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Alter Bekannter wurde gefährlich

Mikrobiologie. - Seit Anfang der Woche geistert der Bakterienstamm EHEC durch die Medien. Durch Vertreter dieser Einzeller wurden vor allem in Norddeutschland bislang 214 Fälle von hämolytisch-urämischem Syndrom, einer lebensbedrohlichen Durchfallerkrankung, ausgelöst. Inzwischen kennt man den Erreger genauer und hat auch eine Vorstellung, wodurch er übertragen wird. Spanische Salatgurken sind inzwischen im Gespräch. Die Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen berichtet im Gespräch mit Monika Seynsche über die jüngsten Entwicklungen.

Marieke Degen im Gespräch mit Monika Seynsche | 26.05.2011
    Seynsche: Frau Degen, wie genau wirken diese Bakterien eigentlich?

    Degen: Im Prinzip handelt es sich dabei um ganz normale E.-Coli-Bakterien, die auch in unserem Darm vorkommen, aber das sind spezielle Stämme, die Gifte produzieren können. Und das ist eben das gefährliche an diesen EHEC-Erregern. Es handelt sich bei diesen Giften um so genannte Shiga-Toxine, und diese Toxine, die können sich an die Zellwand von Darmbakterien dran heften und die Zellen im Darm abtöten. Und dadurch kommt es eben auch zu diesen blutigen Durchfällen, die im Rahmen dieser Infektionen berichtet werden. In ganz besonders schlimmen Fällen kann es dann zu dem hämolytisch-urämischen Syndrom kommen, dann gelangt das Gift eben bis zur Niere und zerstört dort die Gefäße. Und im schlimmsten Fall heißt das eben, dass die Niere versagt.

    Seynsche: Und diese Keime, Sie sagten es, dass es E. coli sind, das ist ja eigentlich nichts Neues?

    Degen: Die EHEC-Infektionen an sich, die sind wirklich nichts Neues. Denn die gibt es in Deutschland immer wieder, es gibt schätzungsweise 1000 Fälle pro Jahr, die gemeldet werden. Aber normalerweise sind Kinder hauptsächlich betroffen von den EHEC-Infektionen. Im Moment, das ist das Besondere, sind hauptsächlich Erwachsene betroffen. Und was ebenfalls sehr ungewöhnlich ist, dass eben sehr viele Erwachsene dieses hämolytisch-urämische Syndrom bekommen, und das ist normalerweise eine Komplikation, die eher bei Säuglingen und Kleinkindern auftritt.

    Seynsche: Wenn sich das Bild jetzt so ganz anders präsentiert, mehr Erwachsene, weniger Kinder, heißt das, es handelt sich um einen ganz neuen Erreger?

    Degen: So genau weiß man das nicht. Vorneweg muss man sagen, dass es sehr viele verschiedene EHEC-Typen gibt, also Erregertypen. Es gibt zum Beispiel einen, der immer wieder auftaucht, immer wieder für Ausbrüche verantwortlich gemacht wird, in Deutschland, aber auch weltweit. Das ist der Typ O 157, der ist auch sehr gut untersucht. Der jetzige Erreger, der ist auch nicht neu. Es handelt sich dabei um den Typen O 104, den kennt man schon seit 1994. Aber der wurde bislang noch nie mit solchen Ausbrüchen in diesem Ausmaß in Verbindung gebracht, weder in Deutschland noch weltweit. Und Forscher vermuten jetzt einfach, dass es sich bei diesem Erreger, der im Moment grassiert, eben um eine Variante des O 104 Typen handeln könnte. Also dass sich dieser Erreger möglicherweise genetisch verändert hat. Und deswegen haben sich jetzt Forscher aus Münster auch dran gesetzt und wollen das Erbgut des Erregers komplett entschlüsseln, um eben herauszufinden, was genau sich verändert hat und vielleicht auch eine Erklärung dafür zu finden, warum der Erreger im Moment sehr gefährlich ist.

    Seynsche: Was macht man denn jetzt, um diese Erkrankung wirklich zu behandeln. Antibiotika sollte man ja besser nicht benutzen, oder?

    Degen: Genau, das Problem sind ja, wie gesagt, nicht die Bakterien, das Problem ist das Gift, das diese Bakterien ausschütten. Das Problem ist, wenn man Antibiotika gibt, die die Bakterien töten, dann kann man sich das so vorstellen, dass diese Bakterien quasi aufplatzen und das ganze Gift auf einmal in den Körper schütten. Und das hat natürlich schlimme Folgen für den Kranken, für den Betroffenen, dadurch werden die Symptome viel, viel schlimmer. Also, Antibiotika sollte man nicht geben. Was die Ärzte tun können, ist einfach, dass man dem Patienten Flüssigkeit zuführt, dass man ihm Infusionen gibt, und wenn die Patienten an diesem hämolytisch-urämischen Syndrom leiden und die Nieren versagen, dann kann man sie eben an die Dialyse dranhängen, also eine Blutwäsche bei ihnen machen. In den allermeisten Fällen ist es dann auch so, dass die Niere irgendwann wieder von selbst anfängt zu arbeiten, aber gegen dieses Bakteriengift, gegen dieses schlimme Gift gibt es kein Medikament.