Donnerstag, 25. April 2024

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Altern mit Stil
"Man hat eigentlich ganz schön viel erlebt"

Heute gebe es für ältere Menschen viel mehr Möglichkeiten als früher, sich geistig anzuregen, sagte Susanne Mayer im Deutschlandfunk. Hingegen eher negativ sieht es die Publizistin, "dass ganz viele Leute diese letzte Strecke als so eine Wellness-Zone betrachten - und das wird einem auch sehr aufgedrängt in der Magazinwelt."

Susanne Mayer im Gespräch mit Britta Fecke | 15.05.2016
    Blick auf die Hände einer Seniorin
    Susanne Mayer fordert Mut zur Wahrheit: "Biologisch ist es einfach so, dass wir älter werden, knittriger werden, ein bisschen hinfälliger werden." (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
    Britta Fecke: Was will jeder werden, aber keiner sein: Alt. Diese schlichte Volksweisheit drückt aus, in welchem Dilemma sich viele Menschen schon immer befunden haben, jetzt vielleicht noch mehr als früher, denn wir werden immer älter. In Deutschland ist die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren von gut 40 auf circa 80 Jahre gestiegen. Was tun mit diesen gewonnen Jahren? Sie voll auskosten, wie es die britische Schriftstellerin und Stilikone Sybille Bedford tat, die das Thema Altern in ihren gesammelten Erinnerungen, Essays und Romanen allerdings elegant umging, oder aber mit großer Eleganz über die Kunst, stilvoll älter zu werden schreiben wie die Journalisten und Literaturkennerin Susanne Mayer in ihrem jüngsten Buch mit eben diesem Titel. Frau Mayer das Beste zuerst: Was sind denn die Vorzüge der späteren Jahre?
    Susanne Mayer: Die Vorzüge dieser späteren Jahre, das ist natürlich, dass man schon ganz schön viel Leben hinter sich gebracht hat und ganz viele Dinge, die einen ganz wahnsinnig vielleicht beschäftigt und gequält haben, diese ganzen Planungen, wie soll man das machen, beruflich, und wird das denn auch was werden, die Ehen, die Kinder oder was auch immer, man hat eigentlich ganz schön viel erlebt und weiß, das wird man jetzt auch nicht mehr alles herumreißen. Wer nicht Chefredakteur des Deutschlandfunks geworden ist, der wird das nicht mehr.
    Fecke: Wird der Blick in den späteren Jahren etwas milder auf das vorab Geschehene?
    Mayer: Dieses mit dem milder werden, das ist natürlich so eine von den ganz, ganz, ganz vielen Forderungen, die an einen herangetragen werden. Wenn man in diesem letzten, weiß ich nicht, Lebensviertel oder Lebensdrittel ist, dann soll man milder werden und dann soll man energischer werden. Dann soll man noch mal durchstarten oder mal alles hängen lassen. Dann soll man sich besonders toll anziehen oder zu Hause bleiben oder reisen. Ich bin auch mir selbst gegenüber, hoffe ich, dann auch ein bisschen gnädiger und dieses ewige Vorschriften machen finde ich auch nicht so schön. Ich meine, wenn Sie zwischen 30 und 40 sind, sagen Sie sich ja auch nicht die ganze Zeit, was wird denn jetzt von mir erwartet. Dieses Alter bringt natürlich auch mit sich, dass nicht nur man selber sich fragt, was mache ich jetzt damit, sondern ganz viele andere Leute tun das, und das ist auch ganz oft eine Übergriffigkeit.
    Fecke: Wenn man in die Gesellschaft schaut, sind einige erst mit knapp 50 erwachsen. Zumindest sagen sie das von sich.
    Mayer: Sagen wir in Europa. In anderen Ländern ist man da schon längst tot.
    Fecke: In der Tat! Aber wenn wir jetzt mal nach Berlin schauen, da sind sehr viele mit 50 gerade erwachsen. Und man sagt ja auch immer, die 40 ist die neue 30. Haben Sie das Gefühl, dass die Wahrnehmung des Alters sich verändert hat?
