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Altlasten
Die Last mit den stillgelegten Mülldeponien

Erst in den 70er-Jahren wurden wilde Müllkippen in Deutschland offiziell verboten. Existierende Halden wurden dann geschlossen - und möglichst schnell vergessen. So auch in Dettingen in Baden-Württemberg. Was genau dort lagert und welche Gefahr davon ausgeht, darüber herrscht Uneinigkeit.

Von Uschi Götz | 11.04.2019
Sickerwasser in der Verlängerung der stillgelegten Müllkippe "Kuhfriedhof" in Dettingen an der Erms in Baden-Württemberg.
Sickerwasser in der Verlängerung der stillgelegten Müllkippe „Kuhfriedhof“ (Deutschlandradio / Uschi Götz)
"Da haben wir uns schon Gedanken gemacht. Dass hier früher Müll entsorgt worden ist, ja, so wie eine Müllhalde."
Über die Vergangenheit sind Bäume und viel Gras gewachsen. Erst nachdem das Ehepaar vor drei Jahren ein Haus gekauft hatte, erfuhr es davon, dass sie zwischen zwei stillgelegten Müllhalden wohnen. Mehr noch: Das Wohngebiet Buchhalde in der schwäbischen Gemeinde Dettingen an der Erms wurde früher Krebshügel genannt. Es habe dort mehr Krebskranke als woanders gegeben, erzählte man sich – auch wenn das zuständige Kreisgesundheitsamt in Reutlingen eine besondere Häufung weder für damals noch heute bestätigen konnte. Die Gerüchte gab es dennoch. Das Ehepaar erreichten sie aber erst später.
Blick von der Burg Teck ins Lenninger Tal mit Owen, rechts Dettingen. Links am Bildrand ist die Burg Hohenneuffen zu sehen, in der Bildmitte am Horizong der Stuttgarter Fernsehturm und der Landesflughafen Stuttgart-Echterdingen. 
Die Idylle trügt: In Dettingen (rechts) wurde jahrzehntelang Müll auf wilden Müllkippen entsorgt. (imago /Arnulf Hettrich)
Erst 1972 wurden wilde Müllkippen verboten
In den Müllhalden, zwischen denen das Paar wohnt, lagert Industriemüll. Nicht klar ist, was genau dort deponiert und zugeschüttet wurde und ob die Nachsorge ausreicht. 1972 trat das Gesetz über die Beseitigung von Abfällen in Kraft, mit dem vor allem wilde Müllkippen verboten wurden. Bis dahin konnte Müll jeglicher Art ungestraft weggeworfen werden. Die Gemeinde Dettingen ist also in dieser Hinsicht kein Ausnahmefall:
"Es sind häufig gar keine Deponien gewesen, über die wir reden. Vor allem, wenn wir an diese Altstandorte denken, das waren Kippen. Typische Bürgermeisterkippen und wir reden da so circa über 80.000 in Deutschland, die wir haben, die so in den 1950er, 60er- Jahren bis in die 1970er-Jahre betrieben worden sind."
Professor Martin Kranert ist Direktor am Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft an der Universität Stuttgart. Viele dieser Kippen seien später in ordnungsgemäße Deponien umgewandelt worden, erklärt er. Andere habe man damals aber auch einfach abgedeckt. Es gebe Kippen, die bis heute relevante Auswirkungen für die Umwelt haben, andere seien unbedenklich:
"Normalerweise ist es so, dass solche Standorte schon kartiert sind, gerade in den 90er-Jahren wurden sehr viele dieser Standorte auch gerade im Zuge der Wiedervereinigung ja auch in den neuen Bundesländern dokumentiert, und dazu gab es auch eine ganze Menge Untersuchungen."
1999 trat das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) in Kraft. Das Gesetz wird durch die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung ergänzt. Dort heißt es:
"Liegen der zuständigen Behörde Anhaltspunkte dafür vor, dass eine schädliche Bodenveränderung oder Altlast vorliegt, so soll sie zur Ermittlung des Sachverhalts die geeigneten Maßnahmen ergreifen."
