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Amerika
Ein Nachlass und ein Geheimplan

Die US-amerikanische Historikerin Nancy MacLean hat im ungeordneten Nachlass des Ökonomen James McGill Buchanan eine mysteriöse Spur entdeckt: Offenbar hatte die amerikanische Rechte einst eine Art Geheimplan zur Unterminierung der Demokratie. In Ihrem Buch "Democracy in Chains" rekonstruiert die Autorin den Plan.

Von Martin Zähringer | 06.11.2017
    Das Buchcover "Democracy in chains" von Nancy Maclean, und als Hintergrundbild das Kapitol in Washington.
    Nancy MacLean beleuchtet in ihrem Buch besonders die enge Beziehung von neoliberaler Wirtschaftswissenschaft und Großkapital. (Buchcover: Scribe Publications, Hintergrundbild: dpa/Michael Reynolds)
    Das Buch von Nancy MacLean über den Geheimplan der amerikanischen Rechten ist ein Fakten-Roman: Alle Handlungen, Figuren und Schauplätze stammen aus dem wirklichen Leben. Wie im fiktionalen Roman gibt es einen Plot und eine Story. Der Plot hat zwei Hauptfiguren, einen Wissenschaftler und einen Unternehmer, die Story dagegen ist eine von der Autorin sorgsam rekonstruierte Ideengeschichte. Zu ihren Anfängen schreibt Nancy MacLean:
    "Jene, die heute den Angriff auf das politische System führen, sind Erben einer Reihe von Ideen, die fast zweihundert Jahre zurückreichen, als die Besitzenden die Demokratie angriffen. Ihr frühester zusammenhängender Ausdruck zeigte sich im Amerika der späten 1820er und 1830er Jahre in der Figur des John C. Calhoun aus South Carolina. Calhoun war ein so durchtriebener Stratege, dass der berühmte Historiker Richard Hofstadter ihn den Marx der Herrenklasse nannte."
    Verschwörungsplot
    John C. Calhoun verteidigte entschieden die Sklavenwirtschaft. Sie habe Amerika reich gemacht, sei eine Institution von gottgewollter Vorsehung - vom Evangelium sanktioniert und besonders vorteilhaft für die persönliche und nationale Freiheit.
    Um diesen Begriff von Freiheit kreist nun Nancy MacLean's ideengeschichtliche Analyse des rechtsradikalen Gedankengutes. In ihrer Lesart mündet die Entwicklung im 20. Jahrhundert in einen ideologischen Hauptsatz: Die Freiheit des Einzelnen - Liberty - steht immer über dem Staat und hat immer Vorrang vor kollektiven Interessen, der "collective order".
    Der titelgebende Verschwörungsplot beginnt mit der Mont Pelerin Gesellschaft, die sich selbst neoliberal nennt. Finanziert von einer rechten Stiftung, tauschten sich hier europäische Ökonomen wie F. A. Hayek und Ludwig van Mises mit amerikanischen Radikalliberalen wie Milton Friedman oder Frank Knight aus. Ihre verbindliche Agenda, wie MacLean sie beschreibt, war der Kampf gegen den Keynesianischen Wohlfahrtsstaat.
    Taktische Umdeutungen
    Und für diesen Kampf begeisterte sich besonders ein Amerikaner, der Ökonom James McGill Buchanan. 1986 erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis und wurde mit seiner Public Choice-Theorie weltberühmt. MacLean schildert, wie diese Theoretiker bestimmte taktische Umdeutungen vornahmen. So etwa mit dem Konzept des "rent-seeking", das eigentlich die Verwertung des abgeschöpften Mehrwertes bezeichnet:
    "Sie erklärten nun als ’rent-seeking’ auch jedes kollektive Bemühen von Bürgern oder öffentlichen Angestellten, die Regierung zu Steuerausgaben zu zwingen. Sie behaupteten außerdem, dass auch diese Individuen ausschließlich im Eigeninteresse handeln und nicht im Sinn des öffentlichen Wohls "
    Das "rent-seeking" sei also keineswegs der Egoismus gieriger Kapitalisten, die ohnehin wie jeder Mensch das verbriefte Recht haben, ihren Vorteil zu suchen. Es sei auch der grundlegende Antrieb von Politikern und Funktionären der sogenannten "collective order", die dem Gemeinwohl nur angeblich dienen. Auch ihnen ginge es in Wirklichkeit immer nur um ihre Karrieren und persönlichen Interessen.
    Daraus folgern Neoliberale: Karrieren im öffentlichen Dienst können sich nur erhalten, wenn sie mit Steuergeldern für gute Stimmung sorgen. Die "collective order" konsumiere aber nur Steuern, während die Unternehmer Steuern produzieren - und das sei nicht legitim, weil es das Recht auf unternehmerische Freiheit einschränke.
    Politische Landschaftspflege
    Dieses ideologische Konzept ist nun in Nancy Malans Fakten-Roman das entscheidende dramaturgische Bindeglied: Genau so eine Theorie, durch den Nobelpreis sanktioniert, habe nämlich der zweite Protagonist lange gesucht: Der amerikanische Öl-Milliardär Arthur Koch von Koch Industries. Koch Industries ist heute der zweitgrößte Konzern in den USA, in allen Zweigen der Ölverarbeitung und in der Finanzwirtschaft tätig.
    MacLean schreibt, Koch habe jahrzehntelang hunderte von Politikern und Akademikern gefördert, um die von ihm betriebene politische Landschaftspflege auf Niveau zu bringen, aber:
    "Nur Charles Buchanan hatte eine operative Strategie für eine radikal neue Gesellschaft entwickelt. Er wusste, dass die Mehrheit immer gegen die politische Vision von der absoluten Unternehmerfreiheit stimmen würde. Aber auch, was zu tun sei."
    Neoliberalismus und Großkapital
    MacLean beschreibt, wie das ökonomische Programm von James Buchanan und seiner Schule darum kreiste, diesen demographischen Machtfaktor durch Täuschung zu neutralisieren: Man sprach also immer von Reformen, während das verschleierte Fernziel die Abschaffung des Wohlfahrtstaates war. Das gefiel dem Milliardär Koch so gut, dass er 1997 das James Buchanan Center mit 10 Millionen US-Dollar finanzierte.
    Allerdings hatte Koch keine hehren wissenschaftlichen Ziele: Der Milliardär benutzte den Ruf des Nobelpreisträgers nur, um das Renommee seiner eigenen Klientel aufzuwerten: Das waren die im James Buchanan Center ausgebildeten Berater, die Koch über sein riesiges Lobbynetzwerk in entscheidende Schaltstellen der Macht einschleuste.
    Nancy MacLean beleuchtet in ihrem Buch besonders die enge Beziehung von neoliberaler Wirtschaftswissenschaft und Großkapital. Leider verwischt das "Storytelling" in diesem Sachbuch das Klarbild der Faktenlage, die Nancy MacLean selbst so aufwändig ermittelt hat.
    Empfehlenswert wäre eine weitere wichtige Komplementärlektüre: In ihrem neuen Buch "Dark Money" analysiert Jane Mayer die finanzielle Organisationsstruktur der Rechtsradikalen in Amerika.
    Nancy MacLean: Democracy in Chains. The Deep History of the Radical Right's Stealth Plan for America.
    Scribe Publications, 408 Seiten, 9,99 Euro.