    Mayer: Ja, ich denke, das geht in verschiedene Richtungen. Es gibt ja einmal diesen Jugend, Jugend, Jugendwahn, alles muss neu sein, und ich denke, das wird sich auch noch ein bisschen verstärken, weil wir einfach wahnsinnig wenige junge Leute haben. Und dann kriegt das so einen Seltenheitscharakter und das wird so aufgewertet. Das Alter soll dann auch ganz jung sein. Eine typische Bemerkung ist ja, Du bist 50, das sieht man Dir überhaupt nicht an. Wenn man dann 60 ist, dann finden die Leute, dass man wie 50 aussieht, obwohl die doch, als man 50 war, gedacht haben, man solle gar nicht wie 50 aussehen. Auf der anderen Seite, finde ich aber auch, gibt es einfach ganz wunderbare Beispiele von älteren Leuten. Ich sage jetzt mal Vivienne Westwood, die Erfinderin des Punks und die immer noch ganz fantastisch und glorreich ist. Und es gibt eine ganze Reihe von solchen Gestalten, die ganz gute Laune machen.
    Fecke: Viele von denen haben Sie in Ihrem Buch ja auch erwähnt, auch Menschen, die Ihnen persönlich nahe sind, wie Karl oder Marlene, die alte Dame mit dem Hut und dem Schuhtick. Sie erwähnen doch auch sehr die Äußerlichkeit dieser Personen. Ist das sehr wichtig im Alter?
    Mayer: Na ja. Das würden alle Altersklassen unterschreiben, wahrscheinlich niemand mehr, als wenn man so 12, 13, 14, 15 oder 20 oder 30 ist. Ich rede viel auch über Stil und über das Äußere. Das ist für mich einmal eine Befreiung aus den finstern 50er-, 60er-Jahren, wo man alles Mögliche Schöne gar nicht erreichen konnte. Es war eine ganz magere Zeit, wobei ich dann immer meine Mutter vor Augen habe, die in den Kriegszeiten sich aus Gardinen ein Abendkleid nähte, das sie im Kino bei Jean Harlow gesehen hatte. Ich zitiere in dem Buch ja auch Oscar Wilde, der gesagt hat, nur einfache äußerliche Menschen verstehen nicht, wie wichtig die Äußerlichkeit ist. Ich finde, die Liebe zu was Schönem ist natürlich völlig akzeptiert, wenn es um teure Einrichtungsgegenstände geht, aber man kann sie auch auf Blumen legen oder man kann sie auf die eigene Erscheinung legen. Es ist für mich eine Metapher dafür, dass man aus Jahren, die wahrscheinlich nicht immer einfacher werden, was Schönes rausholt und sich was Schönes gönnt.
    "… dass ich versöhnt bin mit mir und mit meiner Umwelt"
    Fecke: Das eine waren die Äußerlichkeiten. Wenn Sie davon sprechen, sich was Schönes zu gönnen, was würden Sie sich für Ihr Selenleben gönnen?
    Mayer: Aus buddhistischer Sicht zum Beispiel ist man ja immer der Meinung, dass man der Kultivierung des Geistes und des Selenzustandes mindestens so viel Achtsamkeit zuwenden sollte wie Bauch, Beine, Po, um es mal im Jargon der Fitness-Welt zu sagen. Ich würde mir wünschen, dass ich dann wirklich auf dieser letzten Strecke in eine Zufriedenheit gehe, dass ich versöhnt bin mit mir und mit meiner Umwelt, dass es so ein freundliches Geben und Nehmen ist zwischen mir, den Kindern, den Nachbarn, den Freunden. Das würde ich mir wünschen.
    Fecke: Der niederländische Mediziner und Altersforscher Rudi Westendorp, der sprach davon, dass das biologische und das kalendarische Alter immer weiter entkoppelt wird. Empfinden Sie das auch so?
    Mayer: Ja. Man sagt ja immer so, das heutige 60 ist das, was früher 50 war. Ich denke, wir haben natürlich einerseits unheimlich viele Möglichkeiten. Wir haben ganz viele Möglichkeiten, uns geistig anzuregen. Als ein bisschen negativ, glaube ich, würde ich sehen, dass ganz viele Leute diese letzte Strecke als so eine Wellness-Zone betrachten, und das wird einem auch sehr aufgedrängt in der Magazinwelt und so weiter. Und das finde ich eigentlich schade, weil biologisch ist es einfach so, dass wir älter werden, knittriger werden, ein bisschen hinfälliger werden, mit immer mehr Einschränkungen eingehen müssen, und das kann man nicht einfach wegdiskutieren sozusagen.
