Suche nach Impfstoff gegen Corona

Im Wettbewerb gegen die Zeit

07:24 Minuten
Der Virologe Prof. Dr. Stephan Becker im Institut für Virologie, an der Philipps-Universität Marburg
Der Virologe Stephan Becker rechnet mit einem Impfstoff erst im nächsten Jahr. © Markus Farnung
Stephan Becker im Gespräch mit Axel Rahmlow · 27.06.2020
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Bei der Suche nach einem Corona-Impfstoff entstehe der Zeitdruck durch die Pandemie und nicht durch den Wettbewerb der Hersteller, sagt der Virologe Stephan Becker. Für die Entwicklung werde sehr viel Geld benötigt, um auch ärmere Regionen zu versorgen.
In der Coronapandemie richten sich alle Hoffnungen auf die möglichst schnelle Entwicklung eines Impfstoffs. Die EU-Kommission sammelt für dessen Entwicklung heute auf einer Geberkonferenz Geld, unter anderem mit einem Benefizkonzert, das digital übertragen wird. Mit dabei sind bekannte Musiker wie Justin Bieber, Coldplay oder Shakira. Profitieren sollen Forschungseinrichtungen in der ganzen Welt. Stephan Becker ist Professor für Virologie und Leiter des Instituts für Virologie an der Universität Marburg und an der Suche nach dem Impfstoff intensiv beteiligt.
Axel Rahmlow: Sie produzieren gerade jetzt einen ersten Impfstoff, und im September soll der in die erste klinische Prüfungsphase kommen. Wie optimistisch sind Sie?
Becker: Vielleicht muss ich dazu sagen, dass wir diesen Impfstoff nicht selbst produzieren, das macht ein Impfstoffhersteller. Das ist die Firma IDT aus Dessau. Die machen diesen Impfstoff professionell, was wir nicht könnten. Wir sind sehr optimistisch, dass wir im September in die klinische Phase I gehen können, und wir hoffen natürlich, dass der Impfstoff auch wirkt, aber das wird man erst später sehen.
Rahmlow: Was heißt klinische Phase I?
Becker: Bei der klinischen Erprobung von einem Impfstoff oder von Arzneimitteln insgesamt gibt es verschiedene Phasen. Man fängt damit an, dass man den Impfstoff an Gesunden erprobt. Da guckt man zunächst, was hat der denn für Nebenwirkungen. Das ist eine ganz entscheidende Frage, weil man mit einem Impfstoff immer Gesunde impft, und deswegen muss der so nebenwirkungsarm wie irgend möglich sein.
Dann, in den nächsten Phasen, kommt man dazu, dass man nicht nur an Gesunden diesen Impfstoff erprobt, sondern auch in bestimmten Personengruppen, die vielleicht älter sind oder an Kindern. In der letzten Phase schaut man dann danach, wie wirksam ist der Impfstoff. Da muss man dann innerhalb einer Epidemie – also jetzt in der SARS-Coronavirus-Epidemie – den Impfstoff erproben und schauen, ob die Gruppe, die man geimpft hat, gegenüber nicht geimpften Personen einen deutlichen Vorteil hat, dass dann weniger Leute da erkranken.

"Keine Sorge vor der Geschwindigkeit"

