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Altmaier: Rederecht soll auch in Zukunft respektiert werden

Bei der Neuregelung des Rederechts hätte man stärker die öffentliche Debatte suchen müssen, räumt Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, ein. Deshalb sei die Debatte von anderen geführt worden. Entscheidend sei jedoch, dass die Parteien schnell auf den Widerstand reagiert hätten und eine Konsenslösung suchten.

Peter Altmaier im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.04.2012
    Friedbert Meurer: Die öffentliche Empörung hat Wirkung gezeigt, die Spitzen der Fraktionen haben den Plan einkassiert, das Rederecht der Abgeordneten neu zu regeln. Die Piraten aber haben neue Wahlkampfmunition bekommen. Das Presseecho war verheerend, von einem Maulkorb war da die Rede, der den Abgeordneten angelegt werden sollte. Und Klaus-Peter Willsch (CDU), Abweichler bei der Euro-Abstimmung, war bei uns gestern hier im Deutschlandfunk empört.

    O-Ton Klaus-Peter Willsch: "Die Fraktionsgeschäftsführer, die betrachten das Parlament so als Gegenstand ihrer eigenen Inszenierung, wo sie selbst Intendant sein wollen. Aber das ist nicht das Bild des Abgeordneten, das das Grundgesetz hinterlegt hat. Wir sind ja nicht in Weißrussland oder in Kuba."

    Meurer: Das Rederecht wird jetzt erst einmal nicht verändert, es wird neu nachgedacht. – In Berlin begrüße ich Peter Altmaier, den Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Altmaier.

    Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Wie fühlt sich das an, mit Fidel Castro und Alexander Lukaschenko verglichen zu werden?

    Altmaier: Ja, Gott, also wenn man in der Politik austeilen kann, dann muss man auch einstecken können. Die Debatte am Wochenende war sehr hitzig. Ich habe übrigens die Frage gestellt, was wir selber auch hätten anders machen können in dieser ganzen Debatte, und ich meine, nachdem der Geschäftsordnungsausschuss auf Wunsch aller fünf Fraktionen im Deutschen Bundestag sich mit dieser Frage beschäftigt hat, hätte man sicher auch und von sich aus, wir hätten von uns aus stärker die öffentliche Debatte suchen müssen zu diesem Thema, um klar zu machen, was war eigentlich intendiert. Wenn man das versäumt, dann muss man damit rechnen, dass die Debatte von anderen geführt wird, und dann werden sehr schnell Etiketten aufgeklebt, die müssen nicht stimmen. Aber es war, denke ich, schon sehr wichtig, dass wir als Parteien und Fraktionen schnell reagiert haben und dass wir gesagt haben, erstens es wird nicht durchgepeitscht, zweitens wir werden eine Regelung suchen, die von allen mitgetragen wird, und drittens – und das ist für mich der entscheidende Punkt -, dass wir sagen, das Rederecht der Abgeordneten als ein ganz zentrales demokratisches Recht soll auch in Zukunft respektiert werden.

    Meurer: Wie anders soll man das bezeichnen, Herr Altmaier, als Durchpeitschen, wenn schon am 26. April abgestimmt werden sollte?

    Altmaier: Nein. Es war so, dass der Ältestenrat bereits vor einem dreiviertel Jahr den Geschäftsordnungsausschuss gebeten hat, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Diesem Auftrag ist der Geschäftsordnungsausschuss nachgekommen. Er hat dann offenbar vor Ostern eine Einigung getroffen, die von drei Fraktionen, von der SPD, von CDU/CSU und FDP, mitgetragen worden ist. Und nun sehen die Regelungen ein bestimmtes Verfahren vor, bei allen Geschäftsordnungsänderungen ist das so. Aber wir hätten selbstverständlich auch ohne diese öffentliche Debatte über diese Fragen in der nächsten Sitzungswoche zunächst einmal in den Fraktionen diskutiert. Es hat nämlich einen Beschluss der Fraktionen als Fraktionen insgesamt darüber noch gar nicht gegeben.

    Meurer: Wenn Sie bestreiten, dass den Abgeordneten ein Maulkorb angelegt werden sollte, war dann die Zielrichtung, dass dem Bundestagspräsidenten Ketten angelegt werden sollen?

