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Als-ob-Theater

Zwei Menschen, die versuchen, mit der Trauer über ihren verlorenen Sohn zurechtzukommen, davon handelt "Gift". Das Stück wird wahrscheinlich ein Publikumsrenner, obwohl es mit seinem zeigefingrigen psychologischen Realismus keine wirkliche sinnliche Faszination entwickelt.

Von Hartmut Krug | 10.11.2013
    Einige an der Wand aufgereihte Stapelstühle, ein Kaffeeautomat und ein Wasserspender und sonst nur hellgraue Leere: Die Friedhofshalle, in der sich ein Mann und eine Frau treffen, ist von niederschmetternd nüchterner Hässlichkeit. Sie ist ein Raum ohne alle Kunst oder Künstlichkeit und soll einfach nur realistisch wirken. Denn das Stück der 48-jährigen Niederländerin Lok Vekemans versucht sich an einem klaren psychologischen Realismus. Ihre beiden nur als Sie und Er bezeichneten Protagonisten sind weniger Figuren als Ideenträger und Haltungsverkörperer.

    Die beiden haben, seitdem vor zehn Jahren ihr gemeinsamer Sohn bei einem Autounfall gestorben ist, keinen Kontakt mehr. Nun ist Er aus Frankreich angereist, woher Sie ihn mit der Nachricht herbeizitierte, wegen Umweltverschmutzung müsse auch das Grab ihres gemeinsamen Sohnes umgebettet werden. Wenn die beiden aufeinandertreffen, ist viel Gehemmtheit, doch keine Fremdheit im Raum. Er hat Sie nach dem Tod des Sohnes in der Millenniums-Neujahrsnacht verlassen. Keine Erklärung einst, kein Kontakt seitdem. Oder, wie der Mann sagt:

    ER: "Wir sind
    Ein Mann und eine Frau
    Die ein Kind verloren haben
    Die erst ein Kind verloren haben
    Und dann … einander
    Oder vielleicht sollte ich sagen:
    Die erst ein Kind verloren haben, dann sich selbst und dann einander."

    Zwei Menschen, zwei unterschiedliche Versuche, mit der Trauer über den verlorenen Sohn fertig zu werden und weiter zu leben. Mit Annäherung und Abwehr, Vorwurf und Verständnis, mit Fragen und Wut, mit Streit und auch einmal fast mit Handgreiflichkeit umkreisen die beiden sich und befragen die Entwicklung und das durch den Tod des Sohnes herbeigeführte Scheitern ihrer Ehe. Wobei der Mann bald entdeckt, dass die Frau den äußeren Anlass ihres Treffens erfunden hat. Dieses anderthalbstündige Klipp-Klapp-Dialogstück ist klug gebaut, aber in der Vorhersehbarkeit seiner Fragen und Antworten auch ein wenig langweilig. Doch es ist vor allem ein Angebot für Schauspieler. Weshalb das Deutsche Theater mit Ulrich Matthes und Dagmar Manzel auch gleich zwei Publikumslieblingen die Bühne bereitet hat. Schwer zu sagen, was der spätestens durch seine Verfilmung von Tellkamps "Der Turm" bekannte Filmregisseur Christian Schwochoch bei seiner ersten Theaterregie den beiden Theaterprofis gesagt hat, - es ist jedenfalls eine handwerklich blitzsaubere Inszenierung geworden.

    Ulrich Matthes gibt den Mann als suchenden, zuhörenden und reagierenden und öffnet sich mit weiten Armbewegungen und einem beständigen Hin und Her gehen. Während Dagmar Manzel, überm schwarzen Kleid die schützende grüne Wolljacke mit verschränkten Armen an den Leib pressend, eher wartet, fragt und protestiert. Sie versinkt in ihrer Traurigkeit, ist nervös oder geht schnippisch und pointiert zum Angriff vor.

    Er hat wieder geheiratet, bekommt ein Kind und versucht, seine Trauer mit dem Schreiben eines Buches über den Tod des Sohnes zu bewältigen, sie ist noch immer ganz allein in ihrer Trauer versunken:

    SIE: "Glaubst du, dass ich noch nie mit jemandem geredet habe?
    Ich bin überall gewesen in den letzten Jahren.
    Bei Psychologen, Orthopädagogen, Psychotherapeuten.
    Und das Einzige, was sie gesagt haben, war:
    Ja, ja ja, es ist auch schwer.
    Ja, es ist auch viel.
    Ja, es ist auch nicht einfach.
    Nein, es wird auch nie mehr dasselbe"
    ER: "Was hattest du denn erwartet?"
    SIE: "Ich will, dass ich wieder glücklich bin.
    Ist das zu viel verlangt?"
    ER: "Nein, natürlich nicht."
    SIE: "Ich will, dass jemand mich rettet."
    ER: "So funktioniert es nicht."

    Es ist ein merkwürdiger Abend, fast perfekt und doch nicht gelungen. Der Text schnurrt so selbstverständlich, ja, fast mechanisch dahin und besitzt nichts Irritierenden oder Verstörendes, und die Figuren stürzen sich nicht in Abgründe, sondern in Erklärungen. Zudem halten die Darsteller ihre Texte, indem sie diese mit akkurater schauspielhandwerklicher Souveränität darbieten, uns und sich eher vom Leib, mehr noch, von Seele und Gemüt. Dieses Als-ob-Theater mit seinem zeigefingrigen psychologischen Realismus entwickelt keine wirkliche sinnliche Faszination.

    Dennoch, keine Frage: Das wird ein Publikumsrenner.