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Amerikanische Rock- und Popmusiker gegen George Bush

Geradezu beschwörend klang Bruce Springsteen, als er am Montagabend in Washington kurz vor Mitternacht als letzter Künstler eines fünfeinhalb Stunden langen Konzerts auf die Bühne kam. Mit einem religiösen Bild stimmte er das Publikum auf einen Machtwechsel im Weißen Haus ein.

Von Michael Kleff | 16.10.2004
    Wir sind heute hier versammelt für eine klare Mission, mit einer eindeutigen Absicht: Wir Musiker haben uns aufgemacht, euch mitzunehmen bei einer Fahrt über den Fluss des Wechsels. Wir werden die andere Seite erreichen und im Wasser der Demokratie getauft werden.
    Mit von der Partie bei dieser Vote-for-Change-Tour waren neben Springsteen auch andere Musik-Veteranen wie John Mellencamp, Jackson Browne und Bonnie Raitt. Zu den weiteren Rock-Rebellen gehörten die Dave Mathews Band, Pearl Jam und R.E.M.. Die politischen Botschaften der Künstler erschöpften sich dabei nicht nur in allgemeinen Pathosformeln. Der Wunsch nach einem besseren Amerika ist groß. Bruce Springsteen formulierte seine Vision konkret so:

    Soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Umweltschutz, Mindestlohn - es gibt so viele Menschen, die selbst mit zwei Jobs nicht übe die Runden kommen - Respekt für Andere sowie Bescheidenheit bei der Ausübung von Macht in unserem Land und in der Welt.

    In den USA verträgt sich sozialkritische Sensibilität durchaus mit Patriotismus. Gemeinsinn als Seele der Nation - Das ist für deutsche Popmusiker ein kaum vorstellbares Bekenntnis. Doch wenn Bruce Springsteen die Nationalhymne anstimmt und in "Born in The USA" übergeht - seine eigene Hymne vom desillusionierten Vietnamheimkehrer - dann wird dieses Bekenntnis zur individuellen wie kollektiven Anklage gegen gesellschaftliche Missstände. Damit steht er ganz in der Tradition der amerikanischen Volkmusik, die Künstler wie Woody Guthrie und Pete Seeger ganz wesentlich vor ihm geprägt haben.

    Ich bin Patriot, sagt Michael Stipe von R.E.M.. Die Idee von Amerika ist etwas Großartiges, etwas, woran wir glauben können, etwas, nach dessen Grundsätzen wir leben müssen. Dazu gehört, einzugestehen, wenn mit der Regierung etwas nicht stimmt. Wenn etwas schief läuft. Und mit dieser Regierung läuft einiges ausgesprochen schief.
    Musik als Ausdrucksform oder als Begleiterscheinung von politischem Protest hat in der jüngsten amerikanischen Geschichte immer eine wichtige Rolle gespielt - die Bürgerrechtsbewegung und der Widerstand gegen den Vietnamkrieg sind nur zwei Beispiele dafür. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schienen jedoch selbst sonst nie auf den Mund gefallene Künstler sprachlos gewordenen zu sein. Michael Stipe spricht rückblickend von einer Zeit des großen Schweigens. Niemand habe sich getraut, seine Stimme zu erheben - und schon gar nicht, um der Regierung zu widersprechen.

    Es war eine Mischung aus Angst, Verärgerung und Kriegsneurose. Viele Menschen glaubten, sich um jeden Preis einig geben zu müssen. Dieses Gefühl ist jedoch nach Afghanistan und Irak für viele, so auch für mich verschwunden. An die Stelle des großen Schweigens ist für viele Amerikaner ein bewusstes Engagement getreten. Sie wollen öffentlich zum Ausdruck bringen, woran sie glauben und was sie wollen. Die Menschen haben keine Angst mehr, ihre Stimme zu erheben.

    Die Countryrockstars The Dixie Chicks mussten am eigenen Leib erfahren, was am Mythos vom freiesten Land der Welt wirklich dran ist: Als Sängerin Natalie Maines vor einem Jahr bei einem Konzert in London sagte, sie "schäme" sich, das der Präsident aus ihrem Heimatstaat Texas komme, brach zu Hause ein Sturm der Entrüstung unter den Fans des Trios los, die damals mehrheitlich konservativ waren. Mit spürbaren Folgen: Radiostationen spielten keine Dixie Chicks-Songs mehr und in einigen Städten wurden CDs der Band öffentlich zerstört. Bücherverbrennung a la USA!

