Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Altes und neues Südafrika

"Vrystaat" nennen die weißen Bewohner ihre Heimatprovinz im Herzen Südafrikas - nicht "Free State". Vrystaat ist burisches Kernland. Dort, in der Kleinstadt Excelsior und in der dazugehörigen Schwarzensiedlung Mahlatswetsa, spielt der Roman "Die Madonna von Excelsior" des südafrikanischen Schriftstellers Zakes Mda. Die Geschichte beginnt in den 1970er Jahren und beruht auf wahren Ereignissen.

Von Gaby Mayr | 19.07.2005
    Die Buren rund um Excelsior sind Farmer, im Ort kaufen sie in der Metzgerei ihr Fleisch und gehen zum Rechtsanwalt. Und vor allem in die Kirche. Sie sind strenggläubige Christen und verstehen sich als auserwähltes Volk, als weiße Afrikaaner.

    Ihre Vorfahren kamen im 19.Jahrhundert mit Planwagen von der Kapkolonie ins Landesinnere, um der britischen Herrschaft zu entgehen. Sie besiegten die schwarzen Völker der Region, machten sie zu ihren Arbeitssklaven und begründeten die Apartheid. Die Hierarchie der Hautfarbe halten sie für gottgegeben, sexuelle Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß sind strikt verboten.

    Doch trotz aller Verbote werden Kinder mit brauner Haut geboren, seit die ersten weißen Männer ins südliche Afrika kamen. In Excelsior erblicken zu Beginn der Siebzigerjahre besonders viele sogenannte farbige Kinder das Licht der Welt.

    "Fünf Frauen schlichen sich in die Scheune. Fünf Bittstellerinnen in einem Tempel der Wollust. Sie waren losgezogen, um im Veld nach Kuhdung zu suchen. Alle wussten das. Kuhdung auf den Feldern war, nicht in einer großen Scheune aus Wellblechplatten. In der Scheune gab es keinen Kuhdung. Und doch waren sie dort und gingen vorsichtig über das Heu, das den Boden bedeckte. In einer Ecke waren Heuballen aufgestapelt. Einige davon lagen auf dem Boden herum und bildeten kleine Nester der Lust. Auf anderen Ballen saßen fünf Männer. Fünf Männer in Khakishorts oder grauen bügelfreien Hosen. Fünf Männer, die Johannes Smits Kirschlikör tranken... Johannes Smit ... servierte stolz die dunkle Flüssigkeit in Bierkrügen und Kaffeebechern. Er war der Gastgeber. Dies war seine Scheune auf seiner Farm. Sein Land. Die vier Männer und fünf Frauen waren seine Gäste."

    Der Farmer, der Pastor, der Metzgereibesitzer - angesehene Bürger aus Excelsior nutzen ihre Macht und ihr Geld, um sich in Johannes Smits Scheune Lust zu verschaffen.

    Niki, Maria und Mmampe - schwarze Frauen aus der Township. Als Hausmädchen und Hilfskraft bei weißen Familien verdienen sie kaum Geld, die Hausherrin demütigt sie, vom Hausherrn werden sie sexuell benutzt. Hier in der Scheune sind sie immer noch die Dienerinnen der weißen Männer - aber sie lachen auch zusammen.

    Sogar in der festgezurrten, gewalttätig-verklemmten Welt der Apartheid ist nicht alles eindeutig. Niki ist nicht nur Opfer, wenn sie den Metzgereibesitzer Stephanus Cronje in der Scheune erträgt - mit dem Akt kann sie auch Rache nehmen.

    Später bekommt Niki eine Tochter, Popi, mit brauner Haut und glattem Haar. Sie wird mit anderen schwarzen Frauen, die zur gleichen Zeit hellerhäutige Kinder geboren haben, vor Gericht gestellt. Auch ein paar weiße Männer werden angeklagt.

    Zakes Mda zeichnet seine Geschichte mit klaren, kraftvollen Pinselstrichen - so wie Pater Claerhout seine Bilder malt von den Sonnenblumenfeldern und den Menschen des Vrystaat, für die Niki und Popi Modell sitzen. Und wie der Geistliche in Expressionistenmanier den Menschen blaue Gesichter verpasst und die Häuser zusammenstaucht, als hätte sie ein Boxhieb getroffen, so geraten die festgefügten Verhältnisse der Apartheidgesellschaft im neuen Südafrika aus den Fugen.

    Popi und ihr Halbbruder Viliki, der einstige Befreiungskämpfer, sitzen im Gemeinderat von Excelsior. Die Befreiungsbewegung hat die Mehrheit, ihre Mitglieder haben Ideale - aber die Hoffnung stirbt schnell: Die neu gebauten Häuser reichen längst nicht für alle, einstige Kämpfer bereichern sich, Geschäftemacher nutzen die politische Karte, um Macht und Geld zu erlangen. Zakes Mda, der schwarze Autor, zeichnet ein ernüchterndes Bild der schwarzen Mehrheitsgesellschaft. Derweil die burische Gemeinschaft, vom Sockel gestürzt, teils in Hass versinkt, teils die Annäherung an die einst Gedemütigten sucht.

    "Wissen Sie, Meneer", sagte Viliki, als er aufbrach, "heutzutage findet man nur noch schwer einen Weißen, der jemals für die Apartheid war."
    Wir sahen, wie Viliki aus Adam de Vries´ Kanzlei kam.... Wir fragten uns, was die beiden wohl zueinander zog. Popi und Lizette de Vries hatten zumindest die gemeinsame Arbeit. Aber Viliki und Adam de Vries?
    Wenn Neugierige ihn danach fragten, entgegnete Viliki nur: "Er ist ein netter Kerl, aber ein Weißer bleibt doch immer ein Weißer."

    Südafrika nennt sich heute Regenbogennation, weil Menschen aller Hautfarben dort Platz finden. Zakes Mda, das Multitalent der südafrikanischen Literatur- und Theaterlandschaft, nimmt die Farben des Regenbogens und schafft ein Gemälde mit schrill-grotesken Szenen neben harmonischen Bildelementen. Sicher ist bei Mda nur eines: Nie ist sicher, ob er nicht im nächsten Moment eine heitere Szene mit einem brutalen Pinselstrich auslöscht oder eine aggressive Farborgie mit einer ebenmäßigen Komposition überdeckt.


    Zakes Mdas: Die Madonna von Excelsior
    UnionsVerlag