Dienstag, 23. April 2024

Archiv


"Als könnten nur Krippen das Wohl von Kleinstkindern steuern"

Ungeachtet der Sparzwänge besteht Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer (CSU) auf der Einführung eines Betreuungsgeldes. Die frühe Bindung an die Eltern sei Grundlage für die spätere Bildung.

Christine Haderthauer im Gespräch mit Jürgen Liminski | 18.07.2011
    Jürgen Liminski: Wir befinden uns im Jahr 2011. Ganz Deutschland ist medial besetzt von ökonomischen Fragen, ihnen werden auch Familie, Kinder und Demografie untergeordnet. Ganz Deutschland? – Nein! Ein von unbeugsamen Politikern bevölkertes Land Bayern hört nicht auf, Widerstand zu leisten. So könnte man in Anlehnung an die Geschichten von Asterix den Widerstand der bayerischen Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Christine Haderthauer, gegen die mögliche Streichung des Betreuungsgeldes kommentieren. Aber die Lage ist ernster, es geht wohl nicht nur um das Betreuungsgeld. Die Familien- und Sozialministerin ist nun am Telefon. Guten Morgen, Frau Haderthauer.

    Christine Haderthauer: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Frau Haderthauer, die Union will, insbesondere auf Betreiben der CSU, das Betreuungsgeld bis 2013 beschließen, oder gar einführen. Bei einer Anhörung neulich im Familienausschuss des Bundestages wurden warnende Stimmen laut, das Betreuungsgeld sei verfassungsrechtlich und wirtschaftlich problematisch. Auch von der CSU hielt niemand dagegen. Haben Sie noch eine Mehrheit in der Union für dieses Vorhaben?

    Haderthauer: Ja, selbstverständlich haben wir noch eine Mehrheit. Diese Stimmen übrigens auch aus der CSU sind auch während der Anhörung laut geworden. Aber in einer Medienwelt, die von Kinderlosen beherrscht wird, wird das eben einfach nicht transportiert, das Thema ist nicht sexy für die Medien. Mir ist aber wichtig, das Betreuungsgeld ist echte Familienfreundlichkeit. Deshalb haben es ja auch fast alle skandinavischen Länder. Das ist uns sehr bewusst und deshalb muss es kommen.

    Liminski: Warum halten Sie denn daran fest? Es muss doch überall gespart werden.

    Haderthauer: Das ist richtig, aber allein die ökonomische Sichtweise bringt uns nicht weiter. Wir alle reden darüber, wie wichtig Bildung ist. Das ist der Rohstoff, den wir haben. Der Rohstoff sind unsere Kinder und ihre Bildungschancen und dann darf man nicht ignorieren, dass in den ersten Lebensjahren die Bindungsbedürfnisse von Kleinstkindern das zentrale Bedürfnis ist und vor allem die Grundlage, damit später Bildung überhaupt gelingen kann, und damit eben Ein- und Zweijährige auch die Chance haben, dass Eltern ihnen diese Bildung geben können, brauchen wir ein Signal, und zwar vor allem deshalb, weil durch die CDU vor allem leider die Krippenbetreuung ideologisch aufgeladen worden ist in der Richtung, als könnten Krippen Eltern ersetzen oder irgendetwas kompensieren in der Richtung. Und deswegen: Um diese ideologische Aufladung auszugleichen, brauchen wir ein Eltern unterstützendes Signal, das ist das Betreuungsgeld, denn ansonsten haben wir eine einseitige Lenkung, die Eltern letztlich ihre Leistung als abwertend erleben lässt, und das ist genau das, wo Familienpolitik dann nicht mehr Kinderinteressen im Sinn hat, sondern nur noch Arbeitsmarktpolitik wäre.

    Liminski: Haben Sie etwas gegen Kitas und Krippen?

    Haderthauer: Nein! Das hängt auch gar nicht mit der Betreuungsform zusammen. Ich finde, das ist ganz wichtig, dass wir endlich aufhören, hier zu werten. Aber gerade von Berlin aus wird wieder gewertet und wird so getan, als könnten nur Krippen das Wohl von Kleinstkindern steuern. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir brauchen Freiheit für Familien, sie sollen ohne Rechtfertigungsdruck ihren Familienentwurf verwirklichen können. Alles andere ist übrigens auch fachlich überhaupt nicht gerechtfertigt, gerade in dem Alter von Ein- und Zweijährigen.

    Liminski: Sie riskieren, Frau Haderthauer, mit Ihren Äußerungen, dass es zu einem neuen Stück im Sommertheater kommt. Da wird die Frage zum Beispiel auftauchen, wer soll das Betreuungsgeld denn bezahlen, und diese Frage könnte gerade auch von Ihrem Koalitionspartner in Bayern, der FDP, kommen.

    Haderthauer: Ach, Herr Liminski, wissen Sie, diese Frage wurde bei den vielen Subventionen, die jetzt, um den Atomausstieg zu schaffen, in die erneuerbaren Energien gehen, auch nicht gestellt. Genauso wenig wurde diese Frage übrigens gestellt bei der Mehrwertsteuerermäßigung für die Hoteliers. Und ich denke, Kinderchancen und ihre gute Bildung sind viel wichtigere Zukunftsinvestitionen.

    Liminski: Es ist still geworden um die Gesellschafts- und Bevölkerungspolitik in diesem Land. Dabei ist die demografische Frage, wie Biedenkopf oft sagte, eine Schicksalsfrage, Stichwort Fachkräftemangel. Mehr familiäre Betreuung bedeutet da oft weniger Fachkräfte für die Unternehmen. Muss man nicht, Frau Haderthauer, die Wirtschaft stärker ins gesellschaftspolitische Boot holen, statt nur auf den Staat zu setzen?