Rahmlow: Das alles dauert normalerweise viele Jahre, jetzt soll alles schnell gehen. Wie schnell ist das denn möglich?
Becker: Ja, das dauert wirklich viele Jahre. Wir haben uns in den letzten Jahren immer damit beschäftigt, diesen Zeitrahmen zu verkürzen. Jetzt, während dieser Coronapandemie, wird das alles noch mal schneller. Schnell wird meiner Ansicht nach sein, wenn wir Mitte nächsten Jahres einen Impfstoff haben, der zugelassen ist. Das bedeutet nicht, dass der Impfstoff für die gesamte Welt dann sofort zur Verfügung steht. Es sind dann erst bestimmte Personengruppen, die man impfen kann, weil die Anzahl der Dosen, die man produziert, limitiert ist. Man kann nicht auf einmal 14 Milliarden Impfstoffdosen produzieren.
Eine Wissenschaftlerin mit Mundschutz, Schutzbrille und Handschuhen hält ein Laborröhrchen mit der Aufschrift "SARS-CoV 2" in den Händen.
Die Forschung zur Entwicklung eines Impfstoffes gegen den Coronavirus setzt auf hohes Tempo, das manchen Sorge bereitet. © imago /Local Pic
Rahmlow: Wenn es dann einen Impfstoff geben würde, egal ob er von Ihnen ist oder von jemand anderem, würden Sie sich den spritzen lassen? Die Geschwindigkeit ist tatsächlich eine Sorge vieler Menschen.
Becker: Ja, manche Menschen machen sich Sorgen, ob denn die Sicherheit, die man mit den Impfstoffen normalerweise verknüpft und die unbedingt gewährleistet sein muss, ob die dann auch gewährleistet sein kann, wenn man so schnell vorgeht. Da muss man verstehen, dass diese Entwicklung des Impfstoffes normalerweise in verschiedenen Phasen abläuft. Jetzt – unter diesem Zeitdruck, unter dem alle stehen – werden diese Phasen quasi nicht hintereinandergeschaltet, sondern parallel.
Das ist eher ein finanzielles Risiko. Wenn normalerweise die Phase I beendet wird, bevor man dann in die nächste geht, weil man dann weiß, die erste war erfolgreich, dann geht man in die nächste Phase, dann macht man das jetzt momentan parallel. Wenn dann die erste Phase nicht erfolgreich ist, dann kann die zweite eben nicht laufen, beziehungsweise die Ergebnisse sind dann quasi verloren.
Rahmlow: Ich höre heraus, für Sie persönlich ist das Risiko tragbar?
Becker: Ich halte das Risiko für tragbar, und ich würde mich damit natürlich auch immunisieren lassen, selbstverständlich.

"Geld ist enorm wichtig"

Rahmlow: Wie viel vom jetzigen Zeitdruck ist Wettbewerbsdruck, Herr Becker? Sie sind ja nicht die Einzigen, die an einem Impfstoff forschen.
Becker: Für mich kommt der Zeitdruck im Moment durch die Pandemie und nicht durch den Wettbewerb. Ich glaube, wir brauchen viele verschiedene Impfstoffe, um damit voranzukommen, weil wir momentan noch überhaupt nicht sagen können, welche von den Konzepten, die momentan entwickelt werden, dann auch wirklich schützend sind. Der Wettbewerb, der natürlich auch zwischen den verschiedenen Herstellern existiert, der ist nicht so wichtig wie der Wettbewerb gegen die Zeit, die die Pandemie uns lässt.
Rahmlow: Das heißt, wenn irgendjemand anderes vor Ihnen fertig ist, dann sind Sie nicht sauer oder enttäuscht?
Becker: Nein, das ist okay. Wir brauchen jetzt einen Impfstoff, und diese wenigen Monate, die der ein oder andere dann eben schneller sein wird, das wird auf lange Sicht keine Rolle spielen.
Beobachtung eines blauen Gels, das die Reinheit der im Labor produzierten Antigene bewertet.
Gute Forschung benötigt auch viel Geld. © Getty Images / Pedro Vilela
Rahmlow: Welche Rolle spielt Geld? Die EU sammelt heute in einer zweiten Runde viel Geld zusammen, das ist der Plan, zehn Milliarden Euro sind in einer ersten Runde zusammengekommen, heute gibt es sogar ein Benefizkonzert. Wie wichtig ist Geld bei dieser Pandemie?
Becker: Geld ist enorm wichtig, weil diese Entwicklung von den Impfstoffen einfach sehr viel Geld verschlingt. Man braucht dieses Geld bestimmt, um erstens die Entwicklung abzuschließen und außerdem so viele Impfstoffdosen zu produzieren. Denn wir wollen schließlich, dass auch in Ländern geimpft wird, wo sich die Menschen den Impfstoff nicht unbedingt leisten können. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Länder beteiligt sind, die von dem Geld, was jetzt gesammelt wird, auch profitieren.
Rahmlow: Es gibt nicht nur das Coronavirus, sondern auch viele andere Krankheiten, bei denen nach Impfstoffen gesucht wird. Wir sind gerade in einem sehr schnellen Tempo, wenn es um diesen Impfstoff geht. Wird das bei anderen Impfstoffen in Zukunft auch so sein?
Becker: Das glaube ich nicht. Dieses Tempo kann niemand durchhalten auf die Dauer, das wird nicht gehen. Bei vielen Impfstoffen ist das auch gar nicht notwendig, dass man wirklich in so einer kurzen Zeit diese Impfstoffproduktion oder Impfstoffentwicklung abschließt. Für viele reicht es aus, wenn man da einen Gang zurücknimmt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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