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Altes oder Erstes Testament?
Versteckter Antijudaismus

Den Begriff "Altes Testament" verwenden die meisten Menschen ganz selbstverständlich. Dabei wird schon lange über ihn diskutiert: Er enthalte antijüdisches Potential, sagen manche und sprechen lieber vom "Ersten Testament". Doch auch dieser Begriff kann antijüdisch gedeutet werden.

Von Christian Röther | 09.05.2018
    Eine aufgeschlagene Bibel mit dem Schriftzug "Das Alte Testament"
    Weil "alt" nach "veraltet" klingen kann, plädieren viele Experten dafür, stattdessen vom Ersten Testament zu sprechen (Deutschlandradio / Christian Röther)
    Ein "alter Hut" ist langweilig und wertlos. Aber eine "alte Tradition" ist wertvoll und soll bewahrt werden. Und das Alte Testament? Meint "alt" hier "wertvoll" oder "wertlos", "veraltet"?
    Walter Homolka: "Wer von Altem und Neuem Testament spricht, der bringt auch schon die Frage auf: Was ist aktuell und was ist vergangen?"
    Der Rabbiner Walter Homolka ist in Potsdam Professor für jüdische Religionsphilosophie. Er spricht sich gegen die Verwendung des Begriffs "Altes Testament" aus. Denn das Alte Testament des Christentums ist weitgehend identisch mit der Hebräischen Bibel des Judentums. Wenn man also vom Alten Testament spricht, kann darin mitschwingen, dass das Judentum vom Christentum abgelöst wurde und seine Legitimation verloren hat.
    Walter Homolka: "Wer von 'Altem Testament' spricht, der glaubt also, es gab dann noch ein Update. Das ist das Neue Testament und das wäre dann sozusagen das Wesentliche."
    "Überholt, abgelöst, aufgehoben"
    Die antijüdische Lesart der beiden Testamente bestimmte über Jahrhunderte die christliche Theologie. Testament, das kann man auch mit "Bund" übersetzen. Den Alten Bund habe Gott mit dem Judentum geschlossen. Der gelte aber nicht mehr, sondern sei von Gottes Neuem Bund mit dem Christentum aufgehoben und ersetzt worden. So glaubten es viele Christen, und manche glauben es bis heute. Die Debatte reicht zurück bis ins erste Jahrhundert – bis zu Paulus, dem Macher des Christentums. Laut Walter Homolka verwendet Paulus den Begriff "Altes Testament" in abwertender Weise.
    "Der Begriff 'Altes Testament' stammt ja aus dem zweiten Korintherbrief, wo Paulus von 'palaia diathēkē' spricht, also von dem 'Alten Testament' – dem 'Alten' im Sinne von überholt, abgelöst, aufgehoben."
    Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham Geiger Kollegs, spricht am 01.12.2016 bei der Rabbinerordinationsfeier in der Synagoge der Liberalen Juüdischen Gemeinde in Hannover.
    Der Potsdamer Rabbiner Walter Homolka (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    "Das Denken der Israeliten wurde verhärtet. Denn bis zum heutigen Tag liegt die gleiche Hülle auf dem Alten Bund, wenn daraus vorgelesen wird; sie wird nicht aufgedeckt, weil sie in Christus beseitigt wird." (2. Korinther 3, 14)
    Homolkas Lesart dieser Bibelstelle widerspricht der evangelische Theologe Hermann Spieckermann. Er ist in Göttingen Professor für Altes Testament und sagt, Paulus gebrauche "Altes Testament" bzw. "Alter Bund" "überhaupt nicht abwertend. Er sagt lediglich: Wir lesen alle diese jüdischen Schriften, die wir den 'Alten Bund' nennen. Aber wir können sie mit einer unterschiedlichen Erkenntnis lesen. Paulus hat nicht gewollt, dass wir die jüdische Bibel nicht mehr lesen. Der wäre völlig vom Glauben abgefallen. Das geht gar nicht!"
    "Die Hebräische Bibel und das Neue Testament"
    Unabhängig davon, was Paulus mit "alt" genau gemeint hat, wurde der Begriff "Altes Testament" in den vergangenen Jahrzehnten von vielen christlichen Theologen in Frage gestellt. Denn im allgemeinen Sprachgebrauch kann "alt" eben sehr leicht nach "veraltet" klingen. Das hat auch der Rabbiner Walter Homolka beobachtet.
    "Schon zu meiner Studienzeit in den 80er Jahren sprach eigentlich kaum mehr einer von 'Altem Testament', zumindest im theologischen Zusammenhang. Und es wird auch immer häufiger eigentlich gesagt 'die Hebräische Bibel und das Neue Testament'."
