Donnerstag, 25. April 2024

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Am Ende der Flucht. Das Magische Labyrinth

Es ist nun gut ein Dreivierteljahrhundert her, dass Max Aub am 17.Juli 1936, gewissermaßen "stehenden Fußes" in Madrid vom Ausbruch des Bürgerkriegs überrascht wurde. Franco rebellierte gegen die dringend notwendigen Reformen in einem noch halbfeudalen Spanien, die eine demokratisch gewählten republikanischen Regierungin Gang gebracht hatte. Es war klar, dass Aub wie viele andere Intellektuelle sich auf die Seite der Volksfront schlug. Im Vorwort zu seinem Band gesammelter Theaterstücke schrieb er später den unerbittlichen Satz:

Hans-Jürgen Schmitt | 02.06.2002
    Wenn es einen spanischen Schriftsteller gibt, dessen Werk nicht auf den abscheulichen Krieg reagiert, der uns aufgezwungen wurde, ist er weder Schriftsteller noch Spanier.

    Aubs politisches Engagement kam nicht von ungefähr. 1929 war er in die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens, PSOE, eingetreten. Im September 1936, also bereits mitten in den Kriegswirren, leitete er sein Theater Búho in Valencia, wo er mehrere eigene und fremde Stücke zur Aufführung brachte. In seinem Tagebuch hält er 1964 fest:


    Während des Krieges habe ich keinen Schuß abgegeben. Meine Kurzsichtigkeit hatte mich daran gehindert, und so kämpfte ich an verschiedenen Fronten. Ich machte einen Film, hielt Reden, veranstaltete Ausstellungen und verschaffte Picasso den Auftrag für Guernica.

    Man muß sich immer wieder Max Aub mit seiner Geschichte selbst in Erinnerung rufen: den Republikaner und Theatermann, der wie wenige in seinem Zyklus "Das Magische Labyrinth" die Epoche des Spanischen Bürgerkriegs in einem großen Szenario bannte. Der V. Band, Am Ende der Flucht, klingt schon im Titel wie eine Etappe seiner so bizarren Vita: In Paris 1903 geboren, jüdischer Herkunft, der Vater Deutscher, die Mutter Französin. Zu Anfang des Ersten Weltkrieges Flucht der Familie nach Spanien wegen des in Frankreich aufkommenden Nationalismus. Aub wächst in Valencia auf, wird wie sein Vater Handelskaufmann.Für die junge Spanische Republik wird er Kulturattaché in Paris; 1939 beginnt die Jagd auf die antifaschistischen Flüchtlinge in Frankreich. Max Aub gerät durch Denunziation- er sei Kommunist - in die Fänge des Polizeiapparats. Im heute noch als Tennis-Mekka bekannten Stadion Roland Garros, wo jährlich die French Open stattfinden, wird Aub festgesetzt, dann 1939/40 im berüchtigten Konzentrationslager Le Vernet in Südfrankreich inhaftiert. Erst 1942 nach weiteren Lageraufenthalten, die ihn bis nach Nordafrika in das algerische Konzentrationslager Djelfa bringen, gelingt ihm die Ausreise nach Mexiko durch Vermittlung von John Dos Passos. Ein dreißig Jahre währendes Exil begann und endete nach Bericht seines Freund Luis Bunuel mit einem sanften Tod beim Kartenspiel 1972 in Mexiko-Stadt.

    Max Aub ist Erzähler und Dramatiker in einem. Seine Romane lesen sich wie Dramen, seine Theaterstücke sind zuweilen dramatische Erzählungen. Der "Große Spanische Bürgerkrieg", wie er ihn nennt, war schon für sich ein politisches Drama. Ohne Umschweife erzählt Aub im "Magischen Labyrinth" in einem Stil der oft an knappeste Theaterszenen oder auch Filmsequenzen erinnert. So besonders auch im jetzt erschienenen fünften Band Am Ende der Flucht, der von den ersten Szenen her sogleich das Drama der Besiegten spüren lässt:

    Katalonien,30.Januar 1939

    ALTER:(Zum Fahrer)Wie viele Kilometer sind es noch bis zur Grenze?

    FAHRER: Fünfzig und noch was.

    Menschengedränge um das Auto.

    EINE FRAU: Die Landstraße ist abgeschnitten...

    EINE ANDERE: Sie sind noch dort.

    FAHRER: Wo,dort?

    EIN SOLDAT: Sie sind in Rosas an Land gegangen.

    EIN ANDERER ALTER: Bei Puigcerdá, sagen sie...

