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Am Rande der Gesellschaft

Dass das Leben für junge Menschen in der Pubertät unheimlich aufregend wird und sich völlig neu ordnet, ist seit jeher kein Geheimnis. Was aber, wenn schon zu dieser Zeit die Liebe und die Leidenschaft durch körperliche Rohheit ersetzt werden? Wenn Freunde einen Wettbewerb um die Anzahl der Sexualpartner starten? Davon erzählt der Film "Little Thirtheen".

Von Johannes Nichelmann | 03.07.2012
    "Alle sagen, hier ist es scheiße. Jeder ist für sich. Aber ich will nicht weg von hier. Ich weiß, wie man hier glücklich wird."

    "Little Thirteen" ist die Geschichte der 13-jährigen Sarah, von ihrer besten Freundin Charly und von den Jungs. Sie leben in einer Trabantenstadt, am Rande von Berlin. Alle sind auf der Suche nach Zuneigung. Erlebt haben sie bisher nur Körperlichkeiten. Unverbindlich, schnell und unheimlich oft. Sex als Leistungssport. Sarah hat im Chat den 18-jährigen Lukas kennengelernt. Und diesmal scheint natürlich alles anders. Das erste Treffen.

    Sarah: "Das ist er jetzt aber. Macht mal jemand auf? Ist für mich. Doreen?"

    Doreen: "Jaha?"

    Lukas: "Hi."

    Doreen: "Hi, komm rin. Ach komm, lass an. Sarah ist noch sich frisch machen. Du bist also Sarahs neuer, ja?"

    Lukas: "Ja."

    Doreen: "Und was macht Ihr heute Abend?"

    Lukas: "Hm. Weiß nich. Party."

    Doreen: "Ich hab Dein Profil gesehen. Vorhin. Sarah hat's mir gezeigt. In echt bist ja noch ein bisschen hübscher."

    Doreen ist die Mutter von Sarah. Sie ist 29 Jahre alt und kann nicht glauben, dass auch sie alt wird. Mutter und Tochter teilen ihre Sexualität miteinander. Erzählen sich alles, schauen sich sogar gegenseitig zu. Grenzen gibt es nicht. Regisseur Christian Klandt erzählt da echte Geschichten, sagt er. Mehrere Jahre hat der 33-jährige für diesen Film recherchiert.

    "In erster Linie ging es darum, nicht angreifbar zu sein. Die Autorin, Catrin Lüth und ich hatten so ein Credo gehabt, wir sind die einzigen, die die Geschichte erzählen dürfen, weil wir uns auskennen. Wir kennen uns aus und wir wissen, über was wir erzählen und wir sind uns in jedem Detail auch sicher."

    Auf keinen Fall gehe es um die sogenannte "Generation Porno". Die Anfänge dieser Geschichten seien eh bekannt. Aber wie gehen die Biografien weiter?

    "Im Endeffekt geht es um die Verwahrlosung von Jugendlichen. Verwahrlosung in Anführungsstrichen."

    Filmausschnitt:

    "Ey, die hat schon geile Titten. Oder?"

    Klandt:

    "Verrohung von Sexualität. Sexualität nicht mehr als was romantisch-schönes."

    Sarah: "Findest Du mich nicht sexy?"

    Lukas: "Ich find Dich sexy."

    Sarah: "Aber?"

    Lukas: "Man muss nicht gleich beim ersten Mal rumvögeln, oder?"

    Sarah: "Sondern? Was willsten jezt machen?"

    Der Film spielt in den Plattenbauten von Berlin-Marzahn und tut es doch nicht. Es geht nicht nur um das Leben der Unterschicht - von der Masse belächelt und täglich im RTL-Vormittagsprogramm vorgeführt. Der Gymnasiast Lukas, von Sarah angehimmelt, will zwar nicht die schnelle Nummer beim ersten Date. Dafür verkauft er Pornos - selbst gedreht.

    Klandt:

    "Wir sind doch gar keine Familie, die bei RTL II Vormittags gezeigt wird. Wie kann das kommen? Wie kann das sein? Sind sehr schockiert. Das war auch wichtig in dem Film darzustellen. Es geht um drei Milieus."

    Der Film erzählt viele kleine und große Geschichten. Sehr genau zeichnet Klandt Gefühle und Sehnsüchte aller Figuren nach. Er forscht nach den Ursachen. Da ist der kleine Bruder von Sarahs Freundin Charly. Seine Mutter hat sich aufgegeben. Sein Vater darf nicht in die Wohnung und Charly selbst hat andere Probleme.

    Sachbearbeiterin: "Was ist mit der berufsvorbereitenden Maßnahme, die das Jobcenter angeboten hat?"

    Charly: "Geht nich."

    Sachbearbeiterin: "Geht nicht?"

    Charly: "Geht nicht. Und wieso nicht?"

    Charly: "Bin schwanger."

    Sachbearbeiterin: "Aha. Und da bist Du Dir ganz sicher?"

    Charly: "Wenn Sie einen Test wollen, kann ich gerne in Ihre Kaffeetasse pissen."

    Die Suche nach dem Vater beginnt.

    Nach dem viel beachteten Debüt "Weltstadt" hat Christian Klandt mit "Little Thirteen" jetzt seinen Diplomfilm abgedreht. Es ist der erste Abschlussfilm einer Filmhochschule, der von der mächtigen X-Film produziert wird. Sonst gehören Kassenschlager wie "Good bye Lenin" oder die Werke von Starregisseur Tom Tykwer in ihr Programm.

    Das Thema ist nicht neu. Die Geschichten sind schon oft erzählt worden. Und dennoch lohnt es sich hier hinzusehen. Klandt knallt uns seine Geschichten mit Wucht ins Gesicht. Soviel Genauigkeit kann weh tun.

    Klandt:

    #"Wenn der Film funktioniert und wir ihn zum Beispiel in solchen Brennpunkten zeigen und die Leute mich danach fragen 'Ja, wo ist die Geschichte? Was ist hier passiert? Du erzählst ja gar nichts neues.' Dann hat der Film funktioniert."