Spuren des ehemaligen Braunkohleabbaus: Toxische Stoffe gelangen in die Umgebung
Alle Beiträge zu unserem Rechercheprojekt finden Sie auf unserem Giftmüll-Portal (Tom Hegen)
Seit 20 Jahren werden verdächtige Flächen erfasst
Noch vor der Jahrtausendwende war es eher dem Zufall überlassen, ob altlastverdächtige Müllhalden entdeckt wurden. Vor allem Bewohner machten meist auf zugeschüttete Stellen aufmerksam. Seit Inkrafttreten der Altlastenverordnung vor 20 Jahren ist die systematische Erfassung und Untersuchung von verdächtigen Flächen in Baden-Württemberg Aufgabe der Landratsämter. Die Analysen sind längst abgeschlossen, über viele Kippen ist Gras gewachsen. Doch Umweltschützer zweifeln, ob die erfolgten Untersuchungen ausreichen. Das gilt insbesondere für Standorte, wo bis heute nicht klar ist, was genau eingelagert wurde. So wie in der schwäbischen Gemeinde Dettingen an der Erms mit dem angrenzenden Wohngebiet Buchhalde, wo das junge Ehepaar sich ein Haus gekauft hat.
Auch Industriemüll wurde einfach verscharrt
Albrecht Arnold, Jahrgang 1944, ist das Gedächtnis der Gemeinde. Früher sprach man im Ort von Auffüllplätzen, sagt er. Und von diesen gab es einige in Dettingen:
"Ich weiß noch einen Auffüllplatz in der Nähe der Firma Danzer, Kieswerk, dann in der Buchhalde, dann später im Wachtertal, dann im unteren Ort, dort wo jetzt das Hochhaus steht."
Der studierte Grafiker schaut dabei auf alte schwarz-weiß Fotos an den Wänden des Dettinger Heimatmuseums. Arnold betreut das Museum schon seit vielen Jahren. Was in den Haushalten und Betrieben der Gegend nicht mehr gebraucht wurde, landete unsortiert auf der Müllhalde, sagt er.
"Also mir ist bekannt, dass von der Firma Lechler damals so Dichtungsabfälle, die ja mindestens Teile von Asbest enthielten, dass die auf der Deponie Wachtertal entsorgt wurden."
Der 75-Jährige legt alte Protokolle und Zeitungen auf den Tisch. Die Lokalzeitung, das "Metzinger Volksblatt", berichtete am 30. Juni 1973 aus einer Dettinger Gemeinderatssitzung:
"Die Gemeinde stellt ihren Müllplatz den Einwohnern und den Industriebetrieben zur Verfügung, damit sie dort auf eigene Kosten unter anderem Abfälle aus Produktions- und Handelsbetrieben sowie andere gewerbliche Abfälle, besonders sperrige Gegenstände sowie sonstige Abfälle und Stoffe abladen können."
Keine Hinweise auf Entsorgungsorte
Industriemüll konnte früher problemlos abgekippt werden. Doch gab es schon damals Zweifel. So fragte in der Gemeinderatssitzung im Sommer 1973 ein Gemeinderat nach, ob das Material des Autozulieferers Lechler denn Schwierigkeiten bereite. Der damalige Bürgermeister Rudolf Beutler verneinte das. In dem Artikel heißt es:
"Der Müll der Firma Lechler könne mit jedem anderen Kleinmüll verglichen werden. Er habe im Übrigen eine stabilisierende Funktion. So könne ohne ihn beispielsweise der Schlamm der Papierfabrik überhaupt nicht für die geordnete Deponie verwendet werden."
Problematischen Müll gibt es im Ermstal schon seit der Industrialisierung. Bereits 1860 wurde die Papierfabrik gegründet. Doch vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg boomte die Region regelrecht.
1964 die Lechler Elring Dichtungswerke KG wird gegründet. Bei den Dichtungswerken wird mit Asbest gearbeitet. Dass Asbest krebserregend ist, war damals noch nicht bekannt.
Im Nachbarort Urach entsteht ein weiteres Unternehmen der Firma Lechler. Die Lechler Bautenschutz Chemie. In diesem Betrieb kommt die hochreaktive Chemikalie Isocyanat zum Einsatz. Brennt Isocyanat, kann hochtoxische Blausäure entstehen. Bei der Entsorgung gilt der Stoff als gefährlicher Sonderabfall.
1968 beginnt die Firma uniplast knauer im Dettinger Industriegebiet mit der Herstellung von Trinkbechern. Als eines der ersten Unternehmen in Deutschland werden die Trinkbecher aus aufgeschäumtem Polystyrol hergestellt. Im Brandfall können gesundheitsschädliche Dämpfe entstehen.
