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Ameisen
Gemeinsam trägt sich's leichter

Ameisen sind in Staaten organisiert und teilen sich die Arbeit auf. Den schwersten Job haben die Arbeiterinnen: Sie sind unter anderem dafür zuständig, Futter ins Nest zu bringen. Wie sie Transport von Dingen organisieren, die um ein Vielfaches größer und schwerer sind als sie selbst, haben Forscher jetzt entdeckt.

Von Jochen Steiner | 29.07.2015
    Blattscheiderameisen transportieren kleine Stücke von Brombeerblättern in ihren Bau.
    Blattscheiderameisen transportieren kleine Stücke von Brombeerblättern in ihren Bau. (picture alliance / dpa)
    Ofer Feinerman ist Physiker und Mathematiker. Aber sein Traum war es schon immer, das Verhalten von Ameisen zu erforschen. Und genau das macht er nun schon seit ein paar Jahren. Die Idee zur aktuellen Studie kam aber nicht von ihm selbst. "Einer meiner Kollegen hat Katzen und einmal sah er, wie das Katzenfutter plötzlich von allein aus dem Fressnapf wanderte. Als er dann genauer hinsah, bemerkte er die Ameisen. Die waren winzig und die Futterstücke riesig. Mein Kollege hat das Ganze gefilmt und mir den Film am nächsten Tag gezeigt. Wir haben gemerkt, dass wir nicht genau verstehen, wie Ameisen Gegenstände gemeinsam tragen. Und da haben wir beschlossen, das zu untersuchen, und es hat uns die letzten vier Jahre beschäftigt."
    Der Forscher wollte herausbekommen, wie Ameisen Futterstücke, die bis zu 20.000 Mal schwerer sein können als sie selbst, im Team zum Nest transportieren. Neben Ameisen sei nämlich nur noch der Mensch zum gemeinschaftlichen Tragen fähig, so Ofer Feinerman.
    Er und sein Team filmten eine bestimmte Art der Schuppenameisen, die fast auf der ganzen Welt zu finden sind, in ihrem natürlichen Lebensraum. Sie sind bekannt dafür, große Gegenstände zusammen wegschleppen zu können. Die Wissenschaftler legten Katzenfutter in die Nähe der Ameisennester. "Mit der Kamera konnten wir sehr nah heranzoomen: Wir konnten die Futterstücke und jede einzelne Ameise, die mit dem Tragen beschäftigt war ganz genau sehen, und auch die Ameisen, die drum herum wuselten. Die Kamera fuhr auf Schienen und so konnten wir die Ameisen über weite Strecken hinweg filmen."
    Bei großen Dingen wird die Richtung korrigiert
    Bei der Auswertung des Materials stellten Feinerman und seine Kollegen fest, dass sich die Ameisen beim Tragen sehr kooperativ verhalten. Die Trägerameisen bündeln ihre Kräfte, die einzelne Ameise macht das, was die anderen auch machen - das Futterstück in eine Richtung ziehen und schleppen. So kommen sie schnell vorwärts. Aber wenn sich die ganze Träger-Gruppe konformistisch verhält, kann das auch nachteilig sein, zum Beispiel, wenn sie in eine falsche Richtung läuft, weg vom Nest. "Sie machen also einen Fehler, der keiner Trägerameise auffällt. Aber dann kommt eine Ameise von außerhalb, sie hält sich am Futterstück fest, zerrt daran und bewirkt eine signifikante Richtungsänderung hin zum Nest. Eine einzelne Ameise scheint dabei 15 andere umstimmen zu können. Das war verblüffend, das hatten wir nicht erwartet."
    Die wegweisende Ameise, die dazu stößt, zieht so lange in die Richtung, die sie für richtig hält, bis die anderen mitmachen. Da die Träger-Ameisen Konformisten sind, ziehen sie mit, so Feinerman. Aber es stecke auch etwas Individualismus in ihnen, denn nur so könne es der wegweisenden Ameise gelingen, die Lastenträger in eine neue Richtung zu lotsen. Ihre Annahme konnten die Forscher im Experiment überprüfen: "Wir haben die Größe der Futterstücke variiert. Ein überdimensionaler Gegenstand vergrößert den Gruppenzwang, alle Ameisen verhalten sich konformistisch. Bei sehr kleinen Stücken gibt es keinen Gruppenzwang und die Ameisen verhalten sich individualistisch."
    Bei kleinen Dingen zieht jede Ameise in eine andere Richtung
    Und in der Tat: Ließen die Wissenschaftler eine sehr große Ameisen-Gruppe einen überdimensionalen Gummiring von acht Zentimeter Durchmesser tragen, verhielten sich die Ameisen konformistisch, sie kamen schnell voran. Der Nachteil: Bei Problemen, in diesem Fall ein Hindernis, das den direkten Weg versperrte, ging es nicht weiter.
    Bei kleinen Objekten allerdings, die nur von zwei oder drei Ameisen getragen wurden, passierte das Gegenteil: Jede zerrte in eine andere Richtung und das Futterstück bewegte sich nicht vom Fleck. "Bei Objekten von etwa einem Zentimeter, das ist die normale Größe von Futterstücken bei diesen Ameisen, erhält man die perfekte Mischung: Die Ameisen tragen es zwar ein wenig im Zick-Zack, aber es geht voran. Und sie können einem Hindernis schnell ausweichen."
    Und zwar mit Hilfe der Lotsen-Ameisen, die alle fünf bis 20 Sekunden von außen dazu stoßen und die neue Richtung vorgeben. Wie Ofer Feinerman herausgefunden hat, liegt die ideale Gruppengröße für einen gelungenen Futtertransport bei dieser Schuppenameisenart bei 15 bis 20 Tieren.