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Am Puls der Revolution

Zeitgleich zur Revolution in Ägypten erschien das Buch "Im Taxi" des ägyptischen Schriftstellers Chalid al-Chamissi. Wer von den Ereignissen in Ägypten überrascht war, findet in dem Band jene Erklärungen, die in den Nachrichtensendungen meist ausgespart wurden.

Von Larissa Bender | 24.03.2011
    Das erlebt der kleine, in der Schweiz ansässige Lenos Verlag nicht alle Tage: Bereits bei Auslieferung ist das Buch "Im Taxi" des ägyptischen Schriftstellers Chalid al-Chamissi vergriffen. Kein Wunder, ist in dem kleinen Büchlein doch recht präzise nachzulesen, wie es zu der Revolte in Ägypten und der geglückten Absetzung des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak im Januar dieses Jahres kommen musste.

    Wie groß die Unzufriedenheit der Ägypter mit ihrem Präsidenten und vor allem mit dem ägyptischen Regime war, wie weit verbreitet die Armut, wie niedrig der Lebensstandard, all dies behandelt der Autor in 58 Gesprächen, die er über mehrere Jahre mit Taxifahrern aus Kairo geführt haben will.

    Ob sich die Gespräche in Wahrheit so abgespielt haben oder ob sie der Autor, seiner künstlerischen Berufung folgend "frei erfunden" hat, das spielt dabei keine Rolle. Tatsache ist: Sie könnten alle so stattgefunden haben, denn sie zeichnen ein authentisches Bild der ägyptischen Gesellschaft und Politik.

    Unterdrückung, Vetternwirtschaft, eine aufgeblähte Bürokratie, der Mangel an demokratischen Strukturen, verlogene Moralvorstellungen ..., unter all diesen Mängeln hatte und hat Ägypten zu leiden und all diese Punkte werden in den Gesprächen mit den Taxifahrern aufgegriffen. Die mitunter urkomischen Geschichten vermitteln dem Leser nicht nur ein höchst anschauliches Bild der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern stellen auch den hohen Grad der Politisierung der Bevölkerung und ihren Humor unter Beweis. Da klingt dann etwa so:

    "Kennen Sie schon diesen Witz? Einer ging durch die Wüste und fand Aladins Wunderlampe. Er rieb an ihr, da erschien der Geist und sagte: 'Zu deinen Diensten! Dein Wunsch ist mir Befehl!' Der Typ traute seinen Augen nicht, verlangte dann aber eine Million Pfund. Der Geist gab ihm eine halbe Million. Da fragte der Typ: 'Und wo ist die andere Hälfte, willst du mich betrügen?' Der Geist antwortete: 'Die Regierung ist mit fünfzig Prozent an der Lampe beteiligt.'"

    Die Polizei, die bei den Ägyptern besonders verhasst war und während der Revolution eine höchst unrühmliche Rolle spielte, kommt neben der korrupten Regierung besonders schlecht weg. Denn häufig sind es die Polizisten, die den Taxifahrern mit ihrer grenzenlosen Willkür das Leben zur Hölle machen.

    "Nehmen wir mal an, ein Polizist würde mich jetzt stoppen. Als Erstes würde er meinen Führerschein verlangen. Wenn der in Ordnung ist, würde er den Feuerlöscher sehen wollen. Ich würde ihn hervorholen, und dann würde es heißen, er sei leer oder zu alt oder zu weit weg platziert. Klar würde man nicht verstehen, woher der Polizist so genau weiß, dass der Feuerlöscher zu alt oder gar leer ist. Und wenn ich auch diese Hürde genommen hätte, würde er die ganzen Deko-Anhänger bemängeln. Die sind nämlich verboten, obwohl alle welche am Rückspiegel hängen haben. Wenn ich auch das überstanden hätte, würde der Polizist nach der Sicherheit und der Fahrtüchtigkeit meines Wagens fragen. Aber jedes Auto in Ägypten hat irgendwo eine kleine Delle. Kurz gesagt, er findet immer einen Vorwand, um mich festzunehmen, sogar wenn alles in Ordnung ist, ihm aber mein Gesicht nicht gefällt."