Viele dieser Informationen finden sich in Archiven und auch auf den Seiten der Unternehmen im Internet. Doch nirgendwo finden sich konkrete Hinweise, wo der problematische Industriemüll damals gelandet ist. Auch Nachfragen bei den jeweiligen Unternehmen bringen keine neuen Erkenntnisse. Die Lechler Dichtungswerke gibt es nicht mehr, das Unternehmen ist heute Teil des Automobilzulieferers ElringKlinger in Dettingen Erms. Bei ElringKlinger ist man kooperativ, befragt ältere Lechler-Mitarbeiter und recherchiert in Archiven.

Doch es finden sich keine Hinweise auf mögliche Orte, wo der Industriemüll damals hingekommen sein könnte. Beim Becherhersteller uniplast, früher uniplast Knauer, gibt es auch keine Hinweise darauf, wohin der frühere Industriemüll entsorgt worden sein könnte.
26.03.2018, Baden-Württemberg, Dettingen an der Erms: "ElringKlinger" steht auf einer Wand auf dem Gelände des Autozulieferers. 
Der Autozulieferer ElringKlinger zeigt sich kooperativ, dennoch wird man nicht fündig. (dpa / picture alliance / Sina Schuldt)
"In den Auffüllplätzen", sagen ältere Dettinger nur. Aber was genau ist dort abgekippt worden?
"Alles Mögliche, vom ganzen Kreis. Das ist nicht nur Dettingen, sondern der ganze Kreis. Da hat es ab und zu gebrannt, die Feuerwehr ist oben gewesen.
"Der Auffüllplatz, da hat man alles hoch getan: Erdaushub, auch Autos."
Auf die Frage, wo der Industriemüll aus dem Ermstal gelandet ist, zeigt der ältere Herr in Richtung Ortsausgang:
"Der Dreck, der dorthin gekommen ist, da haben sie gemeint, der ist giftig, der ist aber nicht giftig gewesen."
Giftig oder nicht giftig? Darüber wurde in Dettingen immer wieder diskutiert. Über
Ein Wohngebiet zwischen zwei Müllhalden
9.000 Menschen wohnen in der Gemeinde Dettingen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Etwa ein Viertel der Dettinger lebt im Wohngebiet Buchhalde, das in den 1960er-Jahren zwischen den beiden Müllhalden entstanden ist: Auf der einen Seite die Mülldeponie Wachtertal, auf der anderen Seite eine Müllkippe, die von den Einheimischen "Kuhfriedhof" genannt wird.
Blick auf ein Gebäude der stillgelegten Deponie Wachtertal, Dettingen an der Erms in Baden-Württemberg. 
Die stillgelegte Mülldeponie Wachtertal in Dettingen (Uschi Götz)
Die Deponie Wachtertal liegt genau gegenüber dem Wohngebiet. Auf etwa elf Hektar wurden rund 850.000 Kubikmeter Industrie- und Hausmüll vergraben.
"Wir haben hier vorsorgend die Deponie nachzubetreuen. Deswegen dürfen wir es nie darauf ankommen lassen, bis irgendetwas kaputt ist, sondern müssen da auf Sicht fahren und dann auch rechtzeitig eingreifen."
Thomas Leichtle ist Geschäftsführer des Zweckverbands Abfallverwertung Reutlingen/Tübingen. Der Zweckverband überwacht die stillgelegten Deponien in den Landkreisen. Um das verunreinigte Abwasser aus dem Gelände abzuleiten, wurden schon Ende der 1970er-Jahre Rohre in die Deponie gelegt. Die alten PVC-Rohre wurden in den vergangenen Monaten ausgetauscht. Experten sprechen von Sickerwasser, das aus der Deponie durch weitere Rohre unter Obstbaumwiesen in die Kanalisation durchgeleitet wird. Das Sickerwasser von Wachtertal wird zweimal im Jahr nach Schadstoffen untersucht. Demnach geht die Verschmutzung langsam zurück.
"Die Kurve fällt, die flacht sich ab. Aber sie ist noch nicht so, dass man jetzt die Sickerwässer, zum Beispiel in einen Bach entlassen könnte. Da brauchen wir bestimmt noch lange Jahre."
Aber: Bei Analysen findet man in der Regel nur, wonach man sucht. Sucht man bei der Deponie Wachtertal das Richtige?
Thomas Leichtle zuckt mit den Schultern. Auch beim Zweckverband weiß man nicht, was in der Deponie alles abgekippt wurde. "Fragen Sie beim Landratsamt nach", empfiehlt er.
Hier ist Geduld angesagt. Nach den Worten eines Sprechers hat man dort "wochenlang in den Archiven nachgeschaut". Bis 1985 war der Landkreis Reutlingen für die Deponie zuständig, dann übernahm der Zweckverband das Gelände und schloss die Deponie zwei Jahre später. Im Landratsamt finden sich lediglich Rechnungen und Lieferscheine aus den 1980er-Jahren, allerdings geht daraus nicht hervor, ob Industriemüll abgekippt wurde.
