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Alternative für Deutschland
Petry sieht keinen Rechtsruck in der AfD

Der wirtschaftsliberale Flügel werde auch weiterhin in der AfD vertreten sein, sagte die neue Parteivorsitzende Frauke Petry im Deutschlandfunk. Sie fände es schade, wenn ihr Vorgänger an der Spitze, AfD-Gründer Bernd Lucke, die Partei nun "mit Getöse" verlasse.

Frauke Petry im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.07.2015
    Die neu gewählte AfD-Vorsitzende Frauke Petry
    Die neu gewählte AfD-Vorsitzende Frauke Petry (picture alliance/dpa/Maja Hitij)
    Beim Streit der vergangenen Wochen sei es nie um Inhalte, sondern den Kurs Luckes gegangen, so Petry im Deutschlandfunk. Dieser habe das Ziel eines auf seine Person zugeschnittenen Parteiprogramms verfolgt, ihr gehe es um Inhalte. Die Partei sei programmatisch immer noch dort, wo sie bei ihrer Gründung war, nur mit "neuen Köpfen".
    Lucke hatte am Wochenende gesagt, die AfD bewege sich in Richtung des französischen Front National. Der bisherige Parteichef habe sich "immer mit vielen Schlagworten umgeben, ohne sie zu konkretisieren", erwiderte Petry den Vorwurf. Die AfD werde weiterhin für einen Rechtsstaat eintreten.
    "Gewissermaßen konsequent"
    Nach seiner Entmachtung beim Parteitag in Essen hatte Lucke zudem mit einem Rücktritt gedroht. Petry sagte, es habe zuletzt viele Versuche gegeben, ihn davon und auch von der Gründung einer neuen Partei abzuhalten.
    Wenn nun er und andere Mitglieder die Partei verließen, verpassten sie die Chance, weiter an den Themen der Partei mitzuarbeiten, es sei aber auch "gewissermaßen konsequent".

    Das Gespräch in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Am Wochenende hat sie also stattgefunden, die Machtprobe bei der AfD, der Showdown an der Parteispitze. Auf ihn hat die Alternative für Deutschland seit Monaten hingesteuert. Für Parteigründer Bernd Lucke wurde der Parteitag in Essen eine Demütigung. Er wurde erst niedergebuht und dann aussortiert. An die Spitze wählten die Mitglieder mit 60 Prozent der Stimmen seine Rivalin Frauke Petry. Wohl mehr als nur eine Personalentscheidung, sagen viele Beobachter. Schließlich hat sich mit der Fraktionschefin aus Sachsen auch die rechtskonservative Strömung gegen die Von Lucke verteidigte wirtschaftsliberale Ausrichtung der Partei durchgesetzt. Vor einer knappen Stunde habe ich Frauke Petry gefragt, ob sie die AfD jetzt zu einer Wut- und Pegida-Partei machen will.
    Frauke Petry: Nein, keinesfalls. Die AfD ist programmatisch immer noch da, wo sie 2013 gewesen ist. Was an diesem Wochenende passiert ist, ist einfach, dass wir uns letztlich auch die Freiheit über die Themen wieder zurückerobert haben. Die Partei hat sehr geschlossen agiert und hat einen Vorstand gewählt, der jetzt diese Themen mit politischen Köpfen besetzen wird, mit denen wir eine sehr offene Diskussion darüber führen werden und hoffentlich bald ein vollständiges Parteiprogramm verabschieden werden.
    Barenberg: Mit Bernd Lucke wurde der gemäßigte konservative Kurs in der AfD entmachtet. Bestreiten Sie das?
    Petry: Ja, das bestreite ich ganz entschieden, weil es bei diesem Streit in den letzten Wochen mitnichten um Inhalte ging, sondern letztlich eher darum, ob die Partei einer Führung folgt, die der Meinung ist, dass die Parteistruktur auf Personen zugeschnitten werden muss oder einen Kurs fährt, der eine integrative Führung will und der bereit ist, alle Strömungen, alle relevanten Strömungen in der Partei zu vereinen.
    Barenberg: Das mag ja sein, dass das auch persönliche Gründe hatte und Gründe, die darin liegen, wie der eine oder die andere agiert hat. Aber wenn wir jetzt hören, dass Hans-Olaf Henkel die Partei verlässt, wenn Bernd Lucke erwägt, die Partei zu verlassen, wenn in Brüssel unter den europäischen Abgeordneten, wenn da das gleiche gilt, dann können Sie doch nicht bestreiten, dass das auch eine inhaltliche Dimension hat, eine Dimension, was die Programmatik angeht.
