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Gespräche zur Regierungsbildung
"Wir müssen ernsthaft ausloten, ob eine Große Koalition möglich ist"

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hat die Sozialdemokraten zu Koalitionsverhandlungen aufgerufen. Man habe den Wählerauftrag, eine stabile Regierung zu bilden, sagte die CDU-Politikerin im Dlf. Nach dem Scheitern von Jamaika müsse man die zweite Möglichkeit ausloten: ein Große Koalition.

Annegret Kramp-Karrenbauer im Gespräch mit Silvia Engels | 30.11.2017
    Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer am Rednerpult
    Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
    Silvia Engels: Erst zehn Tage ist es her, dass in Berlin die Sondierungen über eine Jamaika-Koalition platzten. Gefühlt ist für die SPD aber deutlich mehr Zeit vergangen, denn sie musste seitdem politisch einen weiten Weg zurücklegen: von der einhelligen Ablehnung der Neuauflage einer Großen Koalition bis zum heutigen Stand, dass man mit der Union zumindest alles besprechen kann. - Heute trifft sich Parteichef Schulz mit den Unions-Vorsitzenden Merkel und Seehofer beim Bundespräsidenten.
    Am Telefon ist nun Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie ist Ministerpräsidentin des Saarlandes, gehört der CDU an, gilt als Vertraute von Bundeskanzlerin Merkel. Und sie regiert mit der SPD in Saarbrücken, also in einer Großen Koalition. Guten Morgen, Frau Kramp-Karrenbauer.
    Annegret Kramp-Karrenbauer: Hallo! - Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Können Sie die Entrüstung der Sozialdemokraten nach dem Verstoß von Landwirtschaftsminister Schmidt gegen die Geschäftsordnung der Bundesregierung im Fall Glyphosat verstehen?
    Kramp-Karrenbauer: Ich kann verstehen, dass innerhalb einer Regierung, wenn sich Mitglieder dieser Regierung nicht an eine Grundlage, an eine Geschäftsordnung halten, es entsprechende Diskussionen und Reaktionen gibt. Dass die im Moment so ausfallen, wie sie ausfallen, hat sicherlich auch etwas mit der besonderen Lage auch der SPD im Vorfeld von möglichen Sondierungs- und Koalitionsgesprächen zu tun.
    "Es sind erwachsene Menschen in dieser Regierung"
    Engels: Aber bleiben wir bei diesem Beispiel. Wie würden Sie als Regierungschefin im Saarland reagieren, wenn in Ihrem Kabinett ein Minister gegen eine klare Koalitionsabsprache verstoßen würde? - Entlassung?
    Kramp-Karrenbauer: Im saarländischen Kabinett wäre es erst mal so, dass ich mich mit den betroffenen Kollegen an einen Tisch setze, die Dinge aufgearbeitet werden und wir dann schauen, dass wir gemeinsam die gute Arbeitsgrundlage fortsetzen können. Ich halte wenig davon, dass jetzt öffentliche Satisfaktionen gefordert werden. Ich glaube, hier ist auch eine gewisse Dramatik bewusst mit gesucht von Seiten des Koalitionspartners. Insofern: Es sind erwachsene Menschen in dieser Regierung und die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass dieser Konflikt beigelegt wird, und das sollten vor allen Dingen die beiden hauptbetroffenen Minister tun.
    Engels: Es ist ja nicht nur die SPD, die da weiter Öl ins Feuer gegossen hat; auch die CSU-Spitze in Form von Generalsekretär Scheuer und Parteichef Seehofer. Sie sind Schmidt beigesprungen, obwohl die Kanzlerin ja Schmidt zuvor deutlich gerügt hat. Kann sich eine Kanzlerin das bieten lassen?
    Kramp-Karrenbauer: Sie ist Regierungschefin. Sie hat klar darauf hingewiesen, wie die Geschäftsgrundlage ist, und ich gehe davon aus, dass das auch noch mal besprochen wird. Dass die CSU - das ist im Übrigen ja eine gut eingeübte Tradition bei der CSU -, insbesondere wenn ihre Minister angegriffen werden, denen auch zur Seite springt, ist nichts Neues. Ich glaube, da muss man die Parteiebene noch einmal unterscheiden von dem, was innerhalb einer Regierung zu regeln ist.
    Und ehrlich gesagt: Ich glaube, dass Deutschland im Moment auch wirklich ein größeres Problem hat, als über die Frage zu streiten, wie in einem solchen Fall welche Art von Satisfaktion jetzt angebracht ist.