    Altmaier: Nein. Die Zielrichtung war, ein Problem, was es in den letzten 40 Jahren so nicht gegeben hat, auf eine vernünftige Weise zu lösen. Es ist nämlich so, dass nach der Geschäftsordnung es gar nicht vorkommt, dass irgendwo Rechte von denjenigen erwähnt werden, die sich um ein Rederecht bewerben, obwohl die Fraktionen ihnen keines zuerkennen. Die Geschäftsordnung geht davon aus, dass die Fraktionen das Rederecht sozusagen darüber entscheiden, wer aus ihren Reihen spricht. Es gibt ein Urteil aus Karlsruhe, das uns vor einigen Jahren dann auch gesagt hat, fraktionslose Abgeordnete, die keiner Fraktion angehören, die dürfen ebenfalls reden, und zwar in einem bestimmten Umfang. Das wird auch weiter passieren.

    Meurer: Wollen die Fraktionen diktieren, wer das Rederecht hat?

    Altmaier: Und hier ging es um die Frage, was geschieht denn, wenn sich jemand zu Wort meldet, der einer Fraktion angehört, aber von dieser Fraktion nicht berücksichtigt worden ist, und dazu gab es bisher überhaupt gar keine Regelungen und es gab den Versuch, das auf befriedigende Art und Weise zu lösen. Der Versuch war nicht zielführend, das muss man einräumen, und deshalb war es wichtig, dass wir die Debatte, glaube ich, zu einem Zeitpunkt beendet haben, wo auch noch glaubwürdig darzustellen war, es geht nicht um Maulkorb, es geht nicht darum, irgendwelche Rechte einzuschränken, sondern um einen vernünftigen Ausgleich zu finden.

    Meurer: Entschuldigung, Herr Altmaier! Ich darf mal die Passage vorlesen, damit unsere Hörer auch wissen, wie sie lautete. Der Geschäftsordnungsausschuss hatte vorgeschlagen, folgenden Satz einzufügen: "Abweichend von dieser Vereinbarung kann der Präsident des Bundestages im Benehmen mit den Fraktionen das Wort für drei Minuten erteilen." – Im Benehmen mit den Fraktionen – das ist doch eine Kette für den Bundestagspräsidenten.

    Altmaier: Nein, nein, um Gottes Willen! Sehen Sie, das ist die Debatte, die man dann am Wochenende sehr schwer beeinflussen kann. Benehmen sollte eben keine Kette sein, sondern nur dafür sorgen, dass die Fraktionen informiert sind. Der Hintergrund ist der: Als die Kollegen Willsch und Schäffler beim letzten Mal das Rederecht bekamen, hatten sich SPD und Grüne sehr darüber beklagt, dass damit CDU/CSU und FDP mehr Rederecht gehabt hätten als die Opposition, und deshalb haben wir gesagt, wenn solche Redeworterteilungen vorkommen, dann sollen die Fraktionen informiert sein. Das bedeutet aber nicht, dass sie zustimmen müssen. Benehmen ist nicht Einvernehmen.

    Meurer: Herr Altmaier, müssen Sie einräumen, dass diese Diskussion und dieser Vorgang sozusagen die perfekte Wahlkampfmunition den Piraten liefert?

    Altmaier: Ich glaube, dass das Thema Piraten von den sogenannten traditionellen Parteien lange unterschätzt worden ist. Wir haben eine Situation, dass weder SPD noch Grüne imstande waren, offenbar mit eigenen guten Konzepten das, was es bei jungen Menschen, bei vielen anderen gibt an Erwartungen an die Politik, aus der Opposition heraus zu bedienen. Nun ist eine neue Partei entstanden, der Geist ist aus der Flasche. Ich warne davor zu glauben, dass es sich bei den Piraten um ein nur vorübergehendes Phänomen handelt. Wir müssen das sehr ernst nehmen, wir müssen uns damit auseinandersetzen. Auch deshalb ist deutlich, dass die Parteien sich selbst von sich aus des Themas Transparenz und Partizipation annehmen, dass wir die neuen Medien ernst nehmen. Damit haben wir in der CDU bereits begonnen, vor vielen, vielen Monaten, und wir werden das auch in Zukunft weiterführen.

    Meurer: Die Piraten halten Transparenz und Beteiligung hoch, Demokratie 2.0. Müssen Sie sich da eine Scheibe abschneiden?

