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Altes Kind

Der kleine Blidfinn trägt auf seiner knubbeligen Nase eine dicke Brille mit kreisrunden Gläsern. Er guckt erstaunt – überrascht. Die Hand hat er an den breiten Mund gelegt, so als stutze er. Nein, eine Schönheit ist er wahrlich nicht, der kleine Blidfinn mit den durchsichtigen Flügeln aus Windseide. Er lebt allein, denn seine Eltern sind lange schon in die Lichtwelt abberufen worden. Manchmal setzt er sich zu ihnen auf den Hügel und klopft dreimal auf die Erde. Er hebt seine Kakaotasse und grüßt damit vorsichtig all die unsichtbaren Wesen, die um ihn herumschweben. Er ist sehr einsam.

Von Simone Hamm | 19.06.2004
    Im ersten Blidfinn Buch Die große Suche des kleinen Blidfinn hat der isländische Autor Thorvaldur Thornsteinsson seinen melancholischen Helden auf die Suche geschickt nach dem einzigen Freund, den er je hatte, einem kleinen Kind, das er einmal in seinem Garten gefunden hatte. Blidfinn muss viele Abenteuer bestehen, bevor er das Kind wieder sieht und als er es wieder sieht ist es eine alte, tief gebeugte Gestalt geworden.

    Von Freundschaft, echter, tiefer Freundschaft erzählt Thorvaldur Thornsteinsson auch im zweiten Blidfinn Roman: Der kleine Blidfinn in großer Gefahr. Wieder hat Gudjon Ketilsson schwarz-weiße Vignetten gezeichnet. Der Pfeil im Gefieder des schwarzen Vogels und der Totenkopf über dem Wasserglas weisen in fast jedem Kapitel darauf hin, das die Idylle in Blidfinns Garten keine bleiben wird.

    Obwohl er meist mit sich allein war, verspürte Blidfinn nur selten Langeweile. Er dachte sich etwas aus, womit er sich beschäftigen oder worüber er sich den Kopf zerbrechen konnte, doch am allerschönsten fand er es, im Garten zu arbeiten…Er war ein König in seinem Reich und nichts schien diese Freude trüben zu können – schon gar nicht an einem sonnigen Tag wie diesem. Das dachte Blidfinn jedenfalls, und es gab ja keinen Grund mit dem schlimmsten zu rechen. Obwohl es nicht mehr weit entfernt war.

    Denn Thornsteinsson erzählt eben nicht nur von der Freundschaft, sondern auch vom Verrat. Davon, wie der kleine Blidfinn den falschen Freunden vertraut und sich von den wahren abwendet. Blidfinn findet in seinem Garten drei schwer verletzte Zwerge, die Schauspieler der Truppe "Lachen und Weinen". Glücklich, endlich wieder Freunde zu haben, pflegt er sie gesund. Eines Tages wird er von einem geheimnisvollen Bachplätschern in den Wald gelockt. Während Blidfinns Abwesenheit erzählt ein seltsamer Brückenwärter den Zwergen, Blidfinn sei in großer Gefahr und sie müssten ihn ganz schnell suchen. Sie benennen sie sich um in "Suchtrupp Hoch und Tief" und machen sich sofort auf den Weg. Als Blidfinn zurückkehrt, hat sich ein neuer Gast einquartiert, einer, der ihm weismacht, die Zwerge hätten ihn überfallen und seien davon gelaufen. Er gibt sich als Arzt aus. In Wirklichkeit ist er ein boshafter übel riechender Narr. Allzu schnell vergisst der kleine Bildfinn seine wunderbare Freundschaft mit den Zwergen, allzu bereit glaubt er den Lügen des vermeintlichen Arztes. Der nistet sich bei ihm ein und mischt ihm jeden Tag ein wenig Gift unters Essen.

    Die Krähe, die alles sieht und alles weiß, will die Zwerge warnen. Da wird sie von einem Pfeil getroffen. Unfähig zu fliegen, bittet sie Kurt Spurt, den Sause-Elf, den Zwergen hinterherzulaufen:

    Es war aber auch klar, dass die Krähe, so klug sie ansonsten war, nicht bedacht hatte, wie weit der Weg durch das Irrwegtal für einen Sause-Elf sein musste, der kaum größer war als ein Krähenschnabel. Aber das musste man ihr nachsehen. Mit einem Giftpfeil in der Brust lässt sich kaum klar denken.

    Durch solche Priesen Humor erleichtert Thorsteinsson den jungen Lesern die dunklen Stellen in den Blidfinn - Romanen. Und davon gibt es etliche. Der Tod ist allgegenwärtig.

    Vor jedem Kapitel hat Thorsteinsson den Inhalt kurz zusammengefasst. So bereitet er seine Leser sanft auf Geheimnisvolles, Schreckliches oder Tieftrauriges vor – und so erhöht er die Spannung.
    13. Kapitel In dem wir einen wirklichen Hochleistungselfen finden, aber auch eine wichtige Person verlieren. Wahrscheinlich das traurigste Kapitel.

    So schnell er auch rennt, der Sauseelf, so nah er den Zwergen auch kommt, es gelingt ihm nicht, mit ihnen sprechen. Unverrichteter Dinge kehrt er zu der tödlich verletzten Krähe zurück:
    Sie sahen sich ein letztes Mal in die Augen, die alte Krächzkrähe und der kleine Sause – Elf Kurt Spurt. Dann atmete die Krähe kurz durch, spreizte ihre glänzend – schwarzen Flügel und flog davon, würdevoller als jemals zuvor. Sie stieg zum Himmel auf, der jetzt nach dem Regen wieder blau und sonnenklar war, und verschwand mit kräftigen Flügelschlägen über dem Wald. In die Lichtwelt. Kurt Spurt aber blieb zurück im nassen, glitzernden Gras und streichelte seiner Freundin über den schwarzen Kopf, bis er sicher war, dass sie den ganzen Weg zurückgelegt hatte.

    Thorvaldur Thorsteinsson hat eine geheimnisvolle Welt geschaffen: eine Welt aus Elfen, Narren, Zwergen, sprechenden Tieren und belebten Orten, etwa einer nassen, dichtenden, wandernden Stelle im Wald. Er zieht seine Leser hinein in diese phantastische Umgebung. Während er noch dabei ist, seine Idyllen zu schaffen, zerstört er sie bereits wieder durch kryptische Andeutungen. Nichts ist rein schwarz und nichts blütenweiß. Auch der schönste Sonnentag birgt ein dunkles Geheimnis. Aber auch im dunkelsten Geheimnis funkelt ein Sonnenstrahl. Das ist die große Kraft der Blidfinn – Romane Thorvaldur Thornsteinssons. Und darauf mag ihr großer Erfolg beruhen.

    Thorvaldur Thornsteinsson
    Der kleine Blidfinn in großer Gefahr.
    128 S., EUR 8,90
    Von Simone Hamm