    Komisch und tragisch zugleich ist die Geschichte von der jungen Frau, die im Taxi die Komplettverschleierung gegen Minirock und High Heels tauscht. Dem verdutzten Taxifahrer gegenüber, der gar nicht weiß, wo er hinschauen soll, rechtfertigt sie sich, dass sie aus einem zutiefst konservativen Milieu stamme und das Haus nur voll verschleiert verlassen könne. Die Familie glaube zudem, sie arbeite in einem Krankenhaus, tatsächlich sei sie jedoch als Kellnerin tätig. Aber auch wenn sie mit diesem Job weitaus mehr Geld verdiene, gelte dies nicht als angesehene Arbeit.
    Immer wieder wird auch die dominante Rolle der USA angesprochen, die die Politik in Ägypten bestimmt und den Zorn der Menschen heraufbeschwört. Dem westlichen Leser sollte besonders die Geschichte des Taxifahrers zu Denken geben, der sich einmal vorstellt, wie es wäre, mit den USA die Rollen zu tauschen.

    "Wir könnten zum Beispiel fordern, die Wahlen in Amerika zu beobachten, weil wir nicht glauben, dass sie einwandfrei ablaufen. Wir würden also eine internationale Überwachung der Wahlurnen fordern. Das Recht dazu hätten wir, denn jedermann in Amerika und der ganzen Welt hat davon gesprochen, dass bei der Wahl von Busch geschummelt wurde und dass sein Bruder die Wahlen in seinem Staat gefälscht und ihm so zum Sieg verholfen hat. Wir würden sagen, wir müssten die Demokratie verteidigen und ägyptische Richter schicken, um sicherzustellen, dass der demokratische Prozess sauber abläuft. Wissen Sie, wenn wir das täten, würden sie endlich verstehen, was sie den Menschen antun."

    Fast prophetisch könnte man die Geschichte des Taxifahrers bezeichnen, der über das Gerücht spekuliert, die Regierung stecke hinter dem Terroranschlag von 2005 im bekannten Touristenmarkt Khan al-Khalili mitten in der Kairoer Altstadt. Dass der Fahrgast – Chalid al-Chamissi selbst – diese Vermutung als "Blödsinn, eine Pervertierung der Fakten und eine Frechheit" abtut, mag für die Zeit vor 2011 nicht verwundern. Tatsächlich aber wurden nach der Revolution brisante Geheimdokumente gesichtet, die mit großer Wahrscheinlichkeit belegen, dass die Regierung hinter den Anschlägen auf mehrere Hotels in Scharm el-Scheich mit über 80 Toten stecken soll. Der Grund: Der Sohn des Präsidenten wollte einen konkurrierenden Hotelbesitzer aus dem Weg schaffen.

    Im Original hat sich der Autor Chalid al-Chamissi nicht - wie üblich - des Hocharabischen bedient, sondern die Unterhaltungen im ägyptischen Dialekt geschrieben. Die Komik, die sie dabei entfalten, ist im Deutschen allerdings nicht immer nachvollziehbar. Insbesondere wenn Witze erst durch eine Fußnote erklärt werden müssen, weil auf Persönlichkeiten Bezug genommen wird, die dem deutschen Leser unbekannt sind. Die Übersetzerin Kristina Bergmann aber hat eine große Leistung vollbracht und sich für eine im Deutschen äquivalente und angenehm lesbare Sprache entschieden.

    Wer also Interesse an den Vorgängen in Ägypten hat und ein wenig mehr über die ägyptische Gesellschaft verstehen möchte, der sollte den Erzählungen der ägyptischen Taxifahrer lauschen. Denn so nah wird er der ägyptischen Gesellschaft in einem ägyptischen Urlaubsort nicht kommen, wie hier "Im Taxi".

    Chalid al-Chamissi: Im Taxi. Unterwegs in Kairo
    Aus dem Arabischen von Kristina Bergmann.
    Lenos Verlag, 187 Seiten, 19,90 Euro
    Cover Chalid al-Chamissi: "Im Taxi. Unterwegs in Kairo"
    Cover: "Im Taxi. Unterwegs in Kairo" (Lenos Verlag)