    Haderthauer: Also zunächst mal ist mir wichtig, wenn wir so weiter machen, haben wir bald gar keine Fachkräfte mehr, weil die Eltern das Kinderkriegen dann völlig einstellen, denn wir entleeren gerade die Familie ihres tiefsten Sinns im Grunde. Ich finde es immer gut, die Wirtschaft mit ins Boot zu holen, aber die Wirtschaft läuft doch in solchen Fragen dem Staat hinterher. Wenn der Staat Familien einseitig lenkt, dann kann man der Wirtschaft doch keinen Vorwurf machen, dass sie erst recht in diese Richtung läuft. Junge Menschen wollen aber heute mehr Antworten als nur den Ganztagskrippenplatz zum ersten Geburtstag ihres Kindes, und das ist übrigens ein wichtiger Grund, warum wir auch viele Fachkräfte verlieren, die auch deshalb ins Ausland gehen, weil man dort wesentlich entspannter Eltern sein kann und Elternzeit vereinbaren kann und das nicht gleich mit Kompetenzabwertung im Arbeitsleben einhergeht.

    Liminski: Wenn man Sie hört, könnte man auf den Gedanken kommen, Sie wollen eine Offensive starten, oder mindestens eine Diskussion anstoßen. Oder geht Ihnen der einseitig ökonomistische Diskurs in Deutschland einfach nur auf den Wecker?

    Haderthauer: Beides! Er geht auf den Wecker, weil er schlicht falsch ist. Das liegt doch auf der Hand! Wir investieren immer mehr Geld in Bildungseinrichtungen außerhalb der Familie und gleichzeitig geht es unseren Kindern immer schlechter. Wir hatten noch nie so viele ADHS-Fälle, Autismusfälle, Kinder mit Sprachstörungen und Übergewicht und allgemein ein erschreckend sinkendes Bildungsniveau, und daran sieht man ja, das liegt nicht daran, dass Einrichtungen schlechte Leistungen bringen, sondern dass sie eben die Grundlage nicht legen können. Das hat nämlich alles sehr stark auch damit zu tun, dass wir einen neuen Mangel in der Gesellschaft haben bei unseren Kindern, und dieser Mangel heißt Bindungsmangel, der vor allem dadurch kommt, dass man Eltern ihre Aufgabe nicht mehr zuordnet und sie sie auch nicht mehr leben lässt. Und insofern ist es ein echter ökonomischer Faktor. Das ist etwas, deswegen kümmern sich jetzt auch große Unternehmensberatungen genau um dieses Thema. Philosophen wie Richard David Precht formulieren, die Rettung der Familie muss unser Ziel sein, Zukunftsforscher wie Opashowski und Horx kümmern sich genau darum, weil wir merken, dass wir in eine sinnentleerte Gesellschaft ansonsten wandern, und deswegen erlebe ich jetzt schon sehr stark auch eine Rückkehr dieser Wertesehnsucht und eine neue Formulierung von Familiensinn, und da muss man auch genau als Politik, finde ich, vorangehen und darf nicht veralteten Gesellschaftsbildern hinterherhoppeln.

    Liminski: Frau Haderthauer, eine Frage an die Frauenministerin zu einem ganz konkreten Problem von Frauen. In den Medien ist oft von der Zunahme der Alleinerziehenden die Rede, eine Gruppe, zu mehr als 90 Prozent Frauen, die wegen der hohen Alltagsbelastung besonders der Hilfe der Allgemeinheit bedürfe. Nur wird gerade diese Gruppe seit Jahren von den Krankenkassen schäbig behandelt, man verweigert zunehmend den total erschöpften Alleinerziehenden die Regenerationsmöglichkeiten, angeblich um zu sparen. Muss hier die Politik nicht eingreifen?

    Haderthauer: Absolut! Das ist ein weiterer Punkt, wo ich sage, es ist ein Fehler gewesen, dass wir den Kassen so viel Selbstverwaltungsrechte gegeben haben, denn hier geht es im wahrsten Sinne darum, Kosten zu vermeiden, die viel, viel höher werden, wenn es diese Erholungsmöglichkeiten nicht gibt. Soweit ich weiß, ist das Bundesgesundheitsministerium da gerade auch im Gespräch mit den gesetzlichen Krankenkassen, damit die Bewilligungspraxis verbessert wird. Ich halte das aber nur für einen Mosaikstein von vielen, die wir leider in Deutschland haben, die wir diejenigen, die ihre Kinder groß ziehen, immer mehr zu Verlierern werden lassen.

    Liminski: Frau Haderthauer, eine weitere Frage an die Frauenministerin. Was halten Sie von der Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft?

    Haderthauer: Also natürlich ist es schade, dass unsere Mädels nicht weitergekommen sind. Insgesamt war es ganz toll, dass wir sie hier in Deutschland hatten, denn sie hat das Bewusstsein dafür geöffnet, dass gerade in so einem männerdominierten Bereichen wie Fußball Frauen richtig tolle Leistungen bringen können, und ich habe mit großer Freude zugeschaut und hoffe, das wird den Zugang zu neuen Rollenvorbildern auch öffnen, sodass wir für unsere jungen Mädchen nicht immer nur die Mager-Models haben, sondern dass sie merken, Frauen können auch kämpfen und können auch richtig was leisten.

    Liminski: Die Familien im Schatten der Finanzkrise, sie sollen nicht die Zeche der Krise zahlen, sagt hier im Deutschlandfunk Christine Haderthauer, die bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Besten Dank für das Gespräch, Frau Haderthauer.

    Haderthauer: Danke, Herr Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Hintergrund: Bislang gibt es für Familien das sogenannte Elterngeld, das auch Vätern erlaubt, im Job zu pausieren.