    Oder auch: das Erste und das Zweite Testament. Erstes statt Altes Testament – das soll deutlich machen: Dieser Textkorpus ist zuerst entstanden– vor dem Neuen beziehungsweise Zweiten Testament. Gott habe also zuerst seinen Bund mit dem Judentum geschlossen.
    "Ich liebe den Begriff 'Erstes Testament' nicht"
    Viele christliche Theologen verwenden inzwischen "Erstes Testament", um das mögliche antijüdische Verständnis von "Altes Testament" zu umgehen. Der evangelische Theologe Hermann Spieckermann zählt allerdings nicht dazu. Er widerspricht:
    "Ich liebe den Begriff 'Erstes Testament' nicht. Ich weiß, er ist aus guter Absicht gebraucht worden, um genau diesen Charakter, dass im Alten Testament das Veraltete, das Abständige drinsteckt – um das zu vermeiden. Aber der Begriff stammt aus dem Hebräerbrief. Es ist auf jeden Fall dort so gebraucht, dass ich keinen Gebrauch davon machen möchte. Denn da wird gerade der Begriff 'Erstes Testament' im abwertenden Sinne gebraucht."
    "Darum ist Christus der Mittler eines neuen Bundes; sein Tod hat die Erlösung von den im ersten Bund begangenen Übertretungen bewirkt, damit die Berufenen das verheißene ewige Erbe erhalten. Wo nämlich ein Testament vorliegt, muss der Tod des Erblassers nachgewiesen werden; denn ein Testament wird erst im Todesfall rechtskräftig und gilt nicht, solange der Erblasser noch lebt." (Hebräer 9,15-17)
    Man könnte diese Aussagen von Paulus also so verstehen: Das Erste Testament, der Erste Bund ist tot, der Neue Bund hat ihn abgelöst.
    Hermann Spieckermann: "Da ist im Grunde genau durch 'Erstes Testament' dieser Unterschied zementiert, den man nicht wollen kann."
    Der Theologe Hermann Spieckermann an seinem Schreibtisch
    Der Göttinger Theologe Hermann Spieckermann (Deutschlandradio / Christian Röther)
    Es gibt auch noch andere begriffliche Alternativen zum "Alten Testament". So verwenden auch Nicht-Juden die jüdischen Begriffe "Hebräische Bibel" oder "Tenach" beziehungsweise "Tanach". Hermann Spieckermann widerspricht auch hier:
    "Es ist natürlich klar, dass in dieser Hinsicht Juden und Christen unterschiedliche Namen bevorzugen werden, weil es auch tatsächlich sich um unterschiedliche Textkorpora handelt."
    "Ein belasteter Begriff"
    Die Hebräische Bibel der Juden und das Alte beziehungsweise Erste Testament der Christen sind sich inhaltlich zwar sehr ähnlich, aber eben nicht völlig identisch. Die christlichen Fassungen haben deutlich mehr Bücher als die jüdische Bibel. Hermann Spieckermann plädiert deswegen dafür, im christlichen Kontext weiterhin vom Alten Testament zu sprechen.
    "Ich sehe, dass Altes Testament auch ein belasteter Begriff ist, dass er auch viel missbraucht worden ist. Aber ich würde versuchen, dabei zu bleiben und zu erklären."
    Der christliche Theologe Hermann Spieckermann ist hier also anderer Meinung als der jüdische Theologe Walter Homolka. Der wiederum attestiert seinen christlichen Kollegen einen weitgehend reflektierten Umgang mit den Begriffen.
    "Ich glaube, dass man mit Fug und Recht sagen kann, dass im theologischen Kontext man nicht mehr von 'Altem Testament' spricht."
    Wortklauberei von Theologen?
    Für viele Bücher und Artikel vieler christlicher Theologen mag das zutreffen – aber ihre Lehrstühle heißen trotzdem nach wie vor "Altes Testament". Auch der Lehrstuhl von Hermann Spieckermann.
    "Christenmenschen werden immer den Namen Altes Testament – mit dem Neuen Testament – bevorzugen."
    Man könnte diese Debatte noch lange weiterführen – oder sagen: Das ist Wortklauberei von Theologen, geht mich nichts an. Das stimmt aber nicht: Wer vom Alten Testament spricht – und das macht außerhalb der Theologie so ziemlich jeder – wer vom Alten Testament spricht, sollte sich der Problematik bewusst sein. Denn in dem Begriff steckt eben potentiell die Aussage: Das Judentum hat seine Legitimität verloren. Und will man das wirklich sagen?