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Als im Zeitalter der Vernunft die Fetzen flogen

Philosophen gelten gemeinhin als eher ausgeglichene Menschen. Große Denker tun sich nicht durch Wirtshausschlägereien oder ähnliches hervor - dramatische Lebensführung überlässt man lieber den Künstlern. Da freut sich der Philosophieinteressierte, wenn es hinter den großen Werken auch einmal etwas menschelt - wie beim Streit zwischen David Hume und Jean-Jacques Rousseau.

Von Tobias Lehmkuhl | 17.12.2008
    Unterschiedlicher kann man sich zwei Menschen kaum vorstellen als Jean Jacques Rousseau und David Hume: der eine war groß und schlank, hager fast und von asketischer Anmutung, der war andere dick und rund und blickte aus mit einem immerfreundlichen Pfannkuchengesicht in die Welt. Lawrence Sterne schrieb über ihn:

    "In meinem ganzen Leben bin ich keinem Wesen von ausgeglichenerer und freundlicherer Natur begegnet. Es ist dieser liebenswerte Charakterzug, der Humes Skeptizismus mehr Beharrlichkeit und Kraft verleiht, als alle gelehrsamen Argumente es vermögen."
    Auch Rousseaus Auftreten wird als "bescheiden und herzlich" beschrieben, eine seiner adeligen Freundinnen, Louise-Florence d'Epinay, aber blieb, wie vielen anderen, sein leidenschaftliches Temperament nicht verborgen:

    "Er hat einen dunklen Teint, und zwei Augen voller Feuer beleben seine Züge. Wenn er spricht und man ihn ansieht, wirkt er schön. Doch wenn man sich später an ihn erinnert, erscheint er hässlich."

    Geboren wurden die beiden Philosophen fast zur selben Zeit, der eine 1711, der andere 1712. Als sie sich zum ersten mal begegneten, waren sie jedoch schon über 50, weltbekannt der eine durch den "Gesellschaftsvertrag", den "Emile" oder die "Neue Héloise", wohlgelitten der andere durch seine Essays und die umfangreiche "Geschichte Englands". Rousseau hatte schon Jahre des Exils hinter sich, hatte Paris verlassen müssen, dann Genf und schließlich die St. Petersinsel. David Hume, den viele nur "le bon David" nannten, ob seiner gutherzigen Natur, kam das Schicksal seines Kollegen zu Ohren, als er gerade als Botschaftssekretär in Paris tätig war. Er beschloss, ihm zu helfen. Dass er sich selbst damit keinen Gefallen tat, ahnte er dabei nicht im Entferntesten.

    "Mitten in Humes Selbstgefälligkeit, als er sich zweifellos in dem Gedanken sonnte, wegen seiner großen Güte die höchste Stufe der Wohltätigkeit erreicht zu haben, die je ein Mensch erklimmen kann, traf den beleibten, lebensfrohen Schotten der vielleicht schwerste Schlag, den jemals ein Philosoph erlitten hat."

    So zitieren David Edmonds und John Eidinow in "Rousseaus Hund", ihrem Buch über Hume und Rousseau und deren Zerwürfnis den Herausgeber der Briefe Humes. Der englische Empiriker hatte nämlich nicht bedacht, mit wem er es da zu tun bekam: Rousseaus empfindsame Natur war schließlich so ganz anders beschaffen als sein eigenes, robustes Wesen. Rousseau reagierte mitunter geradezu allergisch auf Menschen, und wer ihm im falschen Moment zu nahe rückte, dem unterstellte er schnell böse Absichten. Das bekam auch Hume zu spüren. Nachdem er Rousseau nach England und in Sicherheit gebracht hatte, sich um eine Pension des Königs für ihn bemühte und auch sonst alles tat, damit sich der Franzose in der Fremde wohlfühle, sah er sich plötzlich schwersten Anwürfen ausgesetzt.

    "Ohne vorherige Verbindungen, ohne Streit, ohne Querelen und ohne uns anders als über unsere literarische Reputation zu kennen, boten Sie mir eilfertig ihre Dienste und die Ihrer Freunde an. Gerührt von ihrer Großzügigkeit, stürzte ich mich in ihre Arme. Sie brachten mich nach England, dem Anschein nach, um mir Zuflucht zu gewähren, in Wahrheit aber, um mir die Ehre zu rauben."

    Hume traute seinen Augen nicht, als er das las. Dabei hatte man ihn gewarnt: Rousseau neige zu Verschwörungstheorien, leide gar unter Verfolgungswahn. Tatsächlich meinte Rousseau, Hume schon auf der Reise nach England im Traum sagen gehört zu haben: "Je tiens Jean-Jacques Rousseau", "ich habe Rousseau in der Hand". Obwohl die Sachlage also ziemlich klar scheint, versuchen Eidinow und Edmonds dankenswerter Weise doch, sich auch in Rousseaus Lage zu versetzen, etwas, das Hume verpasste, als er ihn mit seinem Wohlwollen fast erdrückte. Auch die Zeitgenossen, die von dem Streit der sich da entfacht hatte, durch zahlreiche Veröffentlichungen genauestens unterrichtet wurden, meinten zwar, Hume sei in der Sache völlig im Recht, er hätte jedoch größere Rücksicht auf Rousseau sensible Künstlerseele nehmen müssen.

    Um philosophische Positionen geht es bei diesem Streit erstaunlicherweise nicht. Möglicherweise lagen Hume und Rousseau in ihren Anschauungen soweit auseinander, dass ein Gespräch über Moral, Ästhetik, oder Fragen der Politik und der Wirtschaft gar nicht denkbar war. Der vernunftgeleitete Empiriker Hume und der gefühlsbetonte Revolutionär Rousseau: Sie hatten sich im Grunde nichts zu sagen. In Briefen an Freunde und Verbündete taten sie hingegen wortreich voneinander kund, und aus diesen Quellen schöpfen die Autoren von "Rousseaus Hund" weidlich. Sie haben damit zwar kein tiefschürfendes Werk vorgelegt, dafür aber bieten sie - einen leider recht hölzern geschriebenen - Einblick in die Mechanismen sozialer Entzweiung.

    David Edmonds, John Eidinow: Rousseaus Hund. Zwei Philosophen, ein Streit und das Ende aller Vernunft.
    Aus dem Englischen von Sonja Finck. DVA, München 2008. 368 Seiten, 21,95 Euro.