Möglicherweise lägen dem Regierungspräsidium Tübingen weitere Informationen vor, heißt es von Seiten des Landratsamts. Das Regierungspräsidium antwortet innerhalb weniger Tage: Man könne dazu nichts sagen, das Landratsamt sei zuständig.
Spurensuche vor Ort
Was bleibt, ist die Spurensuche vor Ort. Doch ehemalige Gemeinderatsmitglieder können oder wollen sich nicht mehr erinnern.
Mittlerweile ist die Deponie Wachtertal mit Bäumen zugewachsen. Auf der früheren Müllkippe Kuhfriedhof ist zwischenzeitlich das Freizeitgelände Buchhalde entstanden. Im Winter fahren Kinder mit Schlitten den Berg hinunter, im Sommer wird im Grünen gegrillt, gleich daneben toben Kinder auf einem Spielplatz.
Dass unter der Freizeitanlage etwa 100.000 Kubikmeter mehr oder weniger verrotteter Müll liegen, wissen die Wenigsten. Denn bis 1975 wurden hier nicht nur verendete Tiere verscharrt.
Auch "aufgeschäumtes Zeug" in einer "übel riechenden Brühe", habe sich in der Grube gesammelt. So jedenfalls erzählen es die Älteren.

Diese Halde wurde Mitte der 1970er-Jahre zugeschüttet. Gleich danach ließen sich die Blumenmönche, eine christliche Lebensgemeinschaft, in der Wohnsiedlung Buchhalde nieder. Die Gemeinde verpachtete ihnen zwei große Grundstücke. Eines davon direkt neben der Müllkippe Kuhfriedhof: Von dem, was unter der Erde lagert, wussten sie damals nichts:
Der Blumenmönch Bruder Paidoios, Mitglied der Evangelischen Bruderschaft Kecharismai, in Dettingen an der Erms in Baden-Württemberg. 
Blumenmönch Bruder Paidoios (Uschi Götz)
"Die Gemeindeverwaltung hat es uns dann später augenzwinkernd verraten: Das war ehemals Auffüllplatz, Tierfriedhof, völlig verwildert. Als wir bei der Gemeinde angefragt haben, wir brauchen Gelände, wir wollen einen Garten anlegen, da war die Meinung: ‚Na ja, wenn es nichts wird, schon jetzt ist das Gelände verwüstet, dann macht es nichts aus'."
Erinnert sich Bruder Paidoios. Seine Gemeinschaft lebt bis heute vor allem vom Verkauf von Pflanzen und Blumen. Aus der ehemaligen Müllhalde am Hang sind mit den Jahren zwei große parkähnliche Gärten entstanden: Der Garten der Stille und der Garten Eden. Frei zugängliche Oasen für gestresste Menschen. Das Dettinger Gewerbegebiet liegt nur etwa 500 Meter weiter unten im Ermstal. Von dort unten soll ein Teil des Industriemülls bis Mitte der 1970er-Jahre hier oben entsorgt worden sein.
"Wir wussten, dass es so war, aber etwas Genaues hat man nie erfahren."
Der Mönch nimmt es gelassen. Auch die älteren unter den Dettinger Schützen kennen die stillgelegte Müllhalde Kuhfriedhof. Mitte der 80er-Jahr bezogen sie ihr neues Vereinsheim in direkter Nachbarschaft zum Garten der Stille, und am Fuße des Kuhfriedhofs. Lange hat man von der Müllhalde nichts bemerkt, seit einiger Zeit ist man aber beunruhigt, sagt Anton Jäger, Vorsitzender des Dettinger Schützenvereins:
"Auf unserer Schießanlage sind zwei Schächte, der obere und der untere Schacht. Und wenn viel Wasser kommt, fassen die Leitungen das Wasser wohl nicht und der obere Schacht läuft über. Das Wasser läuft dann auf der Oberfläche runter, zum unteren Schacht, und dort versickert es wieder."
Ein Gutachten bescheinigt Unbedenklichkeit
Allerdings ist das Wasser an mehreren Tagen nicht versickert. Dann läuft es den Hang hinunter oder bildet auf den Obstwiesen kleine Seen. Und nicht nur bei den Schützen. Auch im Garten der Stille fließt das Wasser bisweilen unkontrolliert den Berg hinunter. Im Rathaus gibt man Entwarnung: Ein Gutachten sei zu dem Ergebnis gekommen: alles unbedenklich.