    Engels: Wie sehr das in diesem Fall Glyphosat angemessen ist, darüber kann man in der Tat diskutieren. Aber es gab ja auch schon andere Vorfälle, wo Seehofer einmal einer Entlassung eines CSU-Ministers zugestimmt hat. Hier ist das nun nicht der Fall. Ist die Kanzlerin auch indirekt durch den Machtkampf in der CSU im Moment belastet?
    Kramp-Karrenbauer: Nein. Damals bei dem Fall, den Sie eben angesprochen haben, hatte das einen ganz anderen Hintergrund. Es ging um ganz andere juristische Fragen, um ein anderes Verhalten, und insofern war das damals auch ein einhelliger Beschluss.
    Ich kann nur noch mal sagen: Es gibt Geschäftsordnungen, das muss besprochen werden. Im Übrigen haben wir hier in der Großen Koalition mit einem SPD-Umweltminister eine sehr pragmatische, eine sehr gute Art und Weise gefunden, wie wir auf der einen Seite den Bedürfnissen der Landwirtschaft gerecht werden und auf der anderen Seite trotzdem alles daran setzen, den Einsatz von Glyphosat zurückzufahren und zu verhindern. Da gibt es schon Wege, die werden in den Ländern praktiziert. Vielleicht sollten die beiden betroffenen Minister sich das einmal anschauen.
    "Wir sehen uns in der Verantwortung, eine stabile Regierung für Deutschland zu bilden"
    Engels: Dann bleiben wir kurz auf der Sachebene. Die SPD verlangt eine vertrauensbildende Maßnahme von Angela Merkel. Wäre darin eine Idee zu finden, Glyphosat schnell auf nationaler Ebene zu verbieten?
    Kramp-Karrenbauer: Es gibt Wege, wie man mit Glyphosat und dem Einsatz von Glyphosat wie gesagt intelligent umgehen kann, wie man es reduzieren kann. Das wird im Saarland, das wird sicherlich auch in anderen Bundesländern praktiziert. Aber diese Forderung generell nach vertrauensbildenden Maßnahmen, diese Haltung der SPD, jetzt ist es Glyphosat, in den vergangenen Tagen war es die Bürgerversicherung oder andere Themen, immer wieder rote Linien oder Hürden zu definieren, das hat vor allem etwas damit zu tun, dass die SPD sich selbst nach der Wahl direkt, aber auch nach dem Scheitern von Jamaika ganz fest in die Oppositionsrolle definiert und verankert hat und es jetzt für sie natürlich kein einfacher Weg ist, aus dieser Festlegung heraus in eine Regierungsverantwortung wieder zu kommen.
    Engels: Sie sprechen die SPD an. Aber schauen wir noch einmal auf Angela Merkel, auch heute Abend in dem Gespräch. Sie kennen sie ja gut. Wie geht sie auf der einen Seite damit um, diese geschwächte SPD jetzt zu haben, und auf der anderen Seite ja durch Glyphosat auch einen Angriff auf ihre Autorität erlebt zu haben?
    Kramp-Karrenbauer: Sie hat sehr deutlich gemacht - das ist im Übrigen das, was wir im Präsidium und im Bundesvorstand der CDU festgelegt haben -, dass wir diese Gespräche nicht irgendwie pro forma führen. Wir sehen uns in der Verantwortung, eine stabile Regierung für Deutschland zu bilden. Das war unsere Verantwortung und unsere Zielsetzung auch bei Jamaika; das ist sie jetzt auch bei einer möglichen Großen Koalition.
    Und unsere Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass das nicht irgendeine Regierung wird, sondern dass es ein wirkliches Zukunftsbündnis wird. Um diese Fragen geht es und es geht darum, wie man gemeinsam auf Augenhöhe regiert. Das war in den letzten Jahren der Fall. Ich glaube, dass die SPD - sie hat es zumindest bis kurz vor der Wahl ja immer selbst auch betont - in einer Regierung war, in der sie vieles von ihrer Programmatik mit durchsetzen konnte.
    Insofern glaube ich, wenn man einmal die Rhetorik des Wahlkampfes abzieht, dann hat die SPD auch in der letzten Regierung durchaus ihre Handschrift gezeigt. Und wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht, dann ist die SPD herzlich eingeladen und aufgefordert, alle ihre Zukunftsideen in eine solche Regierung mit einzubringen.