    EIN KIND: Ich habe Hunger...

    Die Leute strömen weiter Hupen. Ein Alter sackt auf die Böschung nieder, sitzt und weint. Das Auto fährt weiter. Die Leute drängen in die entgegengesetzte Richtung, Es ist Tag geworden. Ein Gelähmter im Rollstuhl, den ein junges Mädchen schiebt; ein Kind, das eine Kiste hinter sich herzieht; zwei Alte; eine Frau mit einem Mädchen.Eine Familie; der Großvater, die Mutter, das Mädchen.

    GROSSVATER:Los...!

    MÄDCHEN: Wohin gehen wir...?

    GROSSVATER: Wo es keine Faschisten gibt...

    MÄDCHEN: Mama, wie leben denn die Faschisten?

    DIE MUTTER: Was meinst du?

    MÄDCHEN: In Höhlen...

    Die Szenen wie die Geschlagenen über die Pyrenäen nach Frankreich fliehen, sind nur der Auftakt einer schonungslos und unerbittlich geschilderten weiteren Etappe des Aubschen Infernos, das Chaos und Flucht, Verrat und Denunziation, Gefangenschaft und Tod heißt. Aubs Darstellung ist jedoch frei von jeglicher historischer Patina. Ihn interessieren die Schicksale der Menschen im Malstrom dieses Bürgkrieges, der von ihm als Fanal, als ahnungsvoll grausames Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg gedeutet wird: Ein an seinen Hörnern mit Pech beschmierter, brennender Stier rast durch ein Dorf bei Valencia -unauslöschliches Bild aus dem ersten Band. Dreitausend Seiten später, in Band sechs, endet Aubs schauriger Reigen in einem Konzentrationslager.

    Dramatik ist der Historie eingeschrieben und Dramatik ist zugleich ein Aub'sches Naturelement, das von Anfang an das ganze Werk nährt: den rasanten Erzählfluss, die schnelle Bilderabfolge, die aprupten Szenenwechsel, das wie zusammengewürfelte Figurengemisch.

    Diesen fünften Band seines Zyklus situiert ein von seinem Geburtsland Frankreich bitter enttäuschter Aub im vergifteten politischen Klima eines in Auflösung begriffenen demokratischen Systems. Es sind die Jahre 1939 und 1940, in dem die Grundwerte menschlicher Freiheit und Moral vom Gift des Faschismus bereits am Vorabend des deutschen Überfalls außer Kraft gesetzt sind. Aubs spanischer Originaltitel lautet übersetzt "Französisches Lager"; das Lager ist der tragische HauptSchauplatz des V. Bandes, dort treffen die Menschen aufeinander, die ausgegrenzt sind, womöglich eliminiert werden sollen: geflohene Republikaner, politische Gefangene, Akademiker, Stadtsreicher, gewöhnliche Kriminelle. Indem Aub sie zu Wort kommen lässt,-etliche wie den Professor Radványi, den Mann von Anna Seghers, hat er selbst erlebt- entsteht ein bewegendes, ein demprimierendes Bild des Übergangs in der Zeit zwischen der Niederlage der Republikaner und dem aufkommenden Faschismus.

    DER AUFGEBRACHTE JUDE:...Und jetzt in Frankreich; die Mehrzahl derjenigen, die sie festnehmen sind doch Juden. Wer hätte das gedacht? Eine linke Regierung...

    DER GELASSENE JUDE: Pah! Es ist immer so gewesen.

    DER AUFGEBRACHTE JUDE:Wieso immer?

    DER GELASSENE JUDE: Ja, immer haben sie uns überall rausgeworfen; sieh nur Adam und Eva...

    Der ÖSTERREICHISCHE ARISTOKRAT: Hier kann ich nicht wohnen.

    ProfessorRadványi tritt zu Professor Leslau.

    RADVANYI:Ich habe gehört, Sie sind Professor.

    LESLAU:Ja, für Sanskrit, am Seminar für Orientalistik an der Sorbonne.

    RADVANY: Radványi, Professor der Soziologie an der Universität Heidelberg.

    Nebendran Rodríguez und Vilanueva

    Wo hast du gedient?

    Villanueva: Im 46.

    RODRÍGUEZ: Mit Galán?

    VILLANUEVA:Ja.

    Nebedran der polnische Graf und Mantecon.

    POLNISCHER GRAF: Hier haben sie uns alle zusammengeworfen.Gauner und anständige Leute.(Zu Matecón)Und Sie? Was sind Sie?

