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Alt sein in Portugal (2/5)
Neue Ideen für die Provinz

Als hätten sie eine Autobahn gebaut, damit die Leute möglichst schnell fliehen können - so beschreibt Armindo Jacinto die Politik der Vergangenheit, die Kleinstädte wie Idanha-a-Nova leergefegt hat. Doch der Bürgermeister will mit Zukunftsprojekten das Blatt wenden.

Von Tilo Wagner | 13.03.2018
    Armindo Jacinto (r.) beobachtet den demografischen Wandel in seiner Kleinstadt mit Sorge und erprobt Rezepte dagegen. Foto von 2018
    Armindo Jacinto (r.) beobachtet den demografischen Wandel in seiner Kleinstadt mit Sorge und erprobt Rezepte dagegen (Deutschlandradio / Tilo Wagner)
    Das Büro von Armindo Jacinto ist stillvoll eingerichtet: An der einen Wand hängt ein abstraktes Bild zeitgenössischer Kunst, auf der anderen Seite eine übergroße rechteckige Rahmentrommel, Adufe genannt.
    "Wir wollen Innovation und Tradition verbinden", sagt der Bürgermeister der Kleinstadt Idanha-a-Nova, rund 40 Kilometer westlich der spanischen Grenze. Jacinto ist seit über fünfzehn Jahren in der Lokalpolitik aktiv und mittlerweile in ganz Portugal für seinen Widerstand gegen eine scheinbar unausweichliche Entwicklung bekannt:
    "Wir haben in Portugal jahrelang den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der Regionen vernachlässigt. Das ist so, als ob wir eine Autobahn gebaut hätten, damit die Leute so schnell wie möglich aus dem Landesinneren an die Küste und in die Großstädte fliehen können. Die Konsequenz lässt sich hier in Idanha fassen, aber auch in anderen Orten eines Raums, der fast zwei Drittel des portugiesischen Territoriums ausmacht: Immer weniger Menschen leben hier und die Gesellschaft altert sehr schnell."
    9.700 Menschen auf einer Fläche doppelt so groß wie Hamburg
    Auf einer Fläche von 1.400 Quadratkilometern, fast doppelt so groß wie Hamburg, leben im Kreis Idanha rund 9.700 Menschen – im Schnitt nur sieben Bewohner pro Quadratkilometer. Bürgermeister Jacinto war von Anfang an klar: Sein Landkreis werde nur überleben, wenn er neue Anwohner gewinnen würde.
    "Wir müssen im Bildungs- und Gesundheitsbereich sehr gut aufgestellt sein und attraktiven Wohnraum bieten. Vor allem aber müssen wir die Wirtschaft in zukunftsorientierten Sektoren wie zum Beispiel in der ökologischen Landwirtschaft fördern. Nur so können wir einen hohen Grad an Lebensqualität garantieren und damit Menschen überzeugen, nicht mehr einfach wegzuziehen, sondern wieder zurückzukommen, oder ganz neu hier bei uns anzufangen."
    Armindo Jacinto will zeigen, was er damit meint: Er steigt in seinen Hybridwagen und rollt leise über das Kopfsteinpflaster. Der 53-jährige hält noch einmal kurz an und spricht auf der Straße mit einem Mitarbeiter, der sich gerade um die Einbürgerung eines brasilianischen Rentners kümmert. Dann fährt er weiter.
    Mit Gründerzentrum gegen Einwohnerschwund
    Eine kurvige Straße führt einen felsigen Berg hinunter in eine fruchtbare Ebene. Hier hat die Stadtverwaltung einen heruntergekommenen, staatlichen Landwirtschaftsbetrieb übernommen und ein Gründerzentrum für junge Landwirte und innovative Unternehmen geschaffen.