    Petry: Na ja. Bernd Lucke hat in seiner Rede vor dem Parteitag ganz klar gesagt, dass es die inhaltlichen Differenzen gar nicht gibt, sondern dass er sich eher über den Ton und den Stil geärgert hat. Das waren seine eigenen Worte und insofern sollte man ihn vielleicht da auch beim Wort nehmen. Dass die entsprechenden Personen die Partei verlassen, nun ja, das liegt daran, dass sie selbst mit der Gründung eines Parteivereins innerhalb der Partei ein Spaltungssignal gesetzt haben, das wir alle zutiefst bedauert haben und von dem wir auch von vornherein gewusst haben, dass es für die Partei schädlich ist. Dass sie nun gehen, nun ja, das finde ich schade, weil sie damit letztlich sich selbst die Chance nehmen, weiter an dem Projekt AfD mitzuarbeiten, aber es ist gewissermaßen konsequent.
    Barenberg: Sie haben gesagt, Sie wollen sich die Freiheit bei der Wahl der Themen wieder erobern. Was heißt das konkret?
    Petry: Nun ja, Bernd Lucke hat in den letzten Monaten zum Beispiel mit dem Ausrufen eines Mitgliederentscheids versucht, die programmatische Debatte vorab einzuengen, obwohl wir uns ja mitten im Programmprozess befinden und in den nächsten Monaten einen Parteitag dazu abhalten wollen. Das ist in der Partei überaus schlecht angekommen. Nun ist der Programmprozess wieder offen. Unsere Kernthemen Euro, EU, Familie, Mittelstand und viele andere mehr sollen ergebnisoffen diskutiert werden. Das ist jetzt wieder möglich.
    Barenberg: Jetzt haben Sie ein Thema gar nicht erwähnt, das für alle, die das beobachtet haben, im Mittelpunkt stand auf dem Parteitag in Essen, nämlich die Politik gegenüber Ausländern und Flüchtlingen.
    Petry: Ja, das wird häufig gern so wahrgenommen, weil es natürlich auch ein emotionales Thema ist, das in der Gesellschaft momentan eine riesengroße Rolle spielt. Es ist aber mitnichten das einzige Thema. Es ist in Essen angesprochen worden. Nun müssen Sie auch sehen, dass ein Wahlparteitag mit dreiminütigen Vorstellungsreden kein Ort ist, wo Sie differenzierte Programmdebatten führen können. Das werden wir jetzt wieder tun. Natürlich wird uns dieses Thema auch beschäftigen. Die AfD war die erste Partei, die 2013 schon die Trennung von Asylrecht und Einwanderungsrecht gefordert hat, und wir werden dazu weiter konkrete Vorschläge machen.
    Barenberg: Sie haben sehr viel Applaus bekommen in Essen, als Sie erklärt haben, dass der Islam mit dem deutschen demokratischen Selbstverständnis nicht in Einklang zu bringen ist und mit dem Grundgesetz. Was heißt das für Sie konkret?
    Petry: Das möchte ich gern konkretisieren. Ich habe gesagt, das politische Staatsverständnis des Islam ist nicht vereinbar, und wir wissen ja, dass der Islam oder viele islamische Strömungen mehr nur sind als eine Religion, sondern sie verkörpern gleichermaßen ein Staatsverständnis und gewisse Rechtsnormen, die im Kontrast zum deutschen Grundgesetz stehen. Das habe ich gesagt, das ist aufgefasst worden und offenbar ist es auch von einigen Medien missverstanden worden. Deswegen ist es gut, das hier noch einmal zu erklären.
    Barenberg: Sind denn die über zwei Millionen Muslime, die in Deutschland leben, dann für Sie dem Prinzip nach Verfassungsfeinde?
    "Jeder, der sich ans Grundgesetz hält, ist uns hoch willkommen"
    Petry: Nein, nein. Es geht ja darum, dass diejenigen, die integriert sind und die ganz klare ihre Religion vom Staatsverständnis, vom Grundgesetz trennen, die sind uns ja hoch willkommen, denn die haben ja bereits unser Grundverständnis angenommen. Wir wissen aber, dass gerade unter den radikaleren Vertretern es Probleme gibt mit der Annahme des Grundverständnisses, dass die Scharia als Rechtsform, als höherwertig betrachtet wird. Das ist ja genau eines der Probleme, die zu Integrationsmissverständnissen führen und über die wir in der Gesellschaft viel offener reden müssen.
    Barenberg: Sie sind auch überzeugt, so habe ich Sie jetzt verstanden, dass die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland sich an Recht und Gesetz hält, wie das für die Deutschen auch gilt?