    Fecke: Erlauben Sie mir, Sie als Frau auch zu fragen. Haben Sie das Gefühl, dass die Wahrnehmung von älteren Menschen einem gewissen Geschlechtsdimorphismus unterliegt, dass Frauen anders wahrgenommen werden als Männer?
    Mayer: Ja, natürlich werden sie das. Das Alter wird ja nicht als Alter wahrgenommen, sondern Sie werden ja immer in einem sozialen Kontext wahrgenommen. Und Männer haben natürlich das Glück, dass egal wie knittrig sie sind oder ausgebeult, oder ob sie im Leben Erfolg hatten oder nicht, sie sind immer ein bisschen assoziiert damit, dass wir hier, seien wir ehrlich, in einem Patriarchat leben, wo die meisten großen Gehälter auf Männerkonten gehen, wo die meisten tollen Positionen nämlich von Männern besetzt sind. Daran partizipieren Männer immer ein bisschen. Und Frauen, selbst wenn sie toll sind: Manchmal fällt mir auf, dass eigentlich viele Frauen, sagen wir, mit 50 oder mit 60 oder mit 70 eigentlich gepflegter und fitter aussehen als die entsprechenden Männer, aber sie werden viel schärfer angeguckt. Sie gucken sich selber schärfer an, sie werden von ihren Geschlechtsgenossinnen ganz scharf beäugt: Wie geht die? Hat die nicht einen zu kurzen Rock? Kann die eigentlich diese Schuhe noch tragen? Wieso trägt die so viel Rot? Oh, guck mal, bei der sieht man schon graue Haare. Also Frauen sind ja auch untereinander manchmal unfassbar ungnädig und viel ungnädiger als Männer sind, die dann vielleicht irgendwie sagen, guck mal, bin ich auch so dick wie der da, und dann haben sie das aber auch schon wieder vergessen.
    Fecke: Wenn Sie auf die Jahre zurückblicken, die schon hinter Ihnen liegen, haben Sie das Gefühl, dass der Blick aber dennoch gnädiger geworden ist auf ältere Frauen, oder war der in den 70er-Jahren schon genauso ungnädig, wie er jetzt ist?
    Mayer: Ich glaube, in den 70er-Jahren war der natürlich noch viel ungnädiger, weil heute kann man ja wenigstens damit rechnen, dass man jemandem trifft, die irgendwie ihren Beruf gewuppt hat oder so. Wenn man vor 50 Jahren eine ältere Dame war, dann war man in der Regel eine Gattin sozusagen, wenn wir übers Bürgertum reden. Im dörflichen Kontext, wo ich herkomme, da ist das natürlich alles völlig anders, weil eine Bäuerin immer eine ist, die sozusagen alles gewuppt hat. Per Olov Enquist, der wunderbare schwedische Schriftsteller, hat mal gesagt: Die große Achtung, die man in Schweden vor Frauen hat, hat viel damit zu tun, dass es ein ländlich geprägtes Land ist und natürlich die Bäuerin einfach ihren Part macht. Da würde niemand sagen, ich habe jetzt irgendwie ein, zwei Kinder, ich kann mich jetzt wirklich nicht ums Vieh kümmern oder aufs Feld gehen. Dann hat man zum Beispiel auch ältere Leute mit auf dem Hof und die gucken nach den Kindern und die sind alle unterwegs.
    In meiner Kindheit zum Beispiel haben die so ein Standing gehabt und ich finde, in Südeuropa ist das auch so. Sibylle Berg, die wunderbare Autorin, hat das mal sehr schön gesagt, dass die alten Damen Italiens zum Beispiel natürlich sich auch schön anziehen und das für sich in Anspruch nehmen und gerne angeguckt werden. Dolce & Gabbana hat zum Beispiel neulich eine wunderbare Modestrecke gemacht, illustriert mit kleinen runden alten Ladies, die wunderbare kleine goldene Ohrringe an ihren kleinen faltigen Ohrläppchen tragen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.