    MATECON:Gauner. Nebendran Weissmann und Weindal.

    WEISSMANN:Ich habe ein Geschäft in der Rue Faubourg du Temple.

    WEINDAL: Und was haben Sie verkauft?

    WEISSMAN: Was heißt habe verkauft? Ich verkaufe Eisenwaren.

    PINTO: Ich habe eine Fleischerei am Boulevard Raspail; weil der Hausbesitzer den Laden haben will, hat er mich als Kommunisten denunziert. Ich war nie irgendwo dabei; bei den Linken, ja, aber auch nicht richtig."

    Jules und Jean Hoffmann, die beiden Hauptfiguren im großen menschlichen Drama, sind zwei in Frankreich lebende Brüder ungarischer Herkunft, aber staatenlos; sie werden von der Polizei verwechselt; der eine, Jules, ein unpolitischer Kleinbürger, mit Marie, seiner Frau, in Paris lebend, der andere, Jean, ist geschlagener Kämpfer des republikanischen Spaniens. In Frankreich war ,- wie heute wieder durch Le Pen und die Ultrarechte- Ausländerfeindlichkeit gut für poulitischen Stimmenefang. Max Aub, der sie am eigenen Leib erfuhr, zeigt, was mit Jules in den Händen der Polizei passiert.

    "BÜRO DES KOMMISSARS:

    KOMMISSAR: Wie viele?

    PIERRE:Dreiundsechzig.

    KOMMISSAR:Wie viele fehlen noch?

    PIERRE:Einhundertsiebenunddreißig. Zweihundert täglich, zehn Tage lang, dann hätten wir die zweitausend, die der Minister verlangt.

    KOMMISAR:Hast du die Liste?

    PIERRE:Ja, achtzehn fehlen noch.

    KOMMISSAR: Was hast du vor?

    PIERRE: An Ausländern fehlt es nie...Auf die Zahl kommt es an, nicht? Was machen wir mit diesem Hoffmann?

    KOMMISSAR:Hoffmann?

    PIERRE:Der, den sie an stelle seines Bruders hergeschafft haben.Dortliegt die Akte.

    KOMMISSAR:Woher ist er?

    PIERRE: Vom Mond.Er hat ein Radiogeschäft?

    KOMMISSAR: Ein Radiogeschäft?

    PIERRE:Ja.

    KOMMISSAR: Und er war schon einmal hier?

    PIERRE:Ja.

    KOMMISSAR: Behalt ihn.

    PIERRE: Einer weniger.

    KOMMISSAR: Einer mehr."

    Im zweiten, fünften und sechsten Band des Aubschen Zyklus wird die persönliche Geschichte zweier Liebender aufgenommen: die Story einer tragischen Liebe zwischen Vicente Dalmases, einem intellektuellen Kommunisten und Asunción Meliá, einer jungen, einfühlsamen wie entschiedenen Frau. Aber auch sie tauchen auf und verschwinden wieder im Chaos des Bürgerkriegs. Bis zu ihrem endgültigen schrecklichen Ende. Hier nun im Band "Am Ende der Flucht" verfährt Aub ähnlich:

    Jules und Marie sind ein junges Paar, das glaubt, sich an ihr privates Glück klammern zu können; doch ihre Geschichte verstrickt sie unausweichlich mit den politischen Verhältnissen.

    Eine Szene" Am Ufer der Seine. Nachts", ein Gespräch zwischen dem Spanienkämpfer Jean und Marie .Jean ist auf der Flucht heimlich nach Paris gekommen. Der Bruder Jules' ist längst in Haft. Jean wird sich der Polizei stellen - ohne dem Bruder helfen zu können.

    JEAN:Du willst die Realität nicht sehen.

    MARIE: Wenn du dich nicht hättest hinreißen lassen, wäre Jules nicht dort, wo er jetzt ist, und du wärest nicht auf der Flucht und kurz davor, wieder ins Lager zu kommen, oder ins Gefängnis.

    JEAN: Du willst also duldsam sein wie ein Schaf oder eine Pflanze? Willst du nicht deine Freiheit nützen?

    MARIE: Dazu nur soviel: Wie wir dran sind, du, Jules, ich, das nennst du die Freiheit schützen?

    JEAN:Erinnerst du dich, dass wir vor drei Jahren eine ähnliche Diskussion hatten?

    MARIE:Das war kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten; ich ging noch ins Mabillon. Wir saßen in einem Café am Trocadéro...Du hast am Bau des belgischen Pavillons gearbeitet.

    JEAN: Ich sagte dir, dass ich dich liebe...

