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Altmeister am Werk

Claude Chabrol, der Apothekerssohn, Filmkritiker, Vordenker der Nouvelle Vague und Großmeister der Bourgeoisie-Verhöhnung, hat sein Opus Nummer 69 abgeschlossen: "Die zweigeteilte Frau".

Von Rüdiger Suchsland | 10.01.2008
    Ein berühmter und erfolgreicher Schriftsteller, ein verwöhnter Sohn aus allzu gutem Hause, eine hübsche, intelligente junge Frau - das ist die überaus explosive Kombination, die am Ausgangspunkt von Claude Chabrols neuestem Film, einem überaus Chabrol-typischen Gesellschaftsdrama, steht.

    Der deutsche Titel "Die zweigeteilte Frau" verrät schon das Naheliegende: Gabrielle, Wetterfee beim Regionalfernsehen im südfranzösischen Lyon, wird von zwei Männern zugleich umworben: In den alternden Schriftsteller, Charles Saint-Denis, der gut und gern ihr Vater sein könnte, verliebt sich das vaterlose Mädchen Hals über Kopf, aber er ist zu abgebrüht, zu erfahren, einfach zu alt, um den Überschwang angemessen zu erwidern, und lässt die junge Frau nach der ersten Nacht einfach sitzen.

    "Ich möchte Dich bei mir behalten."

    "Ich bin seit 30 Jahren verheiratet. Ich bin kein freier Mann. Vertrau mir Gabrielle, ich mache das zu Deinem Wohl."


    Der andere, der steinreiche Pharmazieerbe und Berufssohn Paul, ist ein Dandy, der Gabrielle zunächst vor allem begehrt, um dem Feind Saint-Denis eins auszuwischen. Damit ist er fast eine Figur aus dem 19. Jahrhundert. Dann allerdings - und auch diesen Twist kennt man nicht nur aus dem Leben, sondern auch aus Erzählungen von Maupassant, Baudelaire und Oscar Wilde - verliebt er sich wider Willen in Gabrielle, die ihm ihre Gesellschaft vor allem gönnt, um Charles eifersüchtig zu machen, und reagiert besitzergreifend:

    "Du liebst ihn noch. Ich ertrag es einfach nicht. Du weißt nicht, zu was ich fähig bin."

    Alle drei Zentralfiguren sind hochinteressant, und haben Abgründe gegen den das Rhonetal wirkt wie ein Sandkasten. Am normalsten erscheint noch der alte Großschriftsteller. Normal, nicht unbedingt sympathisch: Er ist eitel, kalt, bevorzugt Bordelle, schweren Wein und leichte Konversation.

    Der junge degenerierte Millionenerbe ist dagegen derart hyperaktiv, forsch und so plump, dass seine Unsicherheit mit Händen zu greifen ist, er aber dabei nicht den geringsten Charme entfaltet. Immer wieder benimmt sich Paul exzentrisch und in Gesellschaft daneben, kann seinen Hass auf Charles kaum unterdrücke, und ist womöglich einfach verrückt.

    "Die Realität? Die Realität? Die Realität!"

    Sie sind alle ein bisschen krank, die Menschen in Claude Chabrols Bourgeoisie. Und in deren Porträt ist der Regisseur ganz in seinem Element.

    Auch die bürgerliche Welt ist zweigeteilt zwischen Geist und Geld: auf der einen Seite das Milieu der Künstler und Intellektuellen, die erst im Scheinwerferlicht der medialen Öffentlichkeit so richtig aufleben, demgegenüber die lieber diskret im Hintergrund bleibenden Schwerreichen und Industriellen, das dumme Kapital, das sich nur durch Etikette noch zusammenhält.

    Und auch diesmal fehlen nicht die für diesen Regisseur so typischen Essenszenen, auch diesmal blickt Chabrol genüsslich auf hohlen Small Talk, verlogene Rituale und die gediegenen Inneneinrichtungen des Bürgertums, ihre Designerwohnungen, Fresstempel und Rosengärten, um danach auch die Interieurs ihrer Psyche zu sezieren

    Kein zweiter Regisseur kann das mit so viel Präzision und Understatement, wie Claude Chabrol, und Chabrols Filme sind von einer so unscheinbaren Souveränität und Eleganz, dass man erst wirklich begreifen wird, was man an ihnen hat, wenn es sie eines Tages nicht mehr gibt.

    Immer wieder trifft es einen beim Zusehen ins Mark, und das liegt außer an Chabrol auch an der großartigen Hauptdarstellerin: Ludovine Sagnier spielt Gabrielle, das kokette Naturkind, das durchs Leben klug wird, die libertäre, ganz gegenwärtige Lichtgestalt dieses Films. Ihr gilt unsere ganze Anteilnahme, und am Ende hat zumindest sie etwas erreicht, wenn auch unter hohen Opfern: Sie ist sie selbst.

    Chabrol beweist hier, dass er eben nicht nur der Porträtist der französischen Provinz und der Provinzialität des französischen Bürgertums ist, sondern auch immer wieder ein großer Frauenregisseur: Unter dem Klassenkampf liegt der Kampf der Geschlechter.

    In "Die zweigeteilte Frau" erzählt er, wie eine Frau an den männlich-patriarchalischen Verhältnissen von einer Romantikerin zur Realistin wird - der passende Film zum 100. Geburtstag von Simone de Beauvoir.

    "La Fille coupée en deux" heißt Chabrols Werk auf französisch, das ist viel besser als der unpräzise deutsche Titel. Denn geteilt wird hier gar nichts; "coupée" heißt schneiden. In einem Chabrol-Film, und das gehört zu den vielen Stärken dieses wahren Hitchcock-Erben, kann das nun alles bedeuten: Schizophrenie, ein Serienkiller oder ein Zaubertrick.