Was in der Deponie lagere, ergebe sich aus der Untersuchung von vor zehn Jahren, erklärt Dettingens Bürgermeister Michael Hillert:
"Man hat damals eigentlich alles in diese Deponie hineingeworfen. Bezüglich der Gefährdung von Sickerwasser, also vom Grundwasser durch Versickerung oder von Oberflächenwasser wurde aber eine Detailuntersuchung angeordnet. Die kam dann im Jahr 2012, und bei diesen beiden Wirkungswegen wurde ebenfalls kein weiterer Handlungsbedarf festgestellt."
In Dettingen wurden auf der ehemaligen Müllhalde Kuhfriedhof beim Wohngebiet Buchhalde bei der ersten und einzigen Untersuchung zwei Grenzwerte überschritten: Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe, kurz PAK, und auch Ammonium lagen in erhöhter Konzentration vor.
Der erhöhte Ammonium-Gehalt weist in diesem Fall auf Hausmüll in der Kippe hin. PAK wiederum ist ein Zeichen dafür, dass Industrieabfälle im Erdreich zu vermuten sind. Mit Blick auf die untersuchten organischen Stoffe könne er dem Gutachten folgen, sagt Stefan Haderlein, Professor für Umweltmineralogie und Umweltchemie an der Universität Tübingen:
"Wenn es sich allerdings um einen Standort oder Ablagerung handelt, bei der man befürchten muss, dass ein großes Stoffspektrum auch von verschiedenen chemischen Betrieben dort abgelagert wurde, dann ist das Stoffspektrum, das in dem Gutachten untersucht wurde, oder auch beauftragt wurde, das weiß ich nicht, eben sehr eingeschränkt, zu eng."
Und deshalb müssten in solchen Fällen umfangreichere Untersuchungen stattfinden:
"Mindestens einige weitere, notorische grundwasserverunreinigende Substanzklassen, wie beispielsweise die halogenierten Chlorkohlenwasserstoffe, oder aber solche, die typisch sind für die Industrie in dem Umfeld dort, die hätten dann schon untersucht werden sollen."
Gemischte Deponien hätten ein Innenleben, erklärt der Wissenschaftler. Die Müllkippe verändere mit der Zeit ihre Eigenschaft, das Milieu:
"Es können sich die Bedingungen so weit ändern, dass entweder Behälter, die Stoffe möglicherweise enthalten, lecken. Und dann über die Zeit sich das Emissionsspektrum verändert. Es kann aber auch sein, und das ist nicht selten, dass Stoffe, die in der Deponie vorhanden sind, bei chemisch-biologischen Umweltbedingungen weiter reagieren und miteinander reagieren und neue Stoffe überhaupt erst entstehen."
Eine frühere Deponie oder Kippe nur einmal zu untersuchen, sei nicht nur im Fall Dettingen problematisch, sagt Haderlein:
"Besonders, wenn sich die Wasserwegsamkeiten ändern. Man muss dann schon mit der Zeit gucken, also Monitoring betreiben, inwieweit sich die Wasserzusammensetzung dann deutlich ändert vom Ausgangszustand."
Für die Gemeinde Dettingen nicht unbedeutend, da die Einwohner über zwei gemeindeeigene Brunnen mit Trinkwasser versorgt werden, auch wenn ihr Bürgermeister Entwarnung gibt:
"Die Grundwasserschöpfungen liegen auf der anderen Seite der Erms, also abgewandt von beiden Deponien, südlich der Erms."
Wissenschaftler Haderlein gibt zu bedenken, auch Spurenstoffe könnten mit dem Sickerwasser ins Trinkwasser gelangen. Bei den routinemäßigen Untersuchungen werde das mögliche Spektrum allerdings nicht erfasst:
"Ohne dass ich jetzt die genaue hydrogeologische Situation überhaupt kenne, aber falls Sickerwasser dort hingelangt, aus dieser Deponie und solche Spurenstoffe mit sich trägt, würde das nicht zwingend auffallen."
Wo Zweifel sind, empfehlen sich jedoch weitere Untersuchungen, sagt der Umweltsoziologe und Risikoforscher Ortwin Renn:
"Es ist nicht unbedingt wahrscheinlich, das sollte man auch deutlich sagen. Aber wir haben ja in Europa das Vorsorgeprinzip, das besagt, dass man im Zweifel lieber nochmal nachsehen sollte. Hier ist Sicherheit besser als reine Spekulation."