    MARIE: Die Zeitungen sprachen vom bevorstehenden Fall von Madrid.

    Jean: Das noch über zwei Jahre Widerstand leistete...Am nächsten Tag ging ich fort...Du hast mich vor die Entscheidung gestellt, entweder du oder meine Pflicht. Sechs Monate später hast du Jules geheiratet.

    MARIE: Ich war dir nicht versprochen.

    JEAN: Ich werfe dir nichts vor. Jules...

    MARIE: Was hast du über deinen Bruder zu sagen?

    JEAN:Nichts. So blind wie du. Ich nehme an. Ihr seid sehr glücklich; ein Maulwurfsglück, das genügt euch offenbar.

    MARIE: Da kannst du sicher sein."

    Daß Jean sich freiwillig der Polizei stellt, ändert nichts an Jules Schicksal. Die Geschichte von Jules und seiner Frau Marie bildet den tristen Hintergrund des Geschehens. Jules und Maries Schicksal wird Teil der allgemeinen Tragik der Zeit. Früher als ihr Mann begreift Marie bei ihrem Suchen auf Polizeistationen und in Gefängnissen nach Jules, dass es nicht ein von den politischen Ereignissen abgelöstes häusliches Glück geben kann. Jules wiederum, der im Gegensatz zu Bruder Jean nichts von Einmischung in die Politik hält, steht durch die Lagererfahrungen als ein anderer, ein Erwachender - da:

    Ich habe blind gelebt. Nein, blind nicht. Aber mit einer großen Mauer vor den Augen. Vielleicht, weil ich immer in der Stadt gelebt habe und man an den Anblick von Stockwerk über Stockwerk gewöhnt ist: Verrußte, schmutzige Steine. Und Portiers und Straßenbahnen und Bankkassierer. Und am Ende glaubt man, dass es nichts gibt als Stockwerke und Straßenbahnen und Kassenzettel und Buchstaben und Rechnungen...Als ich hier ankam, habe ich euch alle mehr oder weniger für Gauner gehalten. Alles, was nicht mein Leben war, war für mich falsch; alles Heuchler, alle Beutelschneider...nach und nach habe ich gesehen, dass das nicht so ist. Ich habe gelernt, dass es eine Stimme in der Welt gibt, die dagegen kämpft, dass man mir wegnimmt, was ich hatte....Früher war Freiheit für mich ein Wort wie viele andere. Erst jetzt habe ich erfahren, was Freiheit ist, und das habe ich dort gelernt, wo es keine gibt...

    Das war zwar noch, wie Aub selbst im Vorwort gesteht, die moralisch-politische Botschaft der zwanziger und dreißiger Jahre - und hat doch in seiner Grundüberzeugung etwas überzeitlich Gültiges. Denn alle in diesem Drama sind Opfer, aber Jules und Marie sind gewissermaßen die vom Erzähler-Dramaturgen vorbestimmten, tragischen Gestalten der Geschichte. Denn die ihnen zugewachsene Einsicht und Courage retten sie nicht. Jules wird auf der Flucht erschossen, Marie doppelt hereingelegt, nachdem sie sich dem Feldwebel hingegen hat, um Jules' Flucht zu ermöglichen, verschwindet sie in den Lagern. Entstand schon im vorangegangenen Band "Die Stunde des Verrats" durch eine Fülle von miniaturhaften Steckbriefen, absurden Dialogen ein irrwitziges Romanpanorama, wird Jules und Jeans Schicksal mit einer Fülle von Personen verwoben, die am Vorabend der Besetzung Frankreichs in den französischen Lagern der polizeistaatlichen Willkür ausgesetzt sind, der Schikane, der Misshandlung, der Unterschlagung von Nahrungsmitteln - vor allem im Konzentrationslager Le Vernet.

    "Lagerleitung. Nacht.

    Der Hauptmann hinter seinem Tisch.Jules, strammstehend, ihm gegenüber.

    HAUPTMANN: Siehst du, wie gut die Polizei organisiert ist?Warst du nicht der, der aufgrund eines Irrtums hier ist?

    So hilfst du uns? Und jetzt kommst du für acht Tage in den Bunker, und dann wollen wir sehen, ob du deine Gedanken gut gegeneinander aufwiegst. Dann kannst du mir sagen, ob es dir gefällt.

    Eine Wand.Nacht.

    OBERSTLEUTNANT COMBS(Drischt mit der Reitpeitsche auf einen Häftling ein, der stürzt)Also du..Lern schon, lern!

