießt die Ruhe, ein rares Gut in der hektischen Großstadt. Eine hohe Mauer schützt das saftige Grün des Golf-Klubs.

    Im Golf-Klub arbeitet er am Empfang
    Draußen haben Tagelöhner Hütten und Zelte aus Plastikplanen an der Steinmauer aufgebaut. Händler verkaufen Tee und Snacks, Autorikschas bahnen sich den Weg durch das Getümmel.

    "”Als ich ein kleiner Junge war, führte mein Schulweg dicht am Golfklub vorbei. Ich habe die Bälle über die Mauer fliegen gesehen und angefangen, sie zu sammeln und zu verkaufen. Irgendwann in der sechsten Klasse bin ich dann nicht mehr zur Schule gegangen, sondern Balljunge im Klub geworden. In meinem Kopf war nur noch: Golf.""

    Seitdem träumte Mehboobani von der großen Karriere als Profi-Golfer:

    "Ich weiß noch genau, wie ich zum ersten Mal den Golfplatz gesehen habe. Ich dachte vorher, der sei eher klein – und dann war er riesig."

    Erst schleppte Mehboobani als Caddy die schweren Golftaschen der Klubmitglieder von Loch zu Loch, nun arbeitet er am Empfang.

    "My job: I'm checking the starter, Dresscode..."

    Gerade fährt er einige reiche Geschäftsleute zum ersten Loch.

    Gemütlich lenkt er den Golf-Kart über die gepflegten Sandwege des Golfplatzes. Der grüne Rasen, das leichte Surren des Karts, die schweren, glänzenden Schläger – alles strömt Wohlstand aus. Die sonst kricketverrückte Elite Indiens begeistert sich auch für Golf – allein in Mumbai gibt es mehr als fünf große Klubs, erzählt Mehboobani.

    ""Golf ist das Spiel der oberen Zehntausend. Die Bälle sind teuer, die Kleidung ist teuer, die Golf-Ausrüstung ist teuer."

    Spielen kann Mehboobani hier selten. Nur wenn wenig los ist, dürfen auch die Angestellten einige Bälle schlagen.

    Mehboobani spielt mit leichten Plastikbällen
    Auf seinem Golfplatz im Slum - im Hof direkt vor seinem Haus gräbt Mehboobani mit seinem Schläger eines der Golf-Löcher in den festgetretenen Straßenstaub. Statt 9 oder 18 Loch auf dem Golfrasen, gibt es im Slum nur drei Löcher. Sonst gelten die regulären Regeln. Auch wenn die Ausrüstung beim Slumgolf etwas anders aussieht:

    "Dieser Schläger hier ist aus einer einfachen Eisenstange. Die Griffummantelung ist aus einem Wasserschlauch, damit man nicht abrutscht. Der hier ist für hohe Schläge."

    Dazu gehören kleine, sehr leichte Plastikbälle. Kinderspielzeug für wenige Rupien das Stück.

    "Wenn ein normaler Golfball jemanden treffen würde, wäre das sehr gefährlich. Bei diesen Bällen ist das kein Problem."

    Wenige Meter von Loch zwei entfernt liegt nun der blaue Plastikball. Mit einem Schlag locht Mehboobani ihn ein.

    "Slumgolf ist sehr viel schwerer als das konventionelle Spiel. Wenn man draußen auf der Straße gut spielt, dann hat man auf dem Golfplatz keine Probleme. Das ist dann sehr einfach.”"

    Doch den Wunsch nach einer großen Sportlerkarriere hat Mehboobani mittlerweile begraben. Für ihn gilt: Auf dem Golfplatz arbeiten, im Slum spielen. Obwohl – manchmal lässt er sich doch noch zum Träumen hinreißen:

    ""In meinen Träumen spiele ich das British Open, gegen Tiger Woods. Und ich gewinne. Als erster Inder gewinne ich das British Open!"