    Altmaier: Ich glaube, man kann zum einen von den Piraten durchaus lernen, wenn es darum geht, die neuen Möglichkeiten des Internets zu nutzen, um Menschen Beteiligungsmöglichkeiten zu geben. Die Bundesregierung tut das mit ihrem Bürgerdialog übrigens auch, und zwar mit sehr großem Erfolg. Wir müssen uns die Frage stellen, was wir weiter fortentwickeln können. Zum anderen aber ist es so, dass die Piraten es natürlich sehr leicht haben. Sie vertreten ein Prinzip, kein Programm. Die Piraten haben zu den allermeisten politisch-inhaltlichen Themen keine Position, das macht sie übrigens besonders attraktiv für viele Wähler, denn es bedeutet, dass sie eine Art Blackbox sind, eine Art Wunschliste, wo sich jeder das vorstellen kann, was er gerne möchte. Aber noch einmal: Ich glaube, dass es sich bei den Piraten um ein Phänomen handelt, das auch auf Defizite hinweist, und dass wir uns über diese Defizite Gedanken machen müssen.

    Meurer: Widerspricht es der Forderung nach Transparenz und Offenheit, Herr Altmaier, wenn gestern, wie geschehen bei Ihnen im CDU-Bundesvorstand, eine Abstimmung über das Betreuungsgeld unterdrückt wird?

    Altmaier: Ich war ja anwesend im CDU-Präsidium und auch zu Beginn der Bundesvorstandssitzung. Es ist dort nichts unterdrückt worden, sondern es war im Gegenteil so, dass am Wochenende der Vorwurf kam, es sollen Abstimmungen durchgepeitscht werden. Das eine war so wenig wahr wie das andere. Wir haben im Wahlprogramm, wir haben im Koalitionsvertrag, wir haben auch im Koalitionsausschuss klare Positionen zum Betreuungsgeld beschlossen und gestern ging es um einen Antrag zur Politik im ländlichen Raum. Dieser Antrag war insgesamt noch nicht entscheidungsreif und deshalb war das gestern eine erste Diskussion zu diesem Thema. Aber noch einmal: Zum Betreuungsgeld gibt es eine klare Positionierung der Bundestagsfraktion, der Partei und der Koalition, und aufgrund dieser klaren Positionierung werden wir jetzt einen Gesetzentwurf erarbeiten.

    Meurer: Ist diese klare Positionierung bindend für alle Bundestagsabgeordneten bei der CDU, wenn im Bundestag über das Betreuungsgeld abgestimmt wird?

    Altmaier: Nun möchten Sie natürlich gerne wieder eine Diskussion über das freie Mandat provozieren.

    Meurer: Genau richtig!

    Altmaier: Deshalb sage ich Ihnen, selbstverständlich haben wir wie bei allen Abstimmungen im Deutschen Bundestag das freie Mandat eines jeden Abgeordneten. Es gibt keine verbindlichen und bindenden Beschlüsse, von wem auch immer. Es gibt auch keine Maulkörbe. Aber eine Koalition und eine Regierungsfraktion sind nur dann erfolgreich, wenn sie sich ohne Zwang, sondern aus innerer Überzeugung auf gemeinsame Positionen einigen. Das ist uns bisher in allen Fragen der Politik in dieser Wahlperiode gelungen, und deshalb bin ich überzeugt, dass wir am Ende auch zum Betreuungsgeld eine klare, nachvollziehbare und überzeugende Position formulieren werden.

    Meurer: Sind diesmal die Schwierigkeiten besonders groß, eine Position zu finden beim Betreuungsgeld?

    Altmaier: Nun, es geht darum, dass von den Kritikern einige Fragen gestellt worden sind, wir haben diese Fragen zum Teil bereits im Beschluss des Koalitionsausschusses beantwortet, weil wir verhindern möchten, dass es zu Fehlanreizen kommt, weil wir verhindern möchten, dass Kinder nur deshalb nicht zur Betreuung gehen, damit das Betreuungsgeld bezahlt wird. Das alles wird in dem Gesetzentwurf, der in den nächsten Wochen und Monaten erarbeitet wird, berücksichtigt werden, davon gehe ich aus, und dann werden wir uns diesen Entwurf anschauen. Es gibt eine klare Beschlusslage und ich gehe davon aus, dass wir diese Beschlusslage auch umsetzen können.

    Meurer: Peter Altmaier, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Besten Dank, Herr Altmaier, und auf Wiederhören nach Berlin.

    Altmaier: Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.