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Am Missbrauch tariert sich die Freiheit aus

Mathias Döpfner, Vorstandschef des Axel-Springer-Verlags, versucht mit seinem kürzlich in Buchform erschienenen Essay "Die Freiheitsfalle"Gefahren zu beleuchten, die der Freiheit aus sich selbst heraus erwachsen können. Nämlich dann, wenn zur Verteidigung der Freiheit eben diese eingeschränkt werden soll.

Von Sabine Pamperrien | 09.01.2012
    Mathias Döpfner wäre nicht der erste Manager eines deutschen Großunternehmens, der mit populistischen Thesen Einfluss auf öffentliche Meinung und Politik nehmen will. Doch um es vorwegzunehmen: Neoliberales Sozialstaats-Bashing findet sich hier ebenso wenig wie alarmistische Polemik gegen den Islam. Daran, dass er die freiheitliche Demokratie für die moralisch überlegene Gesellschaftsform hält, lässt der Autor allerdings keinen Zweifel. Sein Bericht ist eine sehr persönliche Selbstverständigung über das, was Freiheit eigentlich bedeutet. Dabei geht es ihm nicht um den abstrakten Begriff, sondern um die ganz praktischen Manifestationen von Freiheit im gesellschaftlichen Alltag. Ihn interessieren besonders Gefährdungen der Freiheit, die aus ihr selbst heraus entstehen. "Die Freiheitsfalle" lautet daher auch der Titel seines Buches:

    Wie kann Freiheit, ein wunderbarer Wert, über den man sich freut und den man erstrebt, wie kann der eine Falle sein? Ich glaube, er kann zur Falle werden, insofern, als man, wenn man die Freiheit besitzt, glaubt, dass sie etwas Selbstverständliches ist.

    Diese erste Freiheitsfalle führt für Döpfner dazu, dass in Freiheit lebende Menschen die Bedrohungen durch totalitäre Ideologien wie den Islam unterschätzen. Vielen ist es gar nicht mehr bewusst, dass die Freiheit, einfach "Nein" sagen zu können, die Errungenschaft der Demokratie ist. Aber auch die notwendige Verteidigung der Freiheit hat für ihn durchaus ihre Tücken. Von der Reizfigur George Bush Junior schreibt Mathias Döpfner mit einiger Hochachtung. Für Döpfner hat der ehemalige US-Präsident die weltweite Bedrohung durch den Islamismus durchaus richtig eingeschätzt - und wurde trotzdem mit gewaltigen Fehlentscheidungen zum Verräter an der Freiheit, urteilt der Autor über Guantanamo und Abu Ghraib.

    Man kann nicht einerseits sagen, um die Freiheit zu schützen müssen wir foltern und Menschenrechte in eklatanter Weise verletzen. Man verrät dann im Grunde den moralischen Kern einer freiheitlichen Gesellschaft. Das ist, wenn man so will, ein tragischer Mechanismus, mit dem hier die Freiheitsfalle zugeschnappt ist.

    Die Freiheit sieht Mathias Döpfner auch durch den unkritischen Umgang mit China bedroht. In der bürgerlichen Mitte beginnen bereits hinter vorgehaltener Hand ernsthafte Diskussionen darüber, ob die Demokratie wirklich noch die optimale Gesellschaftsform im globalen Wettbewerb sei, kritisiert der Autor. Mit Chinas spektakulärem wirtschaftlichen Aufstieg ist für ihn eine hocheffiziente Alternative zum bewährten Modell einer demokratisch geordneten Marktwirtschaft entstanden. Dabei erscheint, so der Autor, totalitäre Marktwirtschaft schnell und effizient, freie Marktwirtschaft langsam und umständlich. Die Begeisterung des britischen Architekten Norman Foster etwa für die Schnelligkeit, mit der der Bau des Pekinger Flughafens realisiert wurde, kann Döpfner nicht teilen. Statt die Anwohner in das Bauvorhaben einzubeziehen, gibt er zu bedenken, kamen einfach Bagger und rissen störende Häuser ab.