    Engels: Aus dem höre ich heraus, dass Sie von Minderheitsregierungen mit Tolerierung durch die SPD nichts halten, auch von irgendwelchen Kooperationsmodellen, sondern knallhart auf eine Neuauflage der Großen Koalition hinaus wollen?
    Kramp-Karrenbauer: Die Wählerinnen und Wähler haben entschieden und sie haben entschieden, damit es in Deutschland eine stabile Regierung gibt. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Jamaika oder eine Große Koalition. Die Jamaika-Sondierungen sind gescheitert. Wir müssen jetzt ernsthaft ausloten, ob eine Große Koalition möglich ist.
    Es muss in der Sache eine Koalition für die Zukunft sein. Sie muss die Fragen für Europa beantworten, sie muss die Frage von Migration und Integration beantworten, sie muss die Frage beantworten, wie wir weiter wirtschaftlich stark bleiben, und vor allen Dingen, wie wir durch eine Stärkung der Bildung dafür sorgen, dass die Menschen an diesem erarbeiteten Wohlstand auch in einer digitalisierten Welt profitieren können. Das sind die Aufgaben und denen kann man am besten in einer stabilen Regierung gerecht werden.
    Engels: Eine Minderheitsregierung schließen Sie demnach aus?
    Kramp-Karrenbauer: Eine Minderheitenregierung hat immer das Problem, dass sie in jedem einzelnen Thema noch einmal aushandeln muss. Das verstärkt den Eindruck, dass in der Politik vor allen Dingen es darum geht, irgendwelche Handel miteinander abzuschließen. Und mir ist noch nicht ganz erklärlich, warum es für die SPD leichter sein soll, in der Partei zu erklären, dass sie eine Regierungspolitik aus einer Minderheit heraus unterstützt, aber nicht in ein festes Bündnis geht. Ich glaube, das hat eher was mit innerparteilichen Befindlichkeiten zu tun.
    Engels: Innerparteiliche Befindlichkeit. - Aber wenn die SPD-Basis abstimmt und die Mehrheiten gegen eine Große Koalition stehen, was dann? Dann Neuwahlen?
    Kramp-Karrenbauer: Dann muss man in der Tat schauen, was das weitere Verfahren hergibt. Herr des Verfahrens ist der Bundespräsident. Er müsste dann zuerst einmal die Kanzlerwahl im Bundestag einsetzen. Das ist der Weg, der ja über ein entsprechendes Scheitern erst zu Neuwahlen führt. Dann muss man auch über die Option einer Minderheitenregierung sicherlich reden.
    Aber ich sage noch einmal: Jetzt hat der Wähler uns den Auftrag gegeben, eine stabile Regierung zu bilden. In diesem Prozess sind wir noch lange nicht am Ende und am Ergebnis angekommen. Diese Etappe liegt jetzt vor uns und das Gespräch heute Abend beim Bundespräsidenten wird sicherlich ein weiterer Stein auf diesem Weg sein.
    Engels: Stabil ist ein gutes Stichwort. Dabei sein wird nämlich auch Horst Seehofer, bei dem niemand weiß, ob er noch in Amt und Würden sein wird, wenn es zu einer irgendwie gearteten Kooperation kommt.
    Kramp-Karrenbauer: Horst Seehofer hat jetzt gerade bei den Sondierungsgesprächen zu Jamaika eine sehr bestimmende, auch eine sehr stabilisierende Rolle gespielt, mit dem vollen Rückhalt auch der CSU-Kolleginnen und -Kollegen, die mit ihm verhandelt haben. Und ich gehe davon aus, dass alles, was er heute Abend auch gemeinsam eventuell mit der Kanzlerin, mit dem SPD-Parteivorsitzenden als weitere Schritte festlegt, er weiter mit verfolgen wird, oder wer immer ihm in welchem Amt auch immer folgen wird. Das ist ja eine Diskussion, die in der CSU im Moment am Laufen ist, aber noch nicht abgeschlossen ist.
    Engels: Wie sehr belastet das die CDU, diese Diskussion in der CSU?
    Kramp-Karrenbauer: Natürlich ist es so, dass wir im Moment innerhalb der CSU eine Situation haben, die noch nicht endgültig geklärt ist. Aber die CDU ist zuerst einmal eine große und stabile Partei aus sich selbst heraus. Damit ist unser Programm auch das, mit dem wir in diese Gespräche hineingehen. Die Basis ist im Übrigen das gemeinsame Wahlprogramm mit der CSU. Das war es für die Jamaika-Sondierung und das wird es sicherlich auch für weitere Gespräche mit der Großen Koalition sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.