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Alvis Hermanis inszeniert "Hundeherz" in Zürich
Klamauk ohne Tief- und Hintersinn

Der aus Lettland stammende Regisseur Alvis Hermanis hat in Zürich mit "Hundeherz" Premiere gefeiert. In seiner Fassung von Michail Bulgakows scharfer Satire von 1925 wird das Stück zu einer Art russischen Version der "Väter der Klamotte".

Von Michael Laages | 27.01.2018
    Schauspielhaus in Zürich
    Schauspielhaus in Zürich (imago / CHROMORANGE)
    Was den Theatermacher womöglich wirklich interessiert haben mag an Bulgakows Roman, ist kaum auszumachen – abgesehen vielleicht vom etwas angestrengt herbeifantasierten virtuellen Auftritt von Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, Kampfname: Stalin, den Hermanis als besonders prominenten (und im Ernstfall politisch hilfreichen) Patienten versteckt hat im virtuellen Wartezimmer des Arztes Filipp Filippowitsch Preobrashenski, der zum Weihnachtsfest 1924 ein folgenschweres Experiment vom Zaun bricht – auf der Suche nach immer neuen Methoden und Mittelchen für die von ihm betriebenen Verjüngungskuren hat er einem räudigen Straßenköter wesentliche Teile eines Toten eingepflanzt.
    "Unter Chloroform-Narkose erfolgt das Abtrennen von Lumpis Hoden und Einpflanzen menschlicher Hoden, die einem vier Stunden und vier Minuten vorher verstorbenen 28-jährigen Mann gehörten. Direkt im Anschluss Trepanation der Schädeldecke, Entnahme der Hypophyse und Ersetzen derselben durch eine menschliche, von der oben genannten Person stammend."
    Wie Christus in der Weihnachtsnacht wird das neue Wesen im Labor "geboren".
    Uraltbackener Konservatismus
    Leider aber war der verstorbene Organspender ein stadtbekannter Alkoholiker und Krimineller; und prompt mutiert nun auch das bedauernswerte Hündchen zu einer einigermaßen widerwärtigen Ausgabe jenes "neuen Menschen", den ja die junge Sowjetmacht 1924 ganz oben auf der Liste der Weltverbesserungspläne führte. Weil dieser Hunde-Mensch (oder Menschen-Hund) zu proletarischer Existenz gelangt, Pass und Beruf bekommt und nun sogar seinen Schöpfer, den Herrn Professor, aus dessen großbürgerlicher Riesenwohnung zu vertreiben droht, muss er zum guten Ende rückoperiert werden – und wird wieder zum Schoß-Hündchen, das er vorher war.
    Auch nach 95 Jahren ist das unbedingt eine grandiose Fabel, irgendwo zwischen "Frankenstein" und Fausts Homunkulus angesiedelt, gewürzt mit gehöriger Skepsis, wie sie der Ukrainer Bulgakow empfand gegenüber den kommunistischen Versuchen in sozio-biologischer Weltbeglückung. Der gebürtige Russe Alexander Nitzberg hat sogar eine griffige neue Übersetzung gefertigt, aber was fängt Alvis Hermanis damit an, von der etwas flachen Stalin-Pointe mal abgesehen? Nichts von Belang – die Züricher Inszenierung legt einen uraltbackenen Konservatismus an den Tag, der dem Material allen Tief- und Hintersinn austreibt und nichts übrig lässt als eine Art russische Version der "Väter der Klamotte".
    Mühe gegeben hat sich eigentlich nur Fritz Fenne
    Hermanis pflegte schon immer Goldschnitt-Fantasien der extrem konservativen Sorte; und in den besten Fällen mauserten die sich zu handwerklichen Kunst- und Meisterstücken. Aber auch hinter sich selber bleibt der Regisseur in Zürich weit zurück – lässt zum Beispiel die Ausstatterin Kristine Jurjane ein Kulissengefüge aus hintereinander gestaffelten Gassen entwerfen, deren immens häufige und mühselige Umbauten zwischen oft bloß minutenkurzen Szenen jedes Mal wie Schlaftabletten wirken. Opernspezialist Hermanis stopft diese Kulissenschiebereien auch noch voll mit Verdi und "Aida"; weil – Donnerwetter! - auch der risikofreudige Professor in freien Stunden gern das Bolschoi-Theater besucht und Verdis All-time-Hit bevorzugt. Das ist aber auch schon der Gipfel dramaturgischer Finesse. In Erinnerung bleibt vielleicht auch die Haartracht des Assistenz-Chirurgen Iwan Arnoldowitsch Bormental – die sieht nämlich genau so aus wie bei Stan Laurel.
    Aber was neben diesem Perücken-Zitat auf Claudius Körbers Kopf etwa der unerhört bewährte Robert Hunger-Bühler als operationswütiger Professor an Belanglosigkeiten zusammen spielt, das geht auf keine Kuh-, Pardon: Hunde-Haut. Die schönste Nebenrolle, das Zimmermädchen Sina, ist in dieser Fassung gestrichen, das Bürgerkomitee der proletarischen Hausverwaltung ein Duo fahler Witzfiguren. Mühe gegeben hat sich eigentlich nur Fritz Fenne, der den Ex-Hund und werdenden Menschen mit einer großen Menge fahrig-forschender Gänge und Grimassen ausstattet und auch sehr vergnüglich Sprechen lernt:
    "tkram schif, tkram schif / 1. Januar 1925: Der Professor hat das Wort ‚tkram schif‘ entschlüsselt – rückwärts gesprochen, ergibt es ‚Fischmarkt‘."

    Selbst der Jubel am Ende aber war endenwollend – und die Erkenntnis setzte sich auch unter wirklich Wohlmeinenden durch, dass von Alvis Hermanis im Schauspiel wohl absehbar nichts mehr zu erwarten ist.