    Ich finde es ein beklemmendes Phänomen, dass wir eben mit dieser Freiheitsvergessenheit, mit dieser fast naturgesetzlichen Sicherheit, mit der wir die Freiheit empfinden und als gegeben hinnehmen dann Systeme relativieren, die in scharfem Widerspruch zu unseren demokratischen auf der Respektierung von Menschenrechten basierenden freiheitlichen Gesellschaften stehen. Und eine solche Gesellschaft ist China. China ist eine totalitäre Gesellschaft. [ ... ] Ich habe in den vergangenen Monaten immer wieder in Gesprächen Andeutungen gehört, gerade auch aus der Wirtschaft, dass viele Leute sagen, na ja, unsere Demokratie kann auch nicht das Maß aller Dinge sein. Und wir sehen doch in China kann man doch auch mit einer etwas stringenter geführten Staatsform sehr viel mehr Autos verkaufen und größeren wirtschaftlichen Erfolg haben.

    Eine weitere Freiheitsfalle zeige sich am Bespiel der Finanzkrise. Die völlige Entfesselung im Bankwesen ist für den Autor ein "Exzess der Freiheit", also ein Missbrauch der Freiheit. Die gefährlichste Konsequenz daraus: Für Döpfner ist es die Diskreditierung der Marktwirtschaft und der Freiheit im Gesamten.

    Wir wissen nur, dass ein ganzes System außer Kontrolle geraten ist und dass es nicht nur um eine objektive materielle Finanzkrise geht. Sondern es geht auch um eine intellektuelle Krise des Kapitalismus, der Marktwirtschaft an sich. Wenn wir nicht aufpassen, wird bei dieser ganzen Finanzkrise die Marktwirtschaft, die ich immer noch von allen ungerechten Systemen für das Gerechteste halte, so beschädigt, dass wir es dann vielleicht wieder mit neuen, eben staatskapitalistischen oder planwirtschaftlichen Systemen versuchen.

    Die größte Gefährdung der Freiheit komme derzeit von ihren größten Verbündeten, den Kaufleuten, schreibt der Autor. Wenn Kaufleute nur noch Zocker sind, missbrauchen sie die Freiheit, kritisiert er. Diese sogenannten "Freiheitsmissbraucher" sind für ihn daher nicht mehr als Zitat:"nützliche Idioten" der "Freiheitsbeschränker". Das sind für Döpfner die Kräfte, die den Missbrauch der Freiheit als grundsätzliches Argument gegen die Demokratie benutzen und totalitäre Strukturen fördern. Missbrauch ist sogar ein wesentlicher Bestandteil der Freiheit, so der Autor. Am Missbrauch tariert sich die Freiheit aus.

    Freiheit ohne einen Hauch von Missbrauch oder Freiheit ohne das zu weit gehen gibt es nicht. Dann ist es keine Freiheit. Die perfekt balancierte, sozusagen staatlich kontrollierte Freiheit ist ja keine.

    Mathias Döpfner nähert sich seinem Gegenstand tastend. historisch, soziologisch, statistisch, stets abwägend und Verbindungslinien herstellend. Erhellend ist, wie der studierte Musikwissenschaftler in Exkursen in die Musik- Literatur- und Kunstgeschichte die politische Dimension auch der Freiheit in der Kunst ins Gedächtnis ruft. Patentlösungen wird man in diesem Buch allerdings vergeblich suchen. Das Zauberwort heißt "Balance". Dass der Autor am Anfang offen lässt, was Freiheit eigentlich ist, erweist sich als besondere Stärke des Buches. Im Lauf der Lektüre erschließt sich nämlich die Prozesshaftigkeit, die die Freiheit zum Antrieb der Demokratie macht. Mathias Döpfner gelingt es dabei wohltuend unangestrengt, Erwartungshaltungen der Leser zu unterlaufen. Schon das allein macht das Buch lesenswert.

    Mathias Döpfner:
    Die Freiheitsfalle: Ein Bericht. Propyläen, 256 Seiten, 18 Euro
    ISBN: 978-3-549-07372-8