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Am Golde hängt doch alles

Dabei sein ist alles? Von wegen: Die deutschen Sportreporter in London lassen eigentlich nur Edelmetall gelten. Die Entgleisung des ARD-Reitexperten - "seit 2008 wird zurückgeritten" - passt da in den Gesamtauftritt einer Zunft, die nur Sieger und Verlierer kennt.

Von Klaus Deuse | 04.08.2012
    Für die Übertragungsrechte der Olympischen Sommerspiele haben die deutschen Medien tief in die Tasche gegriffen. Und wie dankt es ihnen das deutsche Team? Drei Tage lang gab es nur über Enttäuschungen und Niederlagen zu berichten.

    "Die Wasserspringer blieben heute ohne Medaille, denn die Hoffnungsträger Patrick Hausching und Sascha Klein erwischten heute, wie man so schön sagt, einen gebrauchten Montag."

    Immer und immer wieder quälten sich die Berichterstatter und Experten mit der bohrenden Frage herum, warum die deutschen Schwimmer baden gingen oder die Schützen vorbei zielten. Man konnte fast den Eindruck gewinnen: Deutschland lag am Boden. Selbst im Internet geißelten Blogger drei Tage lang die saft- und kraftlosen Nieten. Kaum waren die geschlagenen Schwimmer aus dem Becken gestiegen, hielt ihnen ein fixer Reporter das Mikrophon unter die Nase und fragte: Woran es gelegen habe? Britta Steffens fand darauf die für sie passende Antwort:

    "Ich denke mal, dass ich auch nicht jünger werde. Ich bin fast 29. Ich weiß nicht, wann es das letzte Mal so eine alte Olympiasiegerin über 100 Meter Kraul gegeben hat. Vielleicht ist meine Zeit einfach vorbei."

    Doch dann platzte für die Berichterstatter Gott sei Dank der Knoten.

    "Heute war der Mittwoch mit den meisten Medaillen. Gut – es war erst eine."

    Medaillen sind für Medien nun einmal das Salz in der Übertragungssuppe. Und als es tatsächlich die heiß ersehnte Medaille für Deutschland gab, gerieten die überraschten Moderatoren schier aus der Fassung.

    "Aller guten Dinge sind drei. Und wenn es auch drei Tage sind. Am dritten Wettkampftag glänzt nun endlich die erste Medaille für das deutsche Olympiateam durch Silber von Britta Steffens, nein, Entschuldigung: Britta Heidemann. So war’s."

    Olympia 2012 – das sind die Spiele der Medien, bei denen die Athleten für Unterhaltung zu sorgen haben. Nie zuvor gab es ein derart erschlagendes Übertragungsangebot. ARD und ZDF senden täglich rund sieben Stunden aus London. Darüber hinaus bieten sie im Internet sechs Livestreams von jeweils rund 20 Stunden an. Nach Adam Riese könnte man täglich über 120 Stunden vor dem Bildschirm sitzen, was natürlich nicht geht. Aber wer soll das alles konsumieren? Nun muss man zugeben: Die Reporter versuchen ihr Bestes zu geben, um alles wirklich Wissenswerte zu vermitteln. So wie Katrin Müller Hohenstein im ZDF bei den Schwimmwettbewerben.

    "Britta Steffens erlebt hier in London übrigens eine Premiere. Es ist das erste Mal die ganze Familie dabei. Auch die Mama. Und die ist bestens gerüstet für den großen Tag. Schauen Sie mal, die hat sich richtig schick gemacht: Schwarz-Rot-Gold auf den Fingernägeln."

    Und wenn es einen Sieg wie den des Deutschland-Achters zu übertragen gilt, dann kennen Reporter kein Halten.

    "Ist das spannend. Der Deutschland-Achter hat sich wieder abgesetzt. Die Oberschenkel brennen jetzt wie Feuer. Der Körper will nicht mehr, aber Ihr müsst noch, Jungs. Das reicht: Goldmedaille für den Deutschland-Achter."

    Täglich sitzen zwischen 6,5 und 7,5 Millionen Deutsche stundenlang vor dem Bildschirm. Auch das ist eine sportliche Leistung, müssen sie dabei doch nervende Fragesteller, Experten-Kauderwelsch und Reporter verkraften, die eine Silbermedaille im Radfahren feiern, als wäre endlich der Euro gerettet. Apropos Medaillen und Informationsübersättigung: Auf seiner Internetseite präsentiert das ZDF auch einen Alternativen Medaillenspiegel. Dieser Wert drückt die Zahl der Medaillen pro Million Einwohner eines Landes aus. Auf Platz 1 liegt Slowenien, die Mongolei auf Rang 7 und Deutschland taucht erst an 24. Stelle auf. Aber wer will das überhaupt wissen?