    Combs tritt ihn.Ein Soldat bringt Jules. Combs blickt ihn an, lässt von seiner Beute ab.

    COMBS: Du bist also Revolutionär geworden?

    JULES: Ich bin kein Revolutionär, aber ich sehe...

    Combs fährt Jules mit der Reitpeitsche durchs Gesicht.

    COMBS: Also lern..."

    Dieser fünfte Band lebt aus seiner artistischen Vermischung der Gattungen, ist"verdichteter Roman" und "ausgeweitetes Theaterstück" in einem, wie Aub erklärt. In seinem aufschlussreichen, poetologischen Vorwort bezieht er sich auf sein Vorbild, den großen spanischen Realisten Benito Pérez Gáldos, der als erster von der Verschwisterung zwischen Theater und Roman sprach, genauer vom Erzählstil des "intensiven Romans oder des extensiven Dramas". Aub dazu 1964:

    Ich habe nicht unbedingt vor, der langen Serie meiner Erzählungen über den großen Spanischen Bürgerkrieg diese weitere hinzuzufügen, und wenn ich hier eine dem Drehbuch nahestehende Form benutze, dann nicht aus einer Laune heraus, sondern weil ich glaube, dass es bereits ein Publikum gibt, dem die Trennung von Bild und Dialog, auch auf einer Buchseite, es eher erleichtert denn erschwert, einer Geschichte klar zu folgen; dass sie selbst Geschichte ist, steht auf einem anderen Blatt. Durch die eingeschobenen Meldungen und Zeitungsschlagzeilen erübrigt sich alle Beschreibung historischer Ereignisse...

    In dreiundzwanzig Tagen Überfahrt, von Casablanca nach Veracruz im September 1942, habe ich "Am Ende der Flucht" geschrieben. Jede Szene, jedes Detail habe ich selbst erlebt; ... ich glaube dies sind die ersten in dieser Technik geschriebenen Erinnerungen. Zwei Jahre (1938 bis 1939), in denen ich in Kategorien des Kinos -L'Espoir - dachte, brachten mich ganz von selbst dazu. Dabei wechselte ich direkten Wegs vom Filmset ins Konzentrationslager...Ich war Auge, ich sah alles, was ich darbiete, aber ich stelle mich selbst nicht dar.

    Wenn Bertolt Brecht den epischen Erzähler für sein Theater erfand, so Aub den dramatischen Erzähler für seine Epik.

    Max Aub hatte fast zwei Jahre mit André Malraux an der Verfilmung von dessen Roman L'Espoir/Die Hoffnung gearbeitet und die Szenen für den Film, der dann "Sierra de Teruel" hieß, teilweise im umkämpften Barcelona gedreht. Daher die Kenntnis, Einsicht und Begeisterung des Theatermanns und Epikers Aub für eine neue, vom Film inspirierte dramatische Erzähltechnik. Entscheidend ist Aubs epische Komposition in ihrer Zusammensetzung aus einer sehr knappen, sehr kargen, jeder Theaterrhetorik sich entsagenden Sprache, die in ihrem bewegten Dialogspiel an den nüchternen Dramenstil Georg Büchners erinnert.

    Eigentlich müsste man auch bei uns inzwischen mit Selbstverständlichkeit, ja Enthusiasmus nicht nur unter Literaten und Kritikern von Max Aub reden können. Es liegt nun fast abgeschlossen eine von Albrecht Buschmann und Stefanie Gerhold wunderbar übersetzte und von Mercedes Figueras ausführlich kommentierte Ausgabe vor. Dazu gibt es eine hervorragende, auf CD's dramatisierte Hörfassung.

    Daß das Interesse an Spanien und seiner Geschichte inzwischen bei uns gewachsen ist, zeigt der Erfolg junger Autoren wie der von Julio Llamazares oder Rafael Chirbes über Bürgerkriegsthemen - die von Max Aub fasziniert, diesen ausdrücklich als Vorbild nennen. Am Ende der Flucht, dieser fünfte Band, offeriert sich in seiner episch-dramatischen Darstellung als ein beklemmend schön erzähltes Buch.

    Auch ohne dem noch ausstehenden sechsten Band vorzugreifen: Max Aubs" Magische Labyrinth" ist als Ouevre in seiner Gesamtheit, Spaniens Zauberberg-Roman. In ihm weitet sich der Bürgerkrieg zur großen, den Krieg transzendierenden Zeitmetapher; erzählt wird aus dem Blickwinkel derer, die die wirklichen Helden sind: die Besiegten.