    Immer wieder werde ich gefragt, ob ich zurücknehme, was ich gesagt habe; ob ich mich nicht dafür entschuldigen will. Ich habe darüber nachgedacht. Doch dann würde Bush mich als Flip-Flopper bezeichnen. Und ich weiß, er mag keine Flip-Flopper. Also bleibe ich dabei. Wir müssen den Cowboy-Wahnsinn beenden!

    Stephan Smith: Bush ist natürlich kein Cowboy. Bush hat ein Stück vom amerikanischen Traum gestohlen. Dem Mythos nach beschützt ein Cowboy die Schwachen. Es geht um das amerikanische Selbstverständnis, um die Frage, ob ein Cowboy angesichts von Korruption ehrlich bleibt oder jemand wird, der alles kaufen, die Wahrheit nach seinem Belieben verändern und die Menschen belügen kann, während er sie bestiehlt. Zu dieser Gruppe gehört Bush. Darum geht es mir in meinem Song "You Ain´t A Cowboy". Denn obwohl er es nicht ist, gibt sich Bush als einer von uns.
    Stephan Smith. Der New Yorker Singer/Songwriter und Aktivist stand nicht bei der Vote-for-Change-Tour nicht mit auf der Bühne. Doch Smith - von der New York Times mit Bob Dylan verglichen und von der Village Voice als wahrer Erbe von Woody Guthrie bezeichnet - gehört zu einer Gruppe von jungen engagierten Künstlern, die unermüdlich im ganzen Land für grundlegende politische und kulturelle Umwälzungen auftreten. Zu lange schon hätten die Menschen den Gang der Dinge den Politikern überlassen. Diesen Vorwurf erhebt auch Steve Earle. Er richtet ihn selbstkritisch vor allem an die aus den Sechzigerjahren kommende Generation.

    Wir haben den Vietnamkrieg beendet. Danach haben wir aufgehört, uns einzumischen. Wir haben Kinder bekommen und uns um unsere eigenen Sachen gekümmert. Wir haben darauf vertraut, dass die Demokratie von alleine lebt. Dabei haben wir Kinder erzogen, die mit Politik nichts zu tun haben. Schon allein deswegen nicht, weil sie gesehen haben, dass wir nichts tun. Dafür müssen wir die Verantwortung tragen. Das ist nicht ihre Schuld, sondern unsere.
    "Die Revolution beginnt jetzt”. Diese Aufforderung von Steve Earle zum persönlichen Engagement wird von der großen Mehrheit der Künstler- und Intellektuellenszene in den USA unterstützt. Kampf für ein anderes Amerika und gegen Bush - Das unterschreiben alle. Doch bei John Kerry scheiden sich die Geister.

    In einem Interview wurde ich gefragt, welchen Rat ich unentschlossenen Wählern gebe. Nun, jeder sollte sich die zwei Kandidaten genau anschauen - und sich dann für den Intelligenten der beiden entscheiden.
    Wenn James Taylor sich hier - ebenso wie Bruce Springsteen - für eine Unterstützung von John Kerry ausspricht, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach Ansicht vieler Musiker die Demokraten für keine grundsätzlich andere Politik als die der Republikaner stehen. Es überrascht daher kaum, dass einige Künstler der Vote-for-Change-Tour bei der Wahl vor vier Jahren den damaligen Kandidaten der Grünen, Ralph Nader, unterstützten. Als am vergangenen Montag zum Abschluss des Konzerts in Washington Musiker und Publikum gemeinsam die Hymne "People Have The Power" anstimmten, um damit John Kerry zum Hoffnungsträger für einen Wechsel zu küren, fiel auf, dass die Verfasserin des Songs nicht auf der Bühne stand: Patti Smith. Die 57 Jahre alte Rocksängerin setzt sich auch dieses Mal für die Politik von Ralph Nader ein.