    Petry: Natürlich! Jeder, der sich ans Grundgesetz hält, ist gar keine Frage, der ist uns hoch willkommen. Nur wir wissen ja, dass es in den letzten Jahrzehnten massive Integrationsdefizite gegeben hat, vielleicht auch, weil wir diesen Anspruch als Deutsche viel zu wenig klar formuliert haben.
    "Die AfD ist eine demokratische Partei"
    Barenberg: Bernd Lucke hat ja das, was Sie gesagt haben und was auch andere Redner in Essen gesagt haben, als ganz klar fremdenfeindlich bezeichnet. Wo ist für Sie die Grenze zur Fremdenfeindlichkeit?
    Petry: Ich weiß nicht, wie Bernd Lucke das gemeint hat. Er hat es auch nicht definiert, was auch letztlich ein Problem des Konflikts der letzten Monate ist, dass er mit vielen Schlagworten sich umgeben hat, ohne sie jemals zu konkretisieren. Die AfD ist eine demokratische Partei und wird sich dafür einsetzen, dass alle Bürger, egal woher sie kommen, sich an deutschen Normen halten, und sie wird dafür eintreten, dass der Rechtsstaat wieder das oberste Prinzip ist.
    Barenberg: Sie haben vorhin zu Beginn unseres Gespräches gesagt, dass die AfD keine Wut- und Pegida-Partei werden soll. Nun hat Marcus Pretzel, der Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, genau das gesagt: Die Partei ist eine Pegida-Partei. Was meint er damit?
    Petry: Er hat etwas anderes gesagt. Er hat gesagt, die AfD ist eine Euro-Pegida-Partei und noch viel mehr, und jetzt kann man das nicht aus dem Zusammenhang reißen. Natürlich ist die AfD eine Oppositionspartei, die als allererste in Sachsen sich mit dem Phänomen Pegida differenzierter auseinandergesetzt hat. So ist das zu verstehen. Wir sind zu keinem Zeitpunkt ein verlängerter Arm irgendeiner Bürgerbewegung gewesen, werden das auch zukünftig nicht sein. Aber wenn wir diejenigen sind, die sich mit den Problemen der Bürger auf der Straße beschäftigen, und dann dadurch die anderen Parteien auch dazu bringen, das zu tun, dann ist das doch eine richtige Aussage.
    Barenberg: Sie bestreiten ja, dass der wirtschaftsliberale Flügel Ihnen langsam abhandenkommt. Viele Beobachter sehen das so und deshalb an Sie die Frage: Was werden Sie tun, um Mitglieder wie Bernd Lucke oder vom Format von Hans-Olaf Henkel in der Partei zu halten? Denn die Beobachter sagen ja auch, auf einem Bein wird die AfD keinen Erfolg haben können, auch nicht bei der Bundestagswahl 2017.
    Petry: Ja. Nun gibt es innerhalb der AfD ja verschiedene Vereinigungen, die Wirtschaftsliberalen in der AfD, das Mittelstandsforum, wo sich viele Mitglieder sammeln. Diese Vereinigungen innerhalb der AfD stehen ganz klar zum aktuellen Kurs, zum Kurs der Einheit, und wir werden natürlich weiter Themen wie Mittelstand, Steuersystem bedienen. Mein zweiter Sprecher ist selbst Professor für Volkswirtschaftslehre. Wir haben also weiterhin Repräsentanten innerhalb dieser Partei, die diese Themen propagieren werden, und sie werden nicht die einzigen sein, die das tun. Geben Sie uns ein bisschen Zeit, wir müssen uns neu sortieren, wir müssen die Streitigkeiten auf allen Ebenen beenden und dann werden Sie sehen, dass wir den liberal-konservativen Kurs klar weiter fortsetzen.
    Barenberg: Wünschen Sie sich, dass Bernd Lucke bleibt?
    Petry: Ich finde es schade, wenn er jetzt mit Getöse die Partei verlässt. Ich fände es gut, wenn er weiterhin zu dem Projekt steht, das er ja selbst zuvorderst mit befördert hat. Aber ich merke natürlich auch, dass seine Enttäuschung wahnsinnig groß ist, und die Ansage, eine neue Partei gründen zu wollen, die ist nicht neu. Mit diesem Phänomen schlagen wir uns jetzt bereits seit Wochen herum und es gab viele Versuche, ihn davon abzuhalten.
    Barenberg: ... sagt Frauke Petry, die neue Vorsitzende der AfD. Schönen Dank für das Gespräch heute Morgen, Frau Petry.
    Petry: Gern. Auf Wiedersehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.