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Amazon-Pilot-Season
Der Zuschauer entscheidet, was in Serie geht

Amazon stellt Serienpiloten ins Netz, lässt sie von Usern bewerten und entscheidet daraufhin, ob sie in Serie gehen oder nicht. Seit Januar läuft bereits zum vierten Mal die Amazon-Pilot-Season. Neben britischen und US-Kunden dürfen erstmals auch deutsche abstimmen.

Von Hendrik Efert | 12.02.2015
    Vögel fliegen am 22.09.2014 über dem Handelszentrum des Versandhändler Amazon in Graben (Bayern).
    Vögel fliegen über den Versandhändler Amazon (dpa / picture alliance / Karl-Josef Hildenbrand)
    Die Bandbreite könnte größer nicht sein: Sowohl in Genreauswahl – es gibt Comedy, Drama, Dramedy, Zeitgenössisches, Historisches und sogar Dokumentarisches – als auch in inhaltlicher Qualität. Derzeit stehen alle Serien nur im Originalton zur Verfügung.
    "My father told me what is was like before the war. He said everyone was free."
    Das ganz große Kino auf dem kleinen Bildschirm bietet gleich die Alternativweltgeschichte "The Man in the High Castle": 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sind die USA unter den Siegern Japan und Deutschland aufgeteilt. New York liegt jetzt im Greater Nazi Reich, bezahlt wird mit Mark und begrüßt mit "Heil Hitler". Die Spannungen zwischen den Hegemonialmächten Deutschland und Japan nehmen jedoch zu und ein bevorstehender Tod Adolf Hitlers droht einen Dritten Weltkrieg auszulösen.
    "Then there would be war."
    "Once the Fuhrer dies – without question. And this city would be one of the first ones to be erased from the map."
    Akte-X-Autor Frank Spotnitz und Starregisseur Ridley Scott sind an der seriellen Roman-Adaption beteiligt. Zumindest die erste Folge ist fulminant erzählt, aufwendig ausgestattet, und zeigt starke, mehrdimensionale Charaktere, die vor große Aufgaben gestellt werden.
    "Welcome to Belize!"
    Im Auftakt zum schwarzhumorigen Drama "Mad Dogs" besuchen vier Mittvierziger ihren Kumpel auf seinem riesigen Anwesen im Dschungel von Belize - zunächst ein luxuriöser Partytrip, der sich im Laufe der 60 Minuten jedoch zum Höllentrip entwickelt, gespickt mit Lügen, Neid und einem Mord.
    "He is the Police!"
    "Put down the phone!!"
    "Lets go, lets just go!"
    "They will track us down!!!"
    Die Spannung steigt in dieser ersten Episode stetig an, allerdings wirkt die Geschichte dann auch so gut wie auserzählt – um über eine ganze Staffel zu tragen, wird sich der Stoff noch in ungeahnte Richtungen entwickeln müssen. Doch das britische Original bewies bereits, das 14 Folgen möglich sind. Toll ist, dass der frühere Sopranos-Star Michael Imperioli endlich mal wieder zu sehen ist.
    "Salem Rogers"
    Das ehemalige Supermodel Salem Rogers verlässt nach zehn Jahren eine noble Entzugsklinik. Ausgelassen, egozentrisch und völlig unselbstständig hängt sie sich sofort wieder an ihre ehemalige Assistentin Agatha. Doch die hat dazu so gar keine Lust.
    "Hey, no assistant of mine-"
    "I am not your assistant"
    Die Comedy "Salem Rogers: Model of the year 1998" bleibt auf allen Ebenen oberflächlich: Die Story ist abstrus: Wer bleibt zehn Jahre lang in einer Luxus-Reha? Die Gags zünden selten:
    "You act as if you are a famous supermodel."
    "I am a famous supermodel."
    "Exactly."
    Lediglich die Schauspieler überzeugen – allen voran Leslie Bibb als rüpeliges Ex-Model Salem und die aus Saturday Night Live bekannte Rachel Dratch als Agatha. Die Nebenrollen wurden zwar auch gut besetzt - doch auch ein Emmy-nominierter Schauspieler wie Harry Hamlin, bekannt aus Mad Men, kann nichts mehr richten, wenn seine Figur als Modelagent ausschließlich aus Klischees zusammengeschrieben wurde, inklusive Koksen im Büro.
    Interessant: Amazon bietet im Rahmen einer Crowdsourcingkampagne nicht nur allen Kunden Abstimmungsrechte über Neuproduktionen, sondern auch praktisch jedem die Möglichkeit, Serien- und auch Filmideen online einzureichen. Die dünne Model-Comedy ist aus diesem offenen Drehbuchverfahren entstanden.
    Amazon stellt damit die Branchenregeln Hollywoods extrem auf den Kopf: Dieses Vorgehen bricht mit den fest tradierten Verhandlungsroutinen zwischen Agenturen, Studios und Sendern.
    "Bei den Amazon Studios gehen wir einen neuen Weg im Entwicklungsprozess von Filmen."
    Aus einem Infovideo von Amazon Studios. "Drehbuchautoren reichen ihre Skripte bei uns nichtöffentlich ein oder öffentlich für Feedback aus der Community. Um einen Film richtig beurteilen zu können, sollte man ihn aber sehen, statt lesen. Deswegen drehen wir Testfilme und Serienpiloten, die dann von den Amazon Studios, der Community und richtigen Filmfans bewertet werden."
    Drehbuchautoren erhalten von Amazon festgelegte Tantiemen. Individuelle Verhandlungen finden nicht statt.
    Amazon ist die Firma, die Hollywood in nächster Zeit am nachhaltigsten verändern wird, sagen Branchenkenner. Kreative und Konsumenten profitieren derzeit vom neuen Geschäftsfeld des Onlineriesen als einen weiteren, sehr transparent agierenden Abnehmer, der gute Stoffe hochwertig realisiert. Was gerade durchaus positive Auswirkungen auf die Vielfalt im Genre hat. Doch ein Blick in die Buchwelt zeigt: Das kann sich schnell ändern.
    Sehen kann die Pilotfolgen jeder, auch ohne Prime-Zugang. Übrigens: Am 13.2 startet die hochgelobte Serie "Bosch" regulär bei Amazon, sie ist vor einem Jahr dem Publikum vorgestellt worden, und nun für Prime-Kunden empfangbar.