    Jacinto fährt um eine Scheune herum und parkt auf einer Anhöhe: Auf den Feldern stehen ein paar langgezogene Gewächshäuser, ein angrenzendes Gebäude aus den 50er-Jahren wird gerade in ein Wohnheim umgebaut. Aus einem flachen Schuppen kommt ein junger Mann mit kurzen Haaren und Fünf-Tage-Bart und begrüßt den Bürgermeister. Luís Ramos stammt aus einem Ort ganz in der Nähe:
    "Ich bin der Einzige aus meiner Generation, der hier geblieben ist. Alle anderen sind weggegangen. Ich hatte auch die Chance, woanders anzufangen, aber ich mag diese Gegend hier. Früher haben die Leute gefragt: "Warum bist du eigentlich weggegangen? Jetzt fragen sie: Warum bist du hiergeblieben? Ich mag die Leute und das Landleben. Und wenn ich mein Leben mit dem Leben meiner Freunde in den Großstädten vergleiche, bin ich mir sicher, dass ich hier viel mehr Lebensqualität habe."
    Seit fast drei Jahren arbeitet Luís Ramos in einem internationalen Projekt: Auf den Feldern des ehemaligen Staatsbetriebes produzieren er und sein bunt gemischtes Team Öko-Saatgut.
    "Wir lassen unsere Region wieder neu aufblühen"
    Luís Ramos geht zu einem Feld, auf dem Speiserüben wachsen: Er hockt sich vor eine gelbe Blüte, die zwischen dem Grün hervorschaut. Durch die Bestäubung entstehen hier die Samen, erklärt er. Eine Auswahl der besten Pflanzen wird nach der Bestäubung an einen geschützten Ort gebracht, um die Samen zu produzieren, aus denen ein Jahr später das Saatgut wird.
    Luís Ramos öffnet die Tür zu einem der Gewächshäuser. Auf langen Tischen stehen unzählige kleine Blumentöpfe. Hier testet er die bereits fertigen Samen, die in den Verkauf gehen sollen. In einer Ecke wachsen sechs Zwiebeln in sechs großen Töpfen:
    "Im Sommer kam eine Frau zu uns, so um die 60 Jahre alt, die zwar ein paar Grundstücke hier in der Nähe besitzt, aber in der Stadt lebt und nichts mehr mit Landwirtschaft zu tun hat. Sie brachte uns einen Sack voller Samen und sagte: 'Die hier sind vielleicht 40 Jahre alt und noch von meiner Mutter. Vielleicht könnt ihr was damit anfangen.' Von den ganzen Samen sind nur diese sechs Zwiebeln aufgegangen, aber das reicht, um jetzt neues Saatgut zu produzieren und irgendwann kann die Frau dann vielleicht wirklich die gleichen Zwiebeln essen, die ihre Mutter schon angepflanzt hat. Das steht irgendwie symbolisch für unser Projekt: Wir lassen unsere Region wieder neu aufblühen. Vielleicht ist das der Beginn einer Wende hier im Landesinneren."
    Brasilianischer Rentner lässt sich einbürgern
    Es ist Mittagszeit. Luís Ramos geht zurück zu den Betriebsgebäuden. Ein uruguayischer Koch hat in einer Scheune vegetarische Köstlichkeiten aufgetischt, langsam finden sich die überwiegend jungen Mitarbeiter ein. Vor der Scheune steht Bürgermeister Jacinto mit Paulo Oyama, dem brasilianischen Rentner, der sich in Idanha niederlassen will. Jahrelang habe Paulo in Frankreich im Bereich ökologische Landwirtschaft gearbeitet, erzählt der Bürgermeister, jetzt könne er sein Wissen mit der Region teilen. Paulo Oyama lächelt ironisch:
    "Eigentlich bin ich hergekommen, weil ich hier meinen ruhigen Lebensabend genießen wollte. Und dann kommt dieser Bürgermeister hier auf mich zu und sagt, ich müsse unbedingt bei einem Projekt mitmachen und helfen, dass daraus was wird. Klar, habe ich gesagt, kann ich machen, aber du übernimmst die Verantwortung."
    Armindo Jacinto klopft dem neuen Mitbürger dankend auf die Schultern. Dann schaut er mit einem breiten Grinsen in die Runde und sagt: "In Idanha gehen wir erst